2017-05-19 12:16:00

Vatikan plädiert für Wahlen in Venezuela


Angesichts der schweren politischen und humanitären Krise in Venezuela sieht Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin Wahlen als „echte Lösung". Dem venezolanischen Volk müsse Gelegenheit gegeben werden, sich auszudrücken und seine „Gegenwart und Zukunft zu bestimmen", sagte Parolin am Donnerstag gegenüber Journalisten in Rom. 

Die Bischöfe des lateinamerikanischen Landes hatten am Donnerstag eine Erklärung zur explosiven Lage in ihrem Land herausgegeben. „Diese Worte, die die Bischöfe gefunden haben, sind mehr als eindeutig“, kommentiert Reiner Wilhelm das Statement. Die Bischofskonferenz veröffentlichte das Papier nach einer Sondervollversammlung, und sie bemüht sich darin spürbar um Klartext. Wilhelm ist Venezuela-Beauftragter beim deutschen kirchlichen Lateinamerika-Hilfswerk adveniat.

Den Auftakt des Bischofs-Statements macht eine Analyse der Lage: Der Hunger wächst, lautet ihr erster Punkt. „Der zweite Punkt ist: Die Gewalt wächst weiter, und auch die Repression. Es gibt eine Einheit zwischen den Sicherheitskräften und den Milizen, den sogenannten colectivos; die Menschen, die an den Demonstrationen teilnehmen, müssen damit rechnen, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden, das ist inzwischen wiederholt passiert. Die Menschenrechte werden missachtet, und der Opposition ist mittlerweile die Macht über die Demonstrationen fast entglitten.“ Überall mache sich „ziviler Ungehorsam“ breit, in vielen Bereichen herrsche „Anarchie“. Und dazu komme eine Ausreisewelle – vor allem junger Leute, die absolut hoffnungslos seien.

„Räume für echten Dialog schaffen“

„Die Bischöfe haben vier Herausforderungen herauskristallisiert. Zunächst: Verantwortung zeigen für den Frieden, Räume für einen echten Dialog schaffen. Zweitens: die prophetische Anklage. Dass man das Schlechte benennt und auch benennen darf. Drittens: die Solidarität, die Geschwisterlichkeit mit den Menschen, mit dem hungernden Volk. Auch das noch zu teilen, was übrig geblieben ist. Und viertens: Caritas und Gebet. Das Thema Venezuela und alles, was die Menschen im Land bedrückt, mit in die Eucharistie zu nehmen.“

„Ich habe das Schreien meines Volkes gehört“: Dieses Wort Gottes aus dem Buch Exodus zitieren die Bischöfe in ihrem Dokument. Sie fordern den Aufbau und die Festigung der Demokratie unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteure sowie echte Versöhnungsarbeit, damit die Polarisierung in der Gesellschaft abgebaut werden kann.

Ruf nach Wahlen

Die Bürger sollten weiter auf die Straße gehen und friedlich demonstrieren, so die Bischöfe. „Sie stellen klar: Das Volk ist das wahrhaftige Subjekt der Demokratie. Das heißt, es müssen unbedingt Wahlen stattfinden! Und sie stellen sich hinter einen Brief des vatikanischen Kardinalstaatssekretärs Parolin, der am 1.12.2016 an die Regierung einen regelrechten Brandbrief geschrieben hat. Darin fordert er, humanitäre Hilfe zuzulassen, die politischen Gefangenen sofort freizulassen, das Parlament anzuerkennen und Wahlen anzusetzen. An diesen Brief hängen sich die Bischöfe dran und sagen: Wir stehen im Einklang mit dem Vatikan, im Einklang mit Papst Franziskus.“ Die Regierung von Präsident Nicolas Maduro hat hingegen immer wieder versucht, einen Keil zwischen Vatikan und Ortskirche zu treiben.

Verantwortliche für Repression „zur Rechenschaft ziehen“

„Und jetzt kommt etwas, was wirklich für Lateinamerika unheimlich wichtig und bedeutend ist: der Aufruf an Militär, Polizei und Sicherheitskräfte. Sie sagen: Die Aufgabe von Militär und Polizei ist die Verteidigung der Verfassung und die Ermöglichung des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Und sie sagen ganz klar und deutlich: Für diese Repression, für all das, was gerade passiert, seid ihr moralisch verantwortlich, und ihr werdet dafür auch zur Verantwortung gezogen!“

Daran knüpfen die Bischöfe Venezuelas ein berühmtes Zitat des seligen Bischofs Oscar Arnulfo Romero, in dem dieser „im Namen Gottes“ ein Ende der Unterdrückung fordert. Kurz nach diesen Worten wurde Romero ermordet, und der Bürgerkrieg in El Salvador begann – dieser Hintergrund ist vielen Menschen in Lateinamerika noch sehr präsent.

„Maduro steht mit dem Rücken zur Wand“

Reiner Wilhelm ist sehr angetan von der Klarheit dieses Bischofswortes. Aber ob jetzt wirklich noch ein echter Dialog zwischen Regierung und oppositionellen Gruppen eine Chance hat? Da ist er skeptisch: „Maduro und seine Regierung stehen wirklich mit dem Rücken zur Wand. Ihnen kann nicht daran gelegen sein, dass es zu einem Dialog kommt und dass sie wirklich die Macht verlieren.“ Die USA haben am Donnerstag ihre Sanktionen gegen das Regime Venezuelas verschärft. „Das sind schon sehr harte Maßnahmen, die der Regierung nicht passen können; sie steht wirklich mit dem Rücken zur Wand.“

Dialog würde bedeuten, dass die Regierung sich bewegt, aber: „Ich hatte vor kurzem Besuch von der Bischofskonferenz aus Venezuela hier, und da war der Tenor ganz klar und deutlich. Offiziell wird gesagt, die Regierung spreche mit uns; in Wirklichkeit sieht das anders aus, man spricht nicht mit uns, das sind sozusagen fake news.“

„Erschießt mich doch, dann brauche ich nicht zu verhungern...“

Zwar haben die Bischöfe eine Einladung zu einer bolivarischen Verfassungsreform bekommen, aber darauf wollen sie nicht eingehen. Stattdessen fordern sie den Respekt der jetzigen Verfassung, die ja 1999 von Maduros Vorgänger und Mentor Hugo Chavez eingeführt worden sei. „Im Hintergrund steht natürlich die Befürchtung, dass mit der neuen Verfassung die Wahlen quasi nicht mehr stattfinden werden – weder die Präsidentschaftswahl noch die Gouverneurs- und Kommunalwahlen, die eigentlich schon längst hätten passieren müssen.“

Nach Ansicht des adveniat-Experten ist die Verschärfung der Lage in Venezuela vor allem der dramatischen Versorgungskrise geschuldet. Viele hätten mittlerweile das Gefühl, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. „Die Menschen gehen auf die Straße und haben keine Angst mehr. Ein Mensch hat sich vor einen Panzer gestellt und gesagt: Erschießt mich doch, dann habe ich das Leben hinter mir, dann brauche ich wenigstens nicht zu verhungern. In dieser Situation ist man inzwischen, und es gibt kaum noch Medikamente. Der Aufruf des Vatikans und des Papstes zu humanitärer Hilfe und zum Dialog ist wichtig.“

(rv 19.05.2017 sk)








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