2017-05-25 14:50:00

Indonesien: Religionsfreiheit in Gefahr


Betroffenheit in Indonesien: Kurz vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan haben in der Hauptstadt Jakarta zwei Selbstmordattentäter drei Polizisten getötet. Zehn weitere Personen seien bei dem Doppelanschlag an einer belebten Bushaltestelle verletzt worden, erklärten die Sicherheitskräfte an diesem Donnerstag. Zwei Attentäter zündeten im Abstand von wenigen Minuten an einer belebten Bushaltestelle Nagelbomben, ein Zusammenhang mit der Terrororganisation Islamischer Staat gilt als wahrscheinlich.

Der Angriff galt eindeutig den Menschen, die sich einer Radikalisierung in der Gesellschaft Indonesiens entgegen stemmen. Dieser Ansicht ist Yenny Zannuba Wahid, Direktorin des in Jakarta ansässigen Wahid Institute. Das Institut fördert den interreligiösen Dialog und will religiöser Radikalisierung vorbeugen, außerdem beobachtet es Verstöße gegen die Religionsfreiheit in Indonesien. Am Rand eines Seminars zur Förderung von religiösem Pluralismus in Indonesien, das am Mittwoch in Rom stattfand, sprachen wir mit Yenny Wahid über den jüngsten Terrorakt in Jakarta.

„Das ist wirklich eine Tragödie, aber die Indonesier haben keine Angst, und gleich nach dem Anschlag ging eine Mobilisierung gegen diese Art von Attacken los – in Social Media, Twitter, senden die Leute Nachrichten: Wir haben keine Angst! Wir werden nicht durch Angst gelähmt werden, wir werden damit umgehen. Terroristen werden uns niemals Angst einjagen.“

Terroristen wollen Gesellschaft destabilisieren

Hinter dem Attentat steckten Terroristen, die die Gesellschaft destabilisieren wollen, ist sich Yenny Wahid sicher. Indonesien, der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit, galt lange als  Beispiel für religiöse Toleranz und friedliches Zusammenleben der Religionen. Doch in jüngster Zeit häufen sich die Anzeichen dafür, dass auch in Indonesien radikales Gedankengut Fuß fasst. Moderate Muslime versuchen, gegen diese Entwicklung zu arbeiten und geraten damit ins Fadenkreuz der Terroristen, meint Wahid:

„Indonesien ist ein Bollwerk von Pluralismus und Mäßigung. Moderne Muslime sind gegen Terror und Radikalismus. Insbesondere mit den beiden größten islamischen Organisationen, Nahdlatul Ulama (NU) und Muhammadiyah, stellen wir uns der Radikalisierung entschieden entgegen. Auch wir haben schon Drohungen erhalten. Wir sind daran gewöhnt. Doch diese Art von Anschlägen ist barbarisch! Wir werden nicht aufhören, sie zu bekämpfen.“

Dabei sei es unerlässlich, den Weg des Dialogs zu beschreiten, ist die Aktivistin überzeugt. „Dialog gemeinsam mit einem sicherheitsorientierten Ansatz ist der Weg, voranzugehen. Denn nur mit einem sicherheitsorientierten Ansatz kann man das Problem nicht lösen. Das heißt Dialog ist nötig. Er ist nötig, um Menschen davon abzuhalten, sich zu radikalisieren. Und Dialog ist auch nötig dafür, mehr Verständnis unter den Menschen zu schaffen sowie den Willen dafür, gemeinsam in friedlicher Koexistenz zu leben. Dialog ist nicht nur eine Option, sondern ein Muss.“

Indonesischer Kurienpriester: „Wir wollen, dass so etwas nie wieder passiert“

Dialog, der jedoch nicht zum Selbstzweck verkommen darf, mahnt der Steyler Missionar Markus Solo vom Päpstlichen Rat für Interreligiösen Dialog. Er ist selbst Indonesier, die Nachricht von dem jüngsten Attentat nahm er mit Bestürzung zur Kenntnis. Er fordert am Rande der von ihm moderierten Veranstaltung zu religiösem Pluralismus in Indonesien konkrete Schritten bei der Bekämpfung von religiösem Radikalismus:

„Ein derartiges Attentat passiert leider nicht zum ersten Mal in Indonesien. Gleich im Anschluss melden sich dann die religiösen Führer zu Wort und verurteilen die Tat. Aber wir wissen, dass solche Worte und Aktionen nicht viel Veränderung gebracht haben. Deshalb ist es am wichtigsten, diese Worte in die Tat umzusetzen. Und das können sie nicht nur in einem solchen Forum sagen, sondern sie müssen mit ihrer eigenen Gemeinde anfangen, konkret zu handeln. Das erwarten wir immer wieder. Wir wollen, dass so etwas nie wieder passiert. Sonst verlieren die Worte ihre Bedeutung.“

Der Fall Ahok: Verletzung der Religionsfreiheit

Aufsehen hatte erst vor Kurzem ein Gerichtsurteil gegen einen indonesischen Politiker erregt: Der christliche Gouverneur von Jakarta Basuki Tjahaja Purnama war Anfang Mai zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er während des Wahlkampfes um das Gouverneursamt blasphemische Äußerungen gemacht haben soll. Der Ahok genannte Politiker hatte die Stichwahl gegen seinen muslimischen Gegenkandidaten deutlich verloren, wohl auch wegen des Prozesses. Beobachter sind sich einig darin, dass das schließlich gesprochene Urteil politisch motiviert und unnötig hart ausgefallen ist, begünstigt durch radikale Strömungen in der Gesellschaft, die hartnäckig für eine Verurteilung des chinesisch-stämmigen Politikers Stimmung machten.

„Es handelt sich hier um Verletzung der Religionsfreiheit,“ meint auch Yenny Wahid, die mit ihrer Organisation Verletzungen der Religionsfreiheit in Indonesien beobachtet. „Für uns war der Fall von Anfang an grundlos. Wir denken nicht, dass Ahok irgendeine Art von Blasphemie, welcher Religion auch immer gegenüber, begangen hat. Er hat vielleicht ein wenig unbedacht gesprochen, politisch unkorrekte Dinge gesagt, doch sicher keine Blasphemie begangen. Wir haben das als Fall von Verletzung der Religionsfreiheit bewertet.“

Verzicht auf Berufung

Unter Tränen gab die Frau des verurteilten Politikers vor zwei Tagen bekannt, ihr Mann werde gegen das Urteil keine Berufung einlegen, um zur Beruhigung der angespannten Lage beizutragen. Für Yenny Wahid ist das trotz der tragischen Situation ein richtiger Schritt, denn Ahoks Fall könnte noch weitere Kreise ziehen, gibt sie zu bedenken:

„Wir schätzen Ahok sehr für seine Bereitschaft, sich selbst zu opfern, um Frieden zu erhalten und um Ruhe einkehren zu lassen. Denn wenn er Berufung einlegen würde, was natürlich sein Recht ist, dann würde das eine politische Auswirkung auf Präsident Joko Widodo haben. Er wäre das nächste Opfer. Im Moment steht er bereits dafür in der Kritik, dass er Ahok zu sehr geschützt habe. Und ich denke, der Präsident ist sehr engagiert dabei, Demokratie und Pluralismus in unserem Land zu garantieren – doch auch er könnte ein Opfer von Angriffen wie denjenigen auf Ahok werden.“

Amnestie für Ahok? „Unwahrscheinlich“

Eine Amnestie für Ahok hält sie aus diesen Gründen trotz der internationalen Aufmerksamkeit für den Fall für unwahrscheinlich. Denn, so ihre Einschätzung, in diesem Fall müssten hunderte von Menschen begnadigt werden, die unter den gleichen oftmals allein auf Behauptungen beruhenden Umständen wegen Blasphemie in Haft sind. Der einzige Weg sei die Abschaffung oder eine Änderung des Gesetzes, das diese Art von Urteilen ermöglicht.

„Wir, meine Organisation, mein Vater (der ehem. indonesische Präsident Abdurrahman Wahid, der 2004 das Wahid Institut gegründet hat, Anm.), ich selbst, haben schon versucht, ein Gerichtsurteil zu erwirken, das Blasphemiegesetz zu kippen. Wir haben verloren. Die einzige Chance ist das Parlament. Nicht einmal der Präsident kann einschreiten. Unabhängig davon, was wir über all das denken: die Gesetze müssen geachtet werden.“

(rv 25.05.2017 cs)








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