2017-04-21 13:15:00

Schweiz: Bistum Chur, ein „Sonderfall“


Der Bischof von Chur, Vitus Huonder, ist an diesem Freitag 75 Jahre alt geworden und hat, wie es das Kirchenrecht vorsieht, Papst Franziskus seinen Amtsverzicht angeboten. Wer sein Nachfolger wird, ist unklar. Die Schweizer Medien spekulieren seit Wochen, ob der Papst sofort einen neuen Bischof bestimmen wird. Seit jeher gilt das Südostschweizer Bistum als „Problemfall“, denn die Beschaffenheit des gesamten Bistums ist sehr heterogen. Die Diözese umfasst die katholisch-ländlich geprägten Kantone Graubünden und Schwyz, sowie provisorisch seit 1819 Uri, Glarus, Obwalden, Nidwalden und das protestantisch-urbane Zürich.

Die Schweizer Medien und auch die Katholiken in der gesamten Schweiz hatten Huonder in seinem bisher zehnjährigen Bischofsamt immer wieder als „konservativen Kirchenvertreter“ beschrieben oder kritisiert. Doch Bischof Huonder versuchte seinerseits eher offen mit seinen Gegnern und Kritikern umzugehen. Dennoch hielt er an seinen durchaus polarisierenden Äußerungen immer wieder fest. Viele wünschen sich deshalb jetzt einen bischöflichen Administrator, der die Einheit im Bistum wiederherstellt.

Um die Zukunft des Bistums zu verstehen, muss man seine Vergangenheit kennen. Markus Ries ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern. Im Gespräch mit Radio Vatikan erklärt er, dass das Bistum Chur ein „Sonderfall“ innerhalb der katholischen Kirche ist. In Chur wird nämlich der neue Bischof üblicherweise zunächst durch ein Wahlgremium bestimmt, bevor er vom Papst bestätigt wird.   

„Wahlgremium ist das Churer Domkapitel. Es nimmt die Wahl vor, aus einer Liste von drei Kandidaten. Diese sogenannte Terna wird vom Apostolischen Nuntius in Bern unterbreitet. Die Liste enthält die Namen von drei Geistlichen, die für dieses Amt geeignet sind.“

Ob dieses Wahlprozedere bereits im Gang ist, ist nicht klar. Denn Nuntius Thomas Gullickson hat bisher keine Äußerungen diesbezüglich in der Öffentlichkeit gemacht. Im Bistum selber ist auch nichts zu erfahren. „Bis der Papst nach Abwägung aller Umstände seine Entscheidung getroffen hat, wird das Bistum Chur keine öffentlichen Stellungnahmen abgeben oder Spekulationen kommentieren“, ließ der Sprecher des Bistums, Giuseppe Gracia, an diesem Freitag verlauten. Auch werde Bischof Huonder keine Interviews oder Statements abgeben, bis die Entscheidung des Papstes gefallen sei.

Abgesehen vom Namen eines Nachfolgers ist die Wahlprozedur ein Unikum in der Weltkirche. Weshalb? Dazu Kirchenhistoriker Ries:

„Das liegt daran, dass das Bistum Chur noch Reste einer alten Tradition bewahrt. Es geht zurück auf die späte Antike und hat sich im Mittelalter ausgebildet. Ursprünglich sind alle Bistümer, hauptsächlich aber jene des Heiligen Römischen Reiches, durch Domkapitelwahlen besetzt worden. Das ist ein Vorgang, der vergleichbar ist mit jenem der Papstwahl oder mit einer Abtwahl. Es gibt ein Wahlgremium, welches entscheidet, wer das Amt übernehmen soll. In der Zeit, in der das stattfindet, sind die Gläubigen oder bei einem Kloster die Mönche und Nonnen im Gebet versammelt. Ist die Wahl vollzogen, wird der Gewählte gleich im Anschluss daran den Betenden und Wartenden vorgestellt. So wie wir es eben bei den Papstwahlen kennen, so war es auch bei den Bischofswahlen.“

Neben den wahltechnischen und geopolitischen Besonderheiten gab es im Bistum Chur immer wieder „Spannungen“, was die Person des Bischofs betraf. Huonder ist also keine Ausnahme. Bekannt war in den 90er Jahren der Fall Wolfgang Haas, dem als Churer Bischof massiver Widerstand entgegengebracht wurde und der dann Erzbischof von Liechtenstein wurde. Weshalb gibt es immer so viel Lärm, wenn Chur einen neuen Bischof braucht? Ries:

„Das hat verschiedene Gründe; zum einen liegt es daran, dass die Wahl eines Bischofs alle Gläubigen betrifft. Deshalb nehmen sie daran Anteil, deshalb interessieren sie sich dafür. Wenn ein Bischof zu Kontroversen geführt hat – sei es, weil die Gläubigen nicht alles verstanden haben, was er sagte und wollte, sei es, weil der Bischof Fehler begangen hat – dort kommt es immer zu solchen Schwierigkeiten. Das war im Bistum Chur überdurchschnittlich häufig der Fall. Der Hauptgrund, der zu diesen Schwierigkeiten führt, den sehe ich darin, dass man von den schönen alten Traditionen abgewichen ist und das Domkapitel in seiner Wahlfreiheit beschränkt hat. Was über Jahrhunderte aufgebaut wurde und von den Päpsten, der römischen Kurie und auch von den Nuntien über Generationen hinweg praktiziert und gefördert wurde, sollte man nicht einfach aufgeben. Das ist eine alte Weisheit. Zudem ist es durch das heutige Wahlverfahren, das ja weitgehend im Verborgenen stattfindet, so, dass während der Wahl selber die Gläubigen nicht mehr in der Kathedrale versammelt sind, da der Gewählte nicht sofort bekannt gegeben wird. Die Kirche hat den Ritus so verändert, dass sie hier in einer bestimmten Phase auf das Gebet verzichtet. Das ist in der Kirchengeschichte immer schlecht gewesen, wenn die Kirche selber auf das Gebet verzichtet.“

(rv 21.04.2017 mg)








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