2017-03-31 12:31:00

Venezuela: Nichts ist mehr auszuschließen


Kann die Demokratie noch gerettet werden? Seit mehr als drei Jahren wird Venezuela von einer massiven Versorgungskrise und schweren politischen Spannungen erschüttert. Menschenrechtsorganisationen und die katholische Kirche kritisieren die politische Verfolgung von Oppositionellen, die Präsident Nicolas Maduro für die Krise verantwortlich machen. Nun spitzt sich die Lage im südamerikanischen Staat zu: Das Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit hat, ist durch das Oberste Gericht des Landes entmachtet worden. Die Macht liegt nun de facto in den Händen des umstrittenen Präsidenten, der seit über einem Jahr den Versuchen der Opposition trotzt, ihn des Amtes zu entheben. Wir fragten den Venezuela-Referenten des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Reiner Wilhelm, ob der Schachzug, mit dem das Oberste Gericht jetzt Maduros Macht gefestigt hat, überhaupt legal war.

Wilhelm: „Nein, war er nicht. Es ging gar nicht um die Frage des Parlaments an sich, es ging eigentlich um die ganz konkrete Frage der Joint Ventures mit der Ölindustrie: Ob ausländische Industriebetriebe in Venezuela nach Öl suchen und auch Öl fördern könnten. Das obliegt eigentlich der Entscheidung des Parlaments, und hier hat Maduro gesagt: Nein, es muss entschieden werden, ob das wirklich der Verfassung entspricht.“

RV: Aber ist das denn jetzt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt? Es formieren sich jetzt schon Proteste; dabei hat sich die venezolanische Bevölkerung ja bisher erstaunlich ruhig verhalten in dieser gesamten Krise. Was muss man jetzt erwarten?

„Ich gehe davon aus, dass es beim Protest allein nicht bleibt. Jetzt wird sich hoffentlich definitiv entscheiden, wo der Zug hingeht. Die Menschen gehen auf die Straße, die Menschen protestieren, sie wissen, dass es so einfach auch nicht mehr weitergehen kann. Der Grund, weshalb die Menschen bisher ruhiggeblieben sind, ist das System: Das ist so aufgebaut, dass man dann keine Nahrungsmittel mehr bekommt, wenn man sich in Opposition zur Regierung stellt. Man wird auch von verschiedenen Entscheidungen abgehalten und hat dann keine Möglichkeiten mehr, zu überleben. Und die Hungersnot ist frappierend. Es gibt viele Menschen, die inzwischen im Müll nach Lebensmitteln suchen, um sich und ihre Familien zu ernähren.

Das ist einer der Gründe, weshalb es bis heute so ruhig geblieben ist. Ein anderer Grund: Es gibt Schlägertrupps auf der Straße. Wenn die davon Wind bekommen, dass jemand der Opposition angehört, dann muss dieser mit Repressionen bis hin zum Mord rechnen.“

RV: Wie ist denn jetzt die Situation der oppositionellen Abgeordneten? Ihre parlamentarische Immunität wurde ja auch aufgehoben - müssen sie jetzt tatsächlich auch um Leib und Leben fürchten?

„So ist es. Einer der oppositionellen Abgeordneten ist ja vor etwa zwei Monaten ins Gefängnis geworfen worden. Das war bereits damals gegen die Verfassung und vor allem gegen die Immunität der Abgeordneten gerichtet, und es gab da bereits Befürchtungen, dass die Demokratie ausgehöhlt wird. Am Dienstag ist tatsächlich dann auch die Immunität für alle oppositionellen Parlamentarier aufgehoben worden. Man rechnet und man darf auch wirklich mit dem Schlimmsten rechnen. Die Situation hat sich durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zusätzlich stabilisiert: Jetzt ist es auch wirklich deutlich, dass es eine Diktatur ist.“

RV: Ein wichtiger Stichtag für das geforderte Abwahlreferendum wäre der 10. Januar gewesen. Der ist mittlerweile vergangen. Wie ist denn jetzt die Situation, wenn es zu Neuwahlen kommen sollte?

„Laut der Verfassung, falls es zu dem sogenannten Abberufungsreferendum kommen sollte, würde dann der Vizepräsident Präsident werden. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es zu diesen Wahlen kommen wird, denn Präsident Maduro hat bis jetzt alle Wahlen, die anstanden, verhindert. Also, der 10. ist verstrichen, es wird darauf hinauslaufen, dass es Präsidentschaftswahlen geben müsste.“

Auch die Bischöfe stehen unter Zensur

RV: Und was sagen die Bischöfe im Land dazu? Sie haben ja immer wieder zur Ruhe und Besonnenheit und Dialog gemahnt. Kann man jetzt abschätzen, wie die Bischöfe reagieren auf diese ganz offensichtliche Wende hin zur Diktatur?

„Sie haben ja schon im Januar reagiert, indem sie einen Hirtenbrief geschrieben haben, nach der Vollversammlung der Bischofskonferenz. Daraus ging natürlich deutlich hervor, dass man sehr besorgt ist um die Demokratie, sehr besorgt ist um das Land und sehr besorgt ist um die Sicherheit. Und in diese Richtung wird auch das neue Dokument gehen; gestern habe ich mit Monsignor Padrón (der Vorsitzende der venezolanischen Bischofskonferenz, Anm.) gesprochen, man wird sich heute öffentlich dazu äußern. Problematisch ist: Dieses Hirtenwort wird wahrscheinlich nur in internen Kreisen zirkulieren können, denn die Homepage der Bischofskonferenz wird von der Regierung stark behindert. Man kommt nicht mehr auf die Homepage, man bekommt also keine Informationen mehr darüber, was die Bischöfe sagen.“

RV: Wie kann man die aktuelle Situation im Land beschreiben? Wie geht es der Bevölkerung damit, was hat Ihnen vielleicht auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Diego Padrón, dazu gesagt?

„Als ich ihn gestern Abend angerufen habe, gab es einzelne Proteste; die Situation war allerdings die, dass es ruhig geblieben ist. Für Samstag sind Großproteste angekündigt, die Opposition hat auch die Militärs aufgefordert, sich dazu zu äußern. Man versucht, gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern, aber auszuschließen ist da eigentlich nichts mehr, denn die Situation ist wirklich sehr verfahren. Auch international isoliert sich das Land immer mehr. Die ersten Reaktionen waren sehr deutlich: Peru hat z.B. seinen Botschafter definitiv zurückgezogen, andere haben festgestellt, dass die Demokratie stark in Gefahr ist. Der Präsident der Vereinigung Amerikanischer Staaten hat für Samstag zu einer Sondersitzung eingeladen, und da wird es sicherlich darum gehen, Venezuela aus der Gemeinschaft der Amerikanischen Staaten zu entfernen.“

RV: Wie geht denn Adveniat mit dieser Lage um?  

„Adveniat versucht in dieser Situation natürlich auch nicht untätig zu sein: Wir unterstützen schon seit langem die Menschen mit dem Kauf von Nahrungsmitteln. Es gibt noch Nahrungsmittel, die sind aber sehr teuer, und mit unserem Geld kann man also noch Nahrungsmittel kaufen. Wir versuchen da, wo es möglich ist, auch Medikamente zu besorgen und zu organisieren, dass Menschen behandelt werden können. Das sind alles Kleinigkeiten, aber die sind wichtig - und ganz wichtig ist, dass wir als Adveniat dieses Land nicht aus dem Blick verlieren und wir als Weltgemeinschaft dieses Land im Moment nicht alleine lassen.“

(rv 31.03.2017 cs/gbs) 

 








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