2017-05-04 07:00:00

Italien: Flüchtlingsretter unter Druck


Der Verdacht wiegt schwer: Gibt es direkte Kontakte zwischen Menschenschmugglern und NGOs, die Migranten aus sinkenden Booten vor der libyschen Küste retten? Im italienischen Senat hat dazu am Mittwoch eine Anhörung stattgefunden, nachdem der Generalstaatsanwalt von Catania, Carmelo Zuccaro, auf Sizilien von solchen direkten Telefonkontakten gesprochen hatte.

Für Italiens Politiker ist der Verdacht ein gefundenes Fressen: Außenminister Angelino Alfano, selbst Sizilianer, fand die Frage, die Zuccaro aufwerfe, „zu hundert Prozent gerechtfertigt“, sein Kabinettskollege, Justizminister Andrea Orlando, fand das hingegen „inakzeptabel“. Der Senatspräsident Piero Grasso, früher selbst Staatsanwalt, will wissen, seit wann eigentlich Staatsanwälte sich öffentlich äußern, bevor überhaupt eine Untersuchung stattgefunden hat, und die Chaospartei „Cinque Stelle“ dröhnt, diese „Taxis über das Mittelmeer“ seien nicht länger hinnehmbar.

„Keine Anklage, keine Untersuchung“

Für die NGOs, die Migranten in Seenot beistehen, ist die ganze Aufregung ein Desaster, das ihre Arbeit belastet und erschwert. „Keiner hat uns mit diesen Vorwürfen direkt konfrontiert, so dass das bisher für uns eine reine Medienkampagne ist“, sagt Sophie Beau, Vorsitzende einer internationalen NGO namens SOS Méditerranée. „Es gibt bisher keine Anklage und keine ernsthafte Untersuchung, und der Staatsanwalt von Catania hat das auch offen zugegeben. Noch nicht mal einen Fragebogen hat man uns zugeschickt. Wir beklagen darum, dass so viel Krach geschlagen wird und dass der Ruf aller NGOs, die im Mittelmeer tätig sind, unterschiedslos dadurch beeinträchtigt wird. In Wirklichkeit wäre jetzt eine größere Kraftanstrengung nötig, weil sich da weiter vor unseren Augen ein humanitäres Drama abspielt: Es fehlt auf bestürzende Weise an Ressourcen, und wir von SOS Méditerranée sagen das schon seit einem Jahr!“

Das Drama besteht für Frau Beau darin, dass das Mediengetöse vom eigentlichen Skandal ablenkt: dem massenweisen Sterben von Menschen im Mittelmeer. Nach UNO-Zahlen wurden 2017 bis zum 21. April fast 37.000 Migranten aus Seenot gerettet, aber mehr als 1.070 Leichen aus dem Meer gefischt.

„Unser europäischer Verband zur Seenotrettung hat sich vor zwei Jahren gebildet, weil die Staaten in diesem Bereich zu wenig getan haben. Dabei weiß doch jeder, dass diese Tragödie jetzt schon seit Jahren andauert, sie ist überhaupt nichts Neues. Da hat man jahrelang hilflos einer humanitären Katastrophe einfach zugeguckt! Die NGOs und viele Engagierte versuchen doch nichts anderes, als die Zahl der Todesopfer zu senken. Es können doch nicht einfach Tausende von Menschen ums Leben kommen, und keiner tut etwas dagegen! Man müsste die Debatte zurücklenken auf die Realität dieser humanitären Katastrophe; Staaten und europäische Institution müssten diesem Drama ein Ende setzen. Das scheint mir das Wesentliche zu sein.“

„Wir bekommen unsere Anweisungen aus Rom“

Die Geschichte mit den telefonischen Kontakten zwischen Menschenhändlern und NGOs ist für Frau Beau ohne jedes Fundament. Aufkommen konnte sie nur deshalb, weil die Menschenhändler es seit zwei Jahren – eben seit es intensive humanitäre Operationen auf dem Mittelmeer gibt – nicht mehr darauf anlegen, dass die Boote mit Migranten an Bord bis Sizilien durchkommen. Den Schmugglern reicht’s, wenn es das Boot von der libyschen Küste gerade bis ins internationale Gewässer schafft. Das sind zwölf Seemeilen – sind die geschafft, dann muss Menschen in Seenot nach den internationalen Regeln unbedingt beigestanden werden.

„Wir stehen im Kontakt mit einer Zentrale für die Koordination von Rettern mit Sitz in Rom, die dem italienischen Verkehrsministerium zugeteilt ist. Wir stehen also im ständigen Kontakt mit den italienischen Behörden, die die einzigen sind, welche die Hilfe in dieser Zone in internationalen Gewässern, jenseis der libyschen Küste, regulieren. In dieser Zone kommt es sehr häufig zum Schiffbruch (von Flüchtlingsbooten), mit vielen Todesopfern, schon seit einigen Jahren. Die Seenotrettung wird also von Rom aus koordiniert. Das Problem dieses Zentrums besteht darin, dass es ihm an Schiffen, die zu solchen Rettungsmassnahmen imstande sind, in dieser Zone mangelt. Es sind also die italienischen Behörden, die uns die SOS-Signale übermitteln und uns die Koordinaten geben, wo wir nach Schiffen in Seenot suchen sollen.“

Der seltsame Rückzug von Frontex

SOS Méditerranée tue dann nichts anderes, als sein Schiff, die „Aquarius“, dorthin zu lenken und die Schiffbrüchigen aufzunehmen. An Bord sind Mitglieder von „Ärzte ohne Grenzen“, die den aufgenommenen Migranten erste ärztliche Hilfen geben. „Diese Menschen sind oft dehydriert, extrem geschwächt, viele haben Verletzungen, etwa Verbrennungen; der Zustand von vielen ist kritisch. Dem internationalen Seerecht entsprechend steuern wir dann einen sogenannten Sicherheitshafen an – und auch da macht uns Rom Vorgaben, in welchen Hafen genau wir einfahren sollen. Alles geschieht innerhalb des Rahmens der Gesetze, da gibt es überhaupt keine Zweideutigkeit! Darum ärgert uns dieses Gerede, diese Propaganda, die die Arbeit der NGOs in Zweifel zieht.“

2016 hat SOS Méditerranée ziemlich häufig Operationen gemeinsam mit Schiffen der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex durchgeführt. Doch das kam mit dem Beginn des neuen Jahres zu einem abrupten Stopp. Ausgerechnet während die Zahl der Bootsflüchtlinge stark ansteigt, lassen sich die Frontex-Schiffe jetzt auf der Route der Bootsflüchtlinge kaum blicken, die Schiffe der NGOs sind dort auf sich gestellt. Ist diese Zurückhaltung Zufall? Frau Beau tendiert zu einem Nein. Die EU verhandle mit der – nahezu machtlosen – libyschen Regierung, und sie wolle die libysche Küstenwache stärken, damit die den Flüchtlingsstrom noch küstennah zum Erliegen bringt. Dabei besteht die libysche Küstenwache aus Sicht von Frau Beau aus windigen Gesellen; man wisse nicht so genau, welches Spiel die spielten.

„Vielleicht ist es das, was stört: Dass wir auch den mit dem Leben Davongekommenen das Wort geben. Vielleicht stört das die italienischen Behörden in einem Moment, wo sie versuchen, mit der libyschen Regierung – falls es eine gibt – ein Abkommen zu schließen. Und in dem Moment, wo sie die libysche Küstenwache ausbilden und ausrüsten. Vielleicht stört es da, wenn die von uns Geretteten ausnahmslos davon berichten, dass sie extreme Gewalt durchgemacht haben, vielfache Verletzungen der Menschenrechte, Vergewaltigung und Folter in den Auffangzentren in Libyen. Wer für diese Gewalt genau zuständig ist, und inwieweit die Menschenhändler in Absprache mit libyschen Autoritäten handeln, ist sehr undurchsichtig, und wenn man darauf hinweist, stört das politische Kreise. Man darf also wenigstens mal fragen, warum diese Kritik jetzt genau in dem Moment kommt, wo die italienischen Behörden versuchen, eine Vereinbarung durchzusetzen.“

(rv 04.05.2017 sk)








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