2017-05-02 13:22:00

Venezuela: Mehrheit will politische Lösung


Sie scheint in weiter Ferne zu liegen, und doch will die Mehrheit der Venezolaner nur eines, um die politische Krise in ihrem Land zu lösen: eine Verhandlungslösung. Das sagt Almute Heider, Länderexpertin für Venezuela vom bischöflichen Hilfswerk Misereor im Interview mit Radio Vatikan.

„Wenn man die Leute fragt, was denn Szenarien sein könnten in dieser recht unübersichtlichen Situation, dann ist immer zu hören, es muss eine Verhandlungslösung geben, es müssen sich alle an den Tisch setzen, alle Parteien, auch die chavistische Partei. Es muss einen einheitlichen Tisch geben und es muss ein neues Venezuela entstehen. Alle anderen Szenarien, die jetzt gegen bewaffneter Konflikt gehen, Bürgerkrieg, Eingreifen des Militärs, werden verdrängt oder es wird zumindest der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die nicht kommen.“

Ein Land im Ausnahmezustand

Einen solch friedlichen, politischen Prozess hatte der Papst noch am vergangenen Wochenende für Venezuela angemahnt. Die letzten Aktionen von Präsident Nicolas Maduro weisen allerdings in eine andere Richtung: Medien berichten über Polizeigewalt gegen Demonstranten und Verhaftungen in Caracas. „Anders als 2014 ist die Hauptstadt offensichtlich der Kristallisationspunkt der Proteste“, kommentiert Heider die aktuellen Unruhen. Sie selbst ist eine von mehreren Vertretern von Hilfsorganisationen, die aus Sicherheitsgründen derzeit Reisen nach Venezuela absagen.

„Es ist schon länger so, dass es keinerlei Recht auf freie Meinungsäußerung gibt, dass die Presse unterdrückt wird, dass es keine Gewaltstatistik mehr gibt. Venezuela ist ein Land im Ausnahmezustand. Wenn es dunkel wird, geht keiner mehr raus. Die Sicherheitslage ist extrem prekär, Informationen kommen nicht durch. Es gibt eine große Unterdrückung nicht nur von deklarierten Oppositionsanhängern, sondern auch gegen Leute, die jetzt einfach auf die Straße gehen, weil sie ihr Essen wollen und nichts mehr haben und nichts mehr verlieren können!“

Weitere Eskalationen möglich

Die Situation sei vor allem deshalb gefährlich und „unübersichtlich“, weil Präsident Maduro regierungstreue Bürgergruppen bewaffnen wolle, berichtet Heider. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung Gewalt ablehne, könnten solche Maßnahmen ihrer Ansicht nach letztlich fatale Auswirkungen haben: „Wenn diese Gruppen bewaffnet werden und nicht mehr zu kontrollieren sind, dann könnte es durchaus in einen Bürgerkrieg abdriften. Ich befürchte, dass es durchaus noch mehr Gewalt geben könnte.“

Unmut erregt der Präsident aktuell auch mit Bestrebungen, Venezuelas Verfassung zu ändern – in Augen der Opposition ein weiterer Schritt gegen Rechtsstaatlichkeit in dem südamerikanischen Land. Dazu Almute Heider von Misereor: „Die Verfassung, die jetzt in Venezuela gültig ist, stammt aus dem Jahr 1999 und wurde erarbeitet in einem partizipativen Prozess, als Chavez an die Regierung kam. Mit dieser Verfassung sind die Venezolaner grundsätzlich sehr einverstanden – das gibt es viele gute Elemente. Jetzt ist ja die Forderung von allen Seiten an die Regierung, sie möge sich an die Verfassung halten. Wenn Maduro jetzt die Verfassung will und zwar durch ein von ihm eingesetztes Gremium, möchte er eine auf ihn als Präsidenten zugeschnittene Verfassung für ihn erreichen. Und genau das ist auch die Befürchtung der Opposition, dass es keine Verfassung mehr sein wird, mit der das venezolanische Volk als Ganzes leben kann.“

Am Montag hatte Maduro eine neue Verfassung für Venezuela in Aussicht gestellt, die „vom Volk und nicht von den Abgeordneten des Parlaments“ - das von der konservativen Opposition beherrscht wird - geschrieben werden solle. Mit einer verfassungsgebenden Bürgerversammlung solle der „faschistische Staatsstreich“ – als solchen bezeichnete er Versuche der Opposition, ihn zu entmachten – überwunden werden und der Friede im Land zurückkehren, formulierte er.

Auch wenn das Oppositionsbündnis darin zerstritten sei, was es im Detail für Venezuela wolle, herrsche doch in einem Punkt Einigkeit: Man habe sich darauf geeinigt, die Menschen in Venezuela zu Protesten aufzurufen und setze sich zugleich dafür ein, dass diese Proteste gewaltfrei verliefen, so Heider. Weiter sei man sich darüber einig, dass die Bürgerrechte gewahrt werden müssten und dass – angesichts der schweren Versorgungskrise im Land – der humanitäre Notstand ausgerufen werden sollte. Das Oppositionsbündnis „Tisch der Einheit“ (MUD) sieht in vorgezogenen Parlamentswahlen und einer Volksabstimmung über die Absetzung des Staatschefs, dessen Mandat regulär Anfang 2019 enden würde, einen Ausgang aus der politischen Krise.

Opposition sehe Vatikanvermittlung skeptisch

Dass der Vatikan weiter auf Dialog mit Maduro setzt, werde in Oppositionskreisen zu diesem Zeitpunkt skeptisch gesehen, so Heider: „Ich glaube, ehrlich gesagt, die katholische Kirche hat sich ein bisschen mit dieser gut gemeinten Lösung verbrannt, weil die Opposition das Gefühl bekommen hat, dass die Regierung die Vermittlung des Papstes zu ihren eigenen Gunsten propagandistisch ausschlachten wollte. Und deshalb ist von der Opposition die Befürchtung, dass das nichts bringt und – naja, die Verhandlungsbereitschaft von Seiten der Regierung ist derzeit ja nicht groß. Die Skepsis ist also groß, dass die Verhandlung der Kirche überhaupt was bewirken kann.“

Papst Franziskus hatte selbst am Wochenende eingeräumt, dass die Vermittlungsversuche des Heiligen Stuhles wenig gebracht hätten. Der Vatikan hatte zuletzt als Reaktion auf die Bitte von vier vermittelnden lateinamerikanischen Präsidenten interveniert. Die Gespräche verliefen allerdings im Sande. „Sie haben nichts gebracht, weil die Vorschläge nicht akzeptiert oder verwässert wurden", kommentierte der Papst am Samstag vor Journalisten auf seinem Rückflug aus Kairo nach Rom. Hätten die Beteiligten dazu auch „Ja-ja“ gesagt, sei damit dennoch im Grunde „Nein-nein“ gemeint gewesen.

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Das ganze Gespräch mit Frau Heider hören Sie durch Anklicken des Lautsprechersymbols oben links. Die Fragen stellte Anne Preckel.

(rv/kap 02.05.2017 pr)

 








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