2017-06-14 11:10:00

Ägypten: Regierung „kriminalisiert“ Menschenrechtler


Lange hatte die Zivilgesellschaft in Ägypten noch Hoffnung, dass es so schlimm schon nicht kommen werde. Doch jetzt drohen Nichtregierungsorganisationen im Land (NGOs) staatliche Kontrolle und Überwachung. Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi hat trotz großen Widerstands von Menschenrechtlern ein umstrittenes NGO-Gesetz unterzeichnet – rund sechs Monate lang lag es nach der Verabschiedung im Parlament auf seinem Schreibtisch. Den NGOs werde die Luft zum Atmen genommen, warnt der Ägypten-Experte von Amnesty International Deutschland, René Wildangel, im Gespräch mit Radio Vatikan.

Die ersten Sommerurlauber kommen wieder nach Ägypten. Während sie die Sonne und günstige All-Inclusive-Angebote genießen, kämpfen Menschenrechtler in dem nordafrikanischen Land gegen Drangsalierung und Verfolgung durch den Staat. Schon jetzt seien Mitarbeiter von NGOs und Menschenrechtsaktivisten von Strafverfolgungen bedroht, erzählt René Wildangel. Das neue Gesetz öffne der Willkür noch mehr Tor und Tür, mahnt er:

„Zum Beispiel sind da Formulierungen enthalten: Wer Organisationen betreibt, die sich nicht voll an dieses Gesetz halten und bestimmte Tatbestände erfüllen, die sehr schwammig formuliert werden, kann mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft werden. Zum Beispiel wegen Destabilisierung der öffentlichen Ordnung und der Moral. Das wird alles sehr vage formuliert und das sind genau Tatbestände, wegen derer schon in der Vergangenheit Menschenrechtler vom Staat kriminalisiert und verfolgt wurden. Wir machen uns große Sorgen, auch um die Sicherheit der Menschen, die für die Menschenrechtsorganisationen arbeiten.“

Konkret schreibt das Gesetz vor: Alle NGOs müssen sich innerhalb eines Jahres beim Staat registrieren und alle Richtlinien des Gesetzes befolgen. Die sind: Ihre Arbeit muss im Einklang mit der Entwicklung des Landes stehen und sie dürfen keine politische Arbeit betreiben. Eine neue staatliche Agentur soll alle Aktivitäten von NGOs kontrollieren und genehmigen. Deswegen sei die Unsicherheit groß in Ägypten, sagt Wildangel:

„Denn jeder weiß: Wenn ich mich jetzt aufgrund dieses Gesetzes registrieren lasse, stehe ich unter Beobachtung. Wenn mir vorgeworfen wird, dass ich gegen dieses Gesetz verstoße, stehe ich möglicherweise vor einem Strafrichter und komme willkürlich ins Gefängnis. Das ist ein Klima, in dem zivilgesellschaftliche Arbeit nicht möglich ist.“

Das Gesetz treffe nicht nur Menschenrechtler, sondern auch bisher politisch unabhängige Einrichtungen im Gesundheitsbereich und des Umweltschutzes. Die Regierung begründet das Gesetz mit der angespannten Lage im Land. Damit sollen mutmaßliche terroristische und ausländische Aktivitäten eingedämmt und das Land stabilisiert werden. René Wildangel sieht ganz andere Gründe:

„Man versucht hier, jegliche Form von Kritik und jegliche Form von unabhängiger Arbeit und öffentlicher Debatte zu unterbinden. Das passt ja auch zur Entwicklung insgesamt in Ägypten: Wir haben eine restriktive Entwicklung zum Beispiel im Bereich der Medien, die sind hier auch schon zum Großteil entweder verboten worden oder müssen unter ähnlichen Auflagen arbeiten, so dass eine unabhängige kritische Arbeit nicht möglich ist. Das Ziel ist letztendlich, die Stabilität der Regierung und nicht die Stabilität Ägyptens und seiner Zivilgesellschaft zu sichern.“

2011 gingen Millionen Ägypter auf die Straße und stürzten in einer Revolution das Regime von Diktator Hosni Mubarak. Sie hatten die Hoffnung auf ein freiheitliches, demokratisches und rechtsstaatliches Land – zwischenzeitlich hatten NGOs auch verhältnismäßig große Freiheiten und konnten einigermaßen unabhängig und arbeiten, sagt Wilangel. Aber das neue Gesetz kriminalisiere sie wieder:

„Menschen, die sich für diese Ziele von 2011 eingesetzt haben, können das nicht mehr tun. Auch die Versammlungsfreiheit ist stark eingeschränkt – es ist so gut wie unmöglich, öffentlich in den Städten zu protestieren. Von daher ist unter der derzeitigen politischen Lage nicht viel davon sichtbar, die Menschen von damals gibt es ja noch und die Ideen auch noch.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch im März gesagt: Es sei nicht im Interesse der Stabilität Ägyptens, wenn die Arbeit von NGOs eingeschränkt werde. Die Kritik an al-Sisi sei richtig gewesen, sagt Wildangel. Aber die ganze Staatengemeinschaft dürfe Ägypten nicht nur als stabilen Partner sehen, sondern müsse der Regierung auch entgegentreten: „Wegschauen ist das Schlimmste, das den Menschenrechtlern in Ägypten passieren kann.“

(rv 14.06.2017 fr) 








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