2017-04-08 12:39:00

Wenn Luther heute wieder auftreten würde...


Dass im Vatikan von Luther und der Reformation die Rede ist, kommt mittlerweile etwas häufiger vor. Beachtlich bleibt es dennoch. Auch bei den Fastenpredigten für den Papst und die Kurienspitze hat an diesem Freitag Luther eine Rolle gespielt. Der päpstliche Prediger, Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, deutete das Reformationsgedenken als eine Chance für „Gnade und Versöhnung für die ganze Kirche“.

Franziskus und seine engsten Mitarbeiter hörten sich schweigend an, wie Cantalamessa den Römerbrief aus dem Neuen Testament auslegte. Genau hier, im ersten Kapitel, habe Luther vor einem halben Jahrtausend „in seiner Verzweiflung, weil er sich trotz aller religiösen Observanz und Busse doch nicht im Frieden mit Gott fühlte“, auf einmal den Satz entdeckt: „Der aus Glauben Gerechte wird leben“. Da nehme seine Reform ihren Ausgang.

„Die Gelegenheit, die diese innere, persönliche Erfahrung in einen wahren Erdrutsch verwandelte, war der Zwischenfall mit den Ablassbriefen. Er bewog Luther dazu, die berühmten 95 Thesen am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg zu nageln. Es ist wichtig, auf diese historische Abfolge der Geschehnisse hinzuweisen: Denn sie zeigt uns, dass die These von der Rechtfertigung des Sünders durch Glauben und nicht durch die Werke keineswegs das Resultat der Polemik mit der Kirche war, sondern vielmehr ihr Ausgangspunkt!“

Nun sind sich zwar Historiker immer mehr darin einig, dass Luther damals nicht wirklich eigenhändig seine Thesen an eine Tür genagelt haben wird – aber Kapuziner dürfen, wenn sie predigen, ruhig konkrete Bilder zeichnen. Cantalamessa erinnerte daran, dass das Konzil von Trient einige Jahrzehnte nach der (wie auch immer erfolgten) Veröffentlichung von Luthers Thesen dann den „Primat des Glaubens“ bekräftigt habe. Revolutionen brächen nun mal „nicht wegen abstrakten Theorien aus, sondern wegen konkreten historischen Situationen“, bemerkte dazu der Papstprediger.

Es sei ein Irrweg gewesen, dass die Kirche vor allem den Wert der Werke betont habe. „Vor allem, weil man unter guten Werken damals gar nicht so sehr diejenigen verstand, die Jesus in Matthäus 25 nennt und ohne die man, wie er sagt, nicht ins Himmelreich eintreten kann. Man verstand darunter eher Pilgerfahrten, Votivgaben, Novenen, Spenden an die Kirche und auch Ablässe...“

Die „Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben“, die von Luther ausgegangen sei, hat nach dem Urteil von Padre Cantalamessa „zweifellos eine Steigerung in der Qualität des christlichen Lebens zur Wirkung gehabt“. Und das, obwohl sie über Jahrhunderte den „Graben zwischen Katholiken und Protestanten“ markiert habe – übrigens auch, wie er hinzufügte, den Graben zwischen Christentum und Judentum. Die Katholiken hätten in dieser Optik „den jüdischen Ritualismus fortgesetzt und die Protestanten die christliche Neuheit“.

Katholiken hätten im Lauf der Geschichte erst lernen müssen, dass „die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben keine Erfindung des Völkerapostels (Paulus) war, sondern die zentrale Botschaft des Evangeliums“. Cantalamessa zitierte dazu den zentralen Umkehrruf Jesu aus den Evangelien: „Kehrt um und glaubt! Das sind nicht zwei verschiedene Dinge: Kehrt um, das heißt, glaubt. Kehrt um, indem ihr glaubt. Ändert euer Denken, tretet in eine neue gedankliche Ordnung ein, denn das Neue ist gekommen...“

Vielleicht sei der Zwist zwischen Luther und der Kirche seiner Zeit auch deshalb aufgekommen, weil die Frömmigkeitspraxis damals viele Unarten aufgewiesen habe, vermutete Cantalamessa. Wenn man heute die Theologie-Lehrbücher von damals oder die Schrift „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempis lese, die „tägliche Lektüre der Frommen“ gewesen sei, dann finde man dort noch heute „eine wunderbare Lehre von der Gnade“. Und dann könne man gar nicht verstehen, gegen wen Luther damals eigentlich aufbegehrt habe. Schaue man hingegen auf das gelebte christliche Leben von damals, dann sehe die Sache ganz anders aus.

„Ich halte es für wesentlich, dass wir jetzt beim Reformationsgedenken nicht Gefangene der Vergangenheit bleiben und nur untersuchen, wer recht oder unrecht hatte. Stattdessen sollten wir einen Sprung nach vorne machen! Die Lage hat sich seit damals geändert. Die Fragen, die zur Trennung zwischen römischer Kirche und Reform geführt haben, waren vor allem die Ablässe und die Rechtfertigung. Aber können wir wirklich behaupten, dass das die Probleme sind, mit denen der Glaube des Menschen von heute steht oder fällt?“

Für Luther habe das „existenzielle Problem“ darin bestanden, wie er sein Schuldgefühl überwinden und einen gnädigen Gott finden könne. Heute sei es doch genau umgekehrt: „Wie kann man im Menschen das Sündenbewusstsein wieder wecken, das er vollkommen eingebüßt hat?“

„Die Rechtfertigung durch den Glauben an Christus müsste heute von der ganzen Kirche gepredigt werden, und zwar kräftiger als je zuvor! Aber nicht in Opposition zu den „Werken“, von denen das ganze Neue Testament spricht, sondern im Gegensatz zum Übermut des postmodernen Menschen, der denkt, er könne sich alleine retten mit seiner Wissenschaft und Technologie, oder mit beruhigender, improvisierter Spiritualität. Das sind die Werke, auf die der moderne Mensch vertraut. Ich bin davon überzeugt: Wenn Luther heute wieder auftreten würde, dann würde er auf diese Art und Weise ebenfalls die Rechtfertigung durch den Glauben verkünden!“

Christus sei „das Herz der Botschaft“, so Cantalamessa abschließend, „mehr noch als die Gnade oder der Glauben“. Christus sei „der Artikel, mit dem die Kirche heute stehe oder falle“: ein Mensch, „keine Lehre“.

(rv 08.04.2017 sk)








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