2017-05-01 12:38:00

Wahl in Frankreich – wo stehen die Katholiken?


Wohin wandert der „vote catholique“ – also die „katholische Stimme“? Werden die katholischen Wähler bei der Stichwahl der Präsidentenwahl in Frankreich am nächsten Sonntag Emmanuel Macron oder Marine Le Pen wählen? Die französischen Bischöfe drücken sich vor einer Wahlempfehlung – dabei hatten sie 2002 unter ähnlichen Umständen wortreich vor dem „Front National“ gewarnt.

1. Mai, morgens auf Radio Notre-Dame: Der Pfarrer Bertrand Auville, Politik-Beauftragter des Bistums Nanterre, ruft dazu auf, am Sonntag wählen zu gehen. Aber für wen, das will er der Moderatorin nicht sagen. Er selbst werde für „den weniger schlimmen Kandidaten“ stimmen, für den, „der das Spiel mitspielt“. Und – ja natürlich, das sei eine „ziemlich pragmatische Einstellung“. Sei’s drum.

Erstaunlich gelassen sieht Frankreichs katholische Kirche der zweiten und entscheidenden Runde der Präsidentenwahlen entgegen. „Nein, ich mache mir keine großen Sorgen“, sagt Kardinal André Vingt-Trois, Erzbischof von Paris, am Wochenende ebenfalls auf Radio Notre-Dame. „Frankreich ist ein großes Land. Die Franzosen werden nach ihrem Gewissen abstimmen, und sie werden sich gut informieren, weil die beiden Kandidaten, die jetzt zur Auswahl stehen, ja nicht unbedingt nicht ihre erste Wahl gewesen sind. Im Juni sind dann die Parlamentswahlen, und das alles wird zu einem Gleichgewicht führen, mit sehr kompetenten Leuten und auch mit jungen Leuten, die Lust darauf haben, etwas auf die Beine zu stellen!“

Kardinal Vingt-Trois: „Ich mache mir keine großen Sorgen“

Ein Statement der Bischöfe noch am Abend des ersten Wahlgangs hat die Franzosen dazu aufgefordert, einen Staatschef zu wählen, der sich für Europa, für die Armen, für das Recht auf Leben einsetzt. „Die Bischöfe rufen zur Unterscheidung auf“, sagt die Europa-Abgeordnete Sylvie Goulard, die den parteilosen Mitte-Kandidaten Macron unterstützt, im katholischen Fernsehen kto. „Ich finde in ihrem Text vor allem zwei Punkte, aber vielleicht wird man mir vorstellen, dass ich ihr Statement zu sehr auf meinen Kandidaten beziehen will: Erstens, die Barmherzigkeit. Aufnahme von Flüchtlingen, Öffnung für andere.“ Das sei doch „das Herz des Evangeliums“ – und decke sich auch mit Macrons Programm.

„Die Werke der Barmherzigkeit. Und da glaube ich: Das Programm von Frau Le Pen geht nicht in die Richtung des Evangeliums! Man ist da sehr weit vom Galaterbrief entfernt. Und zweitens die europäische Botschaft. Europa als zutiefst christliches Projekt der Versöhnung und der Gemeinsamkeit. Das hat mich am meisten frappiert in der Botschaft der Bischöfe.“

„Alles, nur nicht Macron?“

Stimmt schon: In Sachen Flüchtlingspolitik und Europa liegt Macron eindeutig auf der Linie der katholischen Bischöfe. Trotzdem fremdeln viele Katholiken mit dem Senkrechtstarter. Engagierte, die sich im Kampf gegen die Gesellschaftspolitik von Präsident Hollande zusammengeschlossen hatten, setzten lange auf den konservativen Kandidaten Francois Fillon, doch der kam wegen Vetternwirtschafts-Affären nicht in die Stichwahl. Damit ist der „vote catholique“ führungslos – und die Chefin der „Manif pour tous“ ruft die Katholiken dezidiert dazu auf, nicht Macron zu wählen.

„Ja, das beunruhigt mich“, sagt Frau Goulard. „Ich bitte die Leute, gut nachzudenken. Nicht nur über diese „Alles, nur nicht Macron“-Front, sondern generell über das Niveau der politischen Debatte in den sozialen Netzwerken. Da wird gar nicht mehr argumentiert. So etwas für normal zu halten, scheint mir schlecht für eine Demokratie.“

Das Nein vieler Katholiken zu Macron hat damit zu tun, dass der Kandidat sich für das Thema Lebensschutz nicht sonderlich zu interessieren scheint. Goulard versucht das in etwas Positives umzudeuten: „Das sind eben extrem wichtige Fragen“, argumentiert sie, „die kann ein Präsident gar nicht nach Belieben behandeln, sondern die gehören ins Parlament! Macrons Prioritäten lauten Arbeit und Sicherheit, darum wird er sich vorrangig kümmern. Aber wir haben in der Präsidentschaft von Hollande doch gesehen, wie sehr die gesellschaftlichen Fragen tiefe Gräben aufwerfen können. Darum müssen die umsichtig behandelt werden, und da werden wir uns an den Rhythmus des Parlaments halten.“

„Man sucht offenbar den Mann der Vorsehung“

Was für die katholischen Wähler gilt, gilt auch allgemein: Eine breite „republikanische Front“ gegen Le Pen kommt, anders als 2002, diesmal nicht zustande. Auch Kardinal Vingt-Trois kritisiert Macron relativ offen. Es sei doch „eine Illusion, zu glauben, eine Demokratie könne ohne Parteien auskommen“ – das zielt auf Macrons Anti-Partei „En Marche!“, die der Kandidat selbst als überparteiliche Bewegung sieht. „Wenn auf einmal eine neue Partei auftaucht, die sich selbst nicht als Partei versteht und die gegen die eher statischen Parteien angeht, dann sage ich: Am Schluss wird das dann ebenfalls die Form einer Partei annehmen. Selbst wenn man sie dann vielleicht nicht exakt in das Rechts-Links-Muster einordnen kann, das wir von der Französischen Revolution geerbt haben.“

Dem Kardinal ist vielleicht auch unwohl angesichts der manchmal etwas messianischen Attitüde Macrons. „Man sucht den Mann der Vorsehung, glaube ich. Charles de Gaulle hat die V. Republik so eingerichtet, dass sie nur mit Männern der Vorsehung funktioniert; er glaubte, davon werde man in jeder Generation einen finden. Vielleicht ist das aber gar nicht so leicht. Jedenfalls führt diese Überhöhung des Präsidentenamts dazu, dass der Gegenkandidat im Wahlkampf geradezu verteufelt wird. Darum rate ich unseren Hörern: Lesen Sie lieber in den Programmen. Und achten Sie nicht so sehr darauf, ob ihnen ein Gesicht gefällt oder nicht.“ Macron, ein Mann der Vorsehung? Für den Pariser Erzbischof wohl eher nicht.

„Es ist ja nicht der Buddhismus, der die Franzosen bedroht“

Die Zweifel, die viele Wähler an Macron haben, erhöhen die Chancen der Rechtspopulisten vom „Front National“. Sie appellieren unverhohlen an das rechte, konservative Spektrum unter den Katholiken. Auch Marion Le Pen, einzige FN-Abgeordnete im französischen Parlament und Nichte von Marine Le Pen, war schon im Studio des katholischen Fernsehens kto zu Gast. Sie wirbt darum, dass ihre Tante Marine als Präsidentin die von Hollande eingeführte „Ehe für alle“ wieder zurücknehmen wird. Und überhaupt: Die Rhetorik der Tante gegen Religion in der Öffentlichkeit richte sich doch gar nicht gegen die Katholiken.

„Ich glaube, die katholische Kirche hat die Laizität schon seit langem assimiliert, darum ist sie von dem, was wir planen, nicht besonders betroffen. Wir zielen auf den politischen Islam! Es ist ja nicht der Buddhismus, der uns im Moment in Frankreich bedroht. Wir treten für eine Präambel zu unserer Verfassung ein, die auf unser nationales Erbe hinweist – und dazu gehört natürlich die christliche Dimension.“

„Kirche trägt Mitschuld für die Lage im Land“

Mit der Flüchtlingspolitik von Papst Franziskus könne sie nicht viel anfangen, viele der Migranten, die nach Europa kommen, seien doch Wirtschafts- und nicht Kriegsflüchtlinge. Und auch, als sie auf das Statement der Bischofskonferenz angesprochen wird, glaubt die Nichte, sich ein bisschen Schnoddrigkeit leisten zu können: „Ich muss zugeben: Die Erklärungen der Bischöfe sind nicht meine Schlafzimmer-Lektüre. Allerdings habe ich diesen Brief gelesen. Ich finde aber: Die französische Kirche trägt eine große Mitschuld für die Lage, in der wir uns heute in Frankreich befinden. Abtreibung zum Beispiel: Da gibt es in den USA eine wirkliche Debatte. Bei uns nicht – und warum nicht? Weil die Kirche darauf verzichtet hat, diesen Kampf zu führen.“

Für Marion Le Pen gehört das Führungspersonal der französischen Kirche längst zu der Elite, die die Franzosen satthaben und loswerden möchten. „Wir zahlen heute den Preis dafür, dass die Kirche Komplexe entwickelt hat; sie schämt sich zum Beispiel dafür, dass sie bei der Kolonisierung mitgeholfen hat, und ähnliches in dieser Art. Darum versucht die Kirche heute, respektabel aufzutreten und auf wichtige Auseinandersetzungen lieber zu verzichten. Zum Glück gibt es eine neue Generation in der Kirche, die nicht mehr diese Zurückhaltung verinnerlicht hat und die, hoffe ich, auch den Relativismus hinter sich lassen wird, um sich ohne falsche Scham wieder in den Kampf zu stürzen.“

Macron gegen Le Pen – das Duell ist noch längst nicht entschieden. Auch bei den katholischen Wählern ist noch nicht ausgemacht, wem sie im Dunkel der Wahlkabine ihre Stimme geben werden.

(rv 01.05.2017 sk)








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