2017-06-05 11:22:00

Osteuropa: Die vergessenen Migranten


„Bleiben oder gehen?“ Klingt wie eine banale Frage – ist aber für viele Menschen in Osteuropa ein herzzerreißendes Dilemma. „Wir machen uns, glaube ich, nicht klar, dass es seit vielen Jahren in Europa eine immense Migration von Ost nach West gibt“, sagt Burkhard Haneke, der Geschäftsführer des katholischen deutschen Hilfswerks Renovabis.

„Viele Menschen sehen in ihrer eigenen Gesellschaft keine Perspektiven zur Existenzsicherung mehr. Sie verlassen ihre Länder. Man kann sagen, es ist nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Armutsmigration, die dazu führt, dass die Menschen nicht bleiben, wo sie bleiben möchten. Wir von Renovabis sind dann nicht gegen Migration. Sondern es soll nicht so sein, dass Menschen zu Hause keine Perspektiven haben und deswegen ihr Land verlassen.“

Das Osteuropa-Hilfswerk hat in den letzten Wochen seine Pfingstaktion durchgeführt, die am Wochenende in Görlitz ihren Schlußpunkt fand. Motto der Spenden- und Info-Kampagne war diesmal eben diese Frage: „Bleiben oder gehen?“

„Ein kleines Land wie Litauen hatte im Jahr 1990 noch vier Millionen Einwohner. Seither haben eine Million Menschen das Land verlassen und in anderen Ländern, etwa in England oder Deutschland, Arbeit gesucht. Oder Bosnien-Herzegowina: Ein Land, das durch den Krieg sehr stark in Unruhe geraten ist. Dort sitzt nach offiziellen Umfragen mindestens die Hälfte der Jugendlichen auf gepackten Koffern und wartet nur darauf, eine Chance zu bekommen, ihr Land zu verlassen.“

Viele Kinder wachsen in Polen oder Rumänien alleine oder bei irgendeinem Onkel auf, während die Mutter in Deutschland Senioren betreut. Renovabis würde den Menschen in Osteuropa gern helfen, eine Bleibe-Perspektive zu entwickeln.

„In den Bergregionen in Nordalbanien haben wir ein Projekt der regionalen Förderung begonnen. In diesen sehr kargen Regionen werden Menschen von Spezialisten in Anbaumethoden, zum Beispiel im Kräuteranbau, angeleitet. Ihnen wird also etwas beigebracht, was vor Ort möglich ist und womit man auch Geld verdienen kann. Oder: Die Familien dort bekommen kleine Ferkel, jedes Jahr eins. Diese werden dann aufgezogen und verkauft. So erhalten sie einen kleinen finanziellen Erwerb, der kann wieder investiert werden, und die Menschen bleiben in der Region.“

Ein anderes Beispiel ist ein Projekt in der Ukraine, bei dem Jugendliche eine eigene Berufsausbildung bekommen, so Haneke im Gespräch mit dem Kölner Domradio. „Die Ausbildung findet statt in einem Berufsausbildungszentrum der Salesianer, die dort schon seit einiger Zeit sind und jetzt eine KFZ-Techniker-Lehrwerkstatt errichten wollen. Die Werkstatt liegt in der West-Ukraine; eine Gegend, in der sich aktuell Produktionsfirmen verschiedener Automobilmarken niederlassen. Dabei handelt es sich also um ein Projekt, das ganz gezielt ausbildet, damit junge Menschen vor Ort in ihrer Heimat einen Arbeitsplatz bekommen.“

Eine Bilanz seiner Pfingstaktion wird Renovabis erst gegen Jahresende ziehen können. Immerhin, die Macher sind zufrieden mit der Resonanz ihrer Veranstaltungen der letzten Wochen in Deutschland. Sie rechnen damit, dass die Kollekten bundesweit zwischen fünf und sechs Millionen Euro erbracht haben.

Dass die Aktion in Görlitz zu Ende ging, war kein Zufall: „Denn Görlitz liegt im Dreiländereck; Deutschland, Polen, Tschechien. Die Gegend ist sehr stark von Migration geprägt. Im Gottesdienst haben wir zum Beispiel eine Firmung, bei der die Hälfte der Firmlinge aus Polen kommt.“

(domradio 05.06.2017 sk)








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