2017-05-16 10:08:00

Ordensfrau: Nordafrika total überfordert von Flüchtlingszustrom


Die nordafrikanischen Staaten, die ans Mittelmeer angrenzen, sind von der „regelrechten Invasion“ durch Menschen, die aus dem Süden Afrikas stammen und nach Europa wollen, völlig überfordert - und eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht: Ernüchternd hat die Don-Bosco-Schwester Maria Rohrer am Wochenende vor Journalisten in Wien die Lage in Nordafrika geschildert. Die 70-jährige Ordensfrau, die seit vier Jahrzehnten in Afrika lebt und wirkt, besuchte Wien anlässlich der 20-Jahr-Feiern des Hilfswerks „Jugend Eine Welt“.

Tunesien sei in den vergangenen Jahren zum Korridor nach Europa geworden, so der Eindruck Rohrers, die seit 2010, kurz vor Beginn des „Arabischen Frühlings“, in dem Maghreb-Land tätig ist. Das Kommen und Gehen mache sich in ihrer katholischen Pfarrei im Nordosten der Hauptstadt Tunis stark bemerkbar, wo bei den Gottesdiensten Menschen aus 80 Nationen anzutreffen seien und die Zahl der Schwarzafrikaner plötzlich stark zugenommen habe. „Fast alle wollen in Tunesien Geld verdienen, um damit den Schlepper nach Europa zu bezahlen“, so die aus der Schweiz stammende Ordensfrau, die in der Seelsorge für Studentinnen aus Schwarzafrika tätig ist.

Viele der in Tunesien Gestrandeten seien Opfer von Menschenhändlern, gab Rohrer an. Massenweise würden Mütter oder auch minderjährige Mädchen etwa in der Elfenbeinküste mit „tollen Arbeitsangeboten“ gelockt; das Ticket dafür wäre bereits bezahlt, werde ihnen gesagt. „Wenn sie in Tunesien am Flughafen ankommen, werden sie genötigt, als Familienhilfe, Putzfrau oder in der Prostitution zu dienen und man sagt ihnen: Wir haben für dich bezahlt, du musst deine Schulden jetzt abarbeiten.“ Aus Angst, sonst nicht mehr nach Europa weiter reisen zu können, ließen sich die Opfer in Tunesien keine Aufenthaltsbewilligung ausstellen.

Ist das Geld nach Monaten der harten Arbeit dann aufgetrieben, verschwinden die Migranten laut Rohrers Berichten in Richtung Libyen, von wo aus die Flüchtlingsboote nach Europa starten. Doch bei der Ankunft im Nachbarland würde ihnen alles abgenommen – Geld, Uhren, Dokumente und Handys. „Man nutzt sie erneut aus, als Arbeiter oder für Sexdienste, sperrt sie in Gefängnisse, die man Lager nennt, die aber mit den KZs aus dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind“, verwies die Don-Bosco-Schwester auf Betroffenen-Berichte. Manche überlebten die Schikanen nicht, viele würden Opfer von Misshandlungen und Vergewaltigungen. „Wenn sie dann endlich auf die Schiffe steigen, sind sie so abgemagert und krank, dass sie auf der Überfahrt sterben.“

Misshandlungen auch auf Booten

Die Flüchtlingsboote queren bei der Überfahrt nach Lampedusa teils tunesische Gewässer - und werden oft von der Küstenwache abgefangen, die in den vergangenen Jahren durch internationale Unterstützung mit Schiffen, Hubschrauber und Waffen aufgerüstet wurde, um Migranten nicht nach Europa durchkommen zu lassen. Flüchtlingsboote werden zurückgeholt, die Lebendigen im Falle eines Untergehens gerettet und die Leichen geborgen. Sexuelle Ausbeutung gebe es auch auf den Booten, erklärte Sr. Rohrer: „Wenn es Frauen zurückschaffen und darüber reden, berichten sie, wie schlimm es ihnen ergangen ist. Sie sind schockiert und traumatisiert.“

Beklemmend ist jedoch auch die Konfrontation mit den ständig an die tunesischen Küste gespülten Leichen, über die es keinerlei Zahlen oder Medienberichte gibt, wie die Ordensfrau betonte. Obwohl dies nicht zutreffe, würden die toten Schwarzafrikaner von den tunesischen Behörden pauschal als Christen angesehen und an die christlichen Pfarreien für die Bestattung in Massengräbern „zurückgegeben“. Es gebe somit ein „christliches Begräbnis für Unbekannte. Denn da die Toten vor der Bootsfahrt aus Sicherheitsgründen alle Identitätsnachweise weggeworfen haben, weiß man nachher nicht, wer sie sind, aus welchem Land sie kommen und ob ihre Familie weiß, dass sie ertrunken sind.“ Der in Tunis für die Begräbnisse zuständige Priester - ein Tansanier - sei an seiner Belastungsgrenze, berichtete Rohrer; allein in der ersten Maiwoche habe man 180 Leichen gefunden.

Überlebende Flüchtlinge, welche die tunesische Küstenwache zurückbringt, werden des Landes verwiesen, darunter laut Rohrers Angaben auch viele Minderjährige. Die meisten würden jedoch zwei Monate später wieder auftauchen und es trotz der enormen Schwierigkeiten erneut probieren.

(kap 16.05.2017 mg)








All the contents on this site are copyrighted ©.