2017-05-15 14:10:00

Ägypten: Erstmals Prozess wegen Christentums-Beleidigung?


In Ägypten könnte es Ende Juni erstmals zu einem Prozess gegen einen hochrangigen islamischen Würdenträger wegen Beleidigung des Christentums kommen. Das berichtet die Stiftung „Pro Oriente“ am Montag. Nach dem vielbeachteten Kairo-Besuch von Papst Franziskus war es in Ägypten zu einem heiklen interreligiösen „Zwischenfall“ gekommen, nachdem Scheich Salem Abd-ul Jalil, früherer Unterstaatssekretär im Ministerium für die islamischen religiösen Stiftungen („Awqaf“), in einem Interview mit einem privaten TV-Sender erklärt hatte, dass Christen und Juden „Ungläubige“ seien. Denn diese weigerten sich, den Einsichten Mohammeds zu folgen, wobei Jalil im Hinblick auf die Christen vor allem die Lehre von der Dreifaltigkeit anführte.

Die Argumentation des Scheichs löste scharfe öffentliche Kritik aus, wobei betonte wurde, dass er im Grunde dieselbe Sprache wie die Jihadisten benütze, die koptische Christen töteten. Stiftungsminister Mohammed Mokhtar Gomaa reagierte sofort und erteilte dem Scheich am 10. Mai ein Predigtverbot in Moscheen. Gomaa verlangte, dass sich Abd-ul Jalil bei den Christen entschuldigen müsse, und bezeichnete es als „nicht sehr weise, über die Lehren anderer Religionen zu diskutieren“. Mehrere Anzeigen gegen den Scheich wegen „Beleidigung der Religionen“ folgten, darunter auch eine vom koptischen Juristen und Menschenrechtsaktivisten Naguib Gabriel. Der Prozess soll am 25. Juni stattfinden.

Der koptisch-katholische Bischof von Minya, Boutros Fahim Awad Hanna, bezeichnete die Vorgangsweise der ägyptischen Justiz als bemerkenswert. Bisher habe es in Ägypten nur Prozesse gegen Christen und Muslime gegeben, die beschuldigt wurden, den Islam beleidigt zu haben. Der Prozess gegen Abd-ul Jalil könnte das erste Verfahren zu Lasten eines Muslims sein, „der das Christentum beleidigt“.

Der Scheich rechtfertigte sich im Gespräch mit ägyptischen Journalisten. Er schätze die koptischen Brüder und bedaure die bei der ursprünglichen Darlegung seiner Argumentation gewählte Ausdrucksform, so Jalil. Aber er wolle sich nicht entschuldigen. Was er gesagt habe, sei seine Überzeugung, und er werde sie verteidigen, solange er lebe, erklärte er.

Im Gegensatz dazu wies Sabri Ibada, der derzeitige Unterstaatssekretär im Stiftungsministerium, Jalils Darlegungen kategorisch zurück. Es handle sich um bloße Privatmeinungen und kein „religiöses Rechtsgutachten“ (fatwa).

Der Sekretär des parlamentarischen Religionskomitees, Omar Hamroush, argumentierte mit der inneren Krise Ägyptens, die Jalil verschärft habe: „Es wäre besser gewesen, wenn Abd-ul-Jalil es vermieden hätte, heikle Themen aufzugreifen, die unter Menschen unterschiedlichen Glaubens eine Atmosphäre der Uneinigkeit erzeugen können. Das war nicht der ideale Zeitpunkt, um eine so kontroversielle Diskussion vom Zaun zu brechen, mit der die Situation der ohnehin schwer belasteten Nation noch weiter erschwert wird“, so Hamroush.

Dissident nennt Friedenskonferenz „Komödie“

Die „Causa Abd-ul Jalil“ schließt an eine polemische Auseinandersetzung an, die die Al-Azhar-Universität betroffen hat. Unmittelbar nach dem herzlichen Empfang für Papst Franziskus und der internationalen und interreligiösen Friedenskonferenz ging es dabei um die Beziehungen des Islam zur Moderne. Der Präsident der Universität, Scheich Ahmed Hosni Taha, prangerte in einer TV-Sendung den kritischen Islamwissenschaftler Islam al Behairy als „Abtrünnigen“ an.

Behairy hatte u.a. die von der Universität veranstaltete Friedenskonferenz als „Komödie“ bezeichnet - in Weiterführung seiner Kritik an der sunnitischen Universität, die er seit Jahren als Bastion veralteter Denkweisen darstellt. Behairy war im Jahr 2015 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Im Dezember des Vorjahrs kam er durch einen Gnadenerlass von Präsident al-Sisi frei.

Interner Streit an Al-Azhar geht weiter

In einem Interview mit der römischen Nachrichtenagentur „AsiaNews“ meinte Behairy, der Papstbesuch sei eine große Ehre für Ägypten gewesen. Papst Franziskus habe die Lehren des Christentums perfekt zum Ausdruck gebracht, „aber er wollte offenbar nicht die Wurzeln der religiös motivierten Gewalt beim Namen nennen“ und einen neuen Anfang mit den islamischen Repräsentanten setzen. Die interreligiöse Friedenskonferenz sei ein „enormer Erfolg auf der medialen Ebene“ gewesen, aber in der faktischen Realität werde sich nichts ändern, so Behairy. Wer sich der Illusion hingebe, dass der „religiös“ motivierte Terrorismus zurückgehen werde, sei ein Träumer.

Im weiteren Verlauf des Interview attackierte Behairy Al-Azhar-Großimam Ahmed al-Tayyeb, weil er bei der Friedenskonferenz die postmoderne Ideologie und den Waffenhandel als Hauptgründe des Terrorismus bezeichnet hatte. Das bedeute, dass die Person, die als erste den „religiösen“ Terrorismus bekämpfen müsse, nicht einmal die Ursachen seiner Existenz kenne.

Noch schärfer ging Behairy generell mit den Lehrinhalten von Al-Azhar ins Gericht: „Ich weiß nicht, ob der Großimam sich dessen bewusst ist oder nicht, aber die Bücher, die an seiner Institution gelehrt werden, lassen keine andere Interpretation als die Aufhetzung zur Gewalt zu. Leider sind diese Interpretationen nicht verfehlt.“ Denn der Terrorismus sei „direkt mit unserer Lehre verbunden, mit einer Auffassung, die auf die Zeit vor tausend Jahren zurückgeht“, so Behairy: „Ich wünsche mir, dass sich der Großimam dafür entschuldigt, und für das, was die Muslime im Mittelalter und in der Moderne angerichtet haben.“ Der kritische Wissenschaftler forderte, dass Al-Azhar die Bücher verschiedener Imame aus dem Mittelalter zurückzieht, die als Erbe des wahren Islam verkauft werden: „Denn das, was in diesen Büchern steht, ist genau das, was die IS-Terroristen wörtlich und bis zum letzten Beistrich in die Praxis umsetzen.“

Für Großimam al-Tayyeb war die Situation überaus heikel. Vorerst entließ er Hardliner Taha und ersetzte ihn interimsmäßig durch den Dekan der Fakultät für Arabisch, Mohammed al Maharasawy. Der stellvertretende Präsident der Universität, Scheich Mohammed Abu Hashim, war allerdings darüber empört und wollte rechtliche Schritte gegen den Beschluss des Großimams unternehmen, weil nicht er, sondern Maharasawy zum Interims-Präsidenten ernannt wurde. Hashim erhielt dabei von vielen Lehrkräften Unterstützung.

Der koptisch-orthodoxe Bischof von Tanta, Boulos (Thoma el Baramoussy), hob hervor, dass er nicht glaube, dass das Problem die Al-Azhar-Universität sei. Diese könne nicht mit jhihadistischen Strömungen in Verbindung gebracht werden. In diesem Zusammenhang lobte er ausdrücklich die von der sunnitischen Universität organisierte Friedenskonferenz und würdigte den Großimam al-Tayyeb für dessen „achtsamen“ Führungsstil.

(kap 15.05.2017 sk)








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