2017-05-21 14:26:00

Guatemala: Migration, Sekten und aufblühende Kirche


Ein kleines Land mit großen Schwierigkeiten ist demnächst zu Gast im Vatikan: Guatemalas Bischöfe kommen zum Ad Limina-Besuch nach Rom und werden am kommenden Mittwoch Papst Franziskus von ihren Sorgen und Freuden erzählen. Präsident der guatemaltekischen Bischofskonferenz ist der gebürtige Spanier und Jesuit Gonzalo de Villa y Vásquez, Bischof  von Sololá-Chimaltenango. Im Gespräch mit Radio Vatikan wirft er ein kompaktes Schlaglicht auf die Lage der Kirche in dem mittelamerikanischen Land.

 

„Wir sind in Guatemala eine Kirche mit einer jüngeren Geschichte der Märtyrer. In den 1980er Jahren kam es zu einer großen Christenverfolgung im Rahmen des Bürgerkriegs, und im kommenden September sehen wir die erste Seligsprechung eines guatemaltekischen Märtyrers. In letzter Zeit aber hat die Kirche in Guatemala erfreulich zugelegt. Die Zahl der Berufungen ist gestiegen, wir haben mehr Seminaristen und Priesterweihen als je zuvor in unserer Geschichte. Andererseits sehen wir aber auch viele Menschen, die sich von der katholischen Kirche abwenden, sie wandern zu Pfingstkirchen ab.“

 

Guatemala hat rund 16 Millionen Einwohner, viele von ihnen sind arm. Inwiefern setzt sich die Kirche für sie ein?

 

„Guatemala ist ein überwiegend indigenes Land. Ich bin Bischof einer Diözese, in der 93 Prozent Nachfahren der Maya-Urbevölkerung sind. Indigene sind auch die überwiegende Mehrheit der Priester und der Seminaristen. Was das Soziale anlangt: seit Jahren sorgt die Bergbauindustrie für starke Polarisierungen, Widerstände und Konflikte, die Kirche hat sich da oft eingebracht. Man muss aber auch die andere Seite der Medaille sehen: im Volk hat sich eine richtige Aversion gegen ausländische Investitionen verbreitet, und auch das ist nicht hilfreich. Beispiel Wasserkraft: die Kirche ist da nicht dagegen. Wir Bischöfe haben gesagt, das ist eine saubere und kostengünstige Energie, auch wenn man die Rechte der Ortsbevölkerung immer respektieren muss. Wir können uns aber auch nicht allem entgegenstemmen, was Fortschritt bringt, wie im Fall der Wasserkraft. Manche Proteste gegen diese Energieform kommen aus der Ecke von Drogenhändlern, die so tun, als seien ihnen die Rechte der angestammten Bevölkerung ein Anliegen. Die Sache ist komplex. Das ist nicht nur eine Frage der Rechte der Indigenen. Das wichtigste ist, das Recht der gesamten Bevölkerung auf Entwicklung, auf Erziehung der Kinder und auf Verbesserung des Lebensstandards zu verteidigen.“

 

Guatemala grenzt im Norden am Mexiko, dem Transitland Nummer eins für Migration nach Nordamerika. Inwiefern ist Migration ein Thema in Guatemala?

 

„Das ist ein wichtiges Thema: mehr als drei Millionen Guatemalteken leben in den Vereinigen Staaten, von ihnen, meine ich, ungefähr 75 Prozent ohne Papiere. Aber dank ihrer Überweisungen fließen Millionen Dollar in unser Land, letztes Jahr etwa sieben Milliarden – das ist siebenmal mehr als die Erlöse aus dem Export von Kaffee. Und das Geld von den Auswanderern verteilt sich im ganzen Land, anders als beim Exportgeschäft. Wir exportieren sozusagen Menschen, das hat aber auch dramatische Folgen für die Familien. Es stimmt, einen Verwandten in den USA zu haben, verbessert die Lebensqualität, es kommt vor, dass verheiratete Männer emigrieren und dort eine neue Familie gründen. Einige schicken weiterhin Geld für die erste Familie in Guatemala, andere nicht. In dem Fall geht die Familie zugrunde. Wir haben viele Kinder und Jugendliche ohne Väter, sie leiden, geraten oft auf den falschen Weg. Das Thema Migration beschäftigt uns sehr.“

 

Einige in Guatemala fürchten eine massive Rückkehr von Auswanderern aus den USA, die zu einer humanitären Krise führen würde. Teilen Sie diese Sorge?

 

„Nun, es stimmt, die Zahl der aus den USA zurückgeschickten Guatemalteken ist gestiegen und weniger Menschen schaffen es, die Grenze zu überqueren. Aber ich habe in diesen vier Monaten seit Amtsantritt von Donald Trump nicht den Eindruck, dass es eine riesengroße Welle von Ausgewiesenen geworden ist. Wären es auf einmal eine Million, sicher, dann hätten wir einen Notstand hier.“

 

Rund 80 Prozent der Guatemalteken sind katholisch getauft. Sie sprachen von Sekten und Abwanderung zu Pfingstkirchen: Wie sieht das genau aus?

 

„Das Problem ist real: die Leute kehren der katholischen Kirche den Rücken. Dahinter stecken verschiedene Gründe. Da gibt es die Mega-Kirchen, die eine starke Anziehungskraft ausüben, aber wo es viele heikle Fragen gibt, etwa zum Umgang mit Geld durch die Pastoren. In Guatemala sprechen wir sogar von Narco-Pastoren, einige evangelische Geistliche sind in Drogenhandel verstrickt. Dann gibt es die Welt der kleinen Kirchen, die wie Pilze überall hervorschießen, Kirchen von 20 oder 30 Leuten unter einem Pastor, der nur den Grundschulabschluss hat, der aber die Heilige Schrift liebt und kennt und sie mit den Leuten liest. Davon lassen sich Menschen begeistern, weil der Sinn für Gemeinschaft da ist. Das Drama ist, dass die Leute dann nach zwei oder drei Jahren nicht mehr zufrieden sind und es bei der nächsten Kleinkirche oder Mega-Kirche probieren und am Ende überhaupt nirgendwo mehr dazugehören. Mittelfristig nähren die Sekten die religiöse Gleichgültigkeit.“

(rv 21.05.2017 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.