2017-03-27 14:06:00

Nigeria: Terror gegen Glaubensstärke


Oberflächlich betrachtet geht das Leben im Norden Nigerias seinen gewohnten Gang, doch unterschwellig ist die Gefahr von Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten immer präsent. Das berichtet im Gespräch mit Radio Vatikan Karin Maria Fenbert, die Geschäftsführerin des katholischen Hilfswerks Kirche in Not Deutschland. Gemeinsam mit 14 Kollegen aus zehn Ländern hat sie in den vergangenen Tagen Nigeria bereist, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Wer Nigeria hört, denkt mittlerweile sofort an Boko Haram – die islamistische Terrororganisation, die seit Jahren insbesondere im Norden des Landes ihr Unwesen treibt und es im Lauf der Zeit dank ihrer Brutalität und Gewaltbereitschaft zu trauriger Berühmtheit gebracht hat. Auf ihrer Delegationsreise konnten die Vertreter von Kirche in Not mit Opfern der Terrorsekte sprechen, aber auch mit christlichen Gläubigen, Priestern und Bischöfen, die trotz der Opfer, die sie täglich bringen müssen, für einen starken und lebendigen Glauben stehen. 

„Die Kirchen und die Messen, in denen wir waren, waren voll, es war eine unglaubliche Stimmung – dort wird wirklich Messe gefeiert. Die können dann auch mal zweieinhalb Stunden dauern… Also, man kann sagen, die Kirche ist wirklich am Blühen: Man spricht in Nigeria von den goldenen Jahren. Aber wie uns einer von den Bischöfen erzählte, die wir getroffen haben, ist das vielleicht auch ein Grund, warum es in Nigeria schon so lange und nicht erst seit Boko Haram Auseinandersetzungen mit den Muslimen gibt.“

Muslime fürchten wachsenden Einfluss der Christen

Früher habe es im Nordteil des Landes kaum Christen gegeben, mittlerweile sei ihr Anteil aber auf schätzungsweise rund 35 Prozent angestiegen, berichtet uns Karin Maria Fenbert. Im Zusammenschluss mit den Glaubensgeschwistern des übrigen Landes hätten die Christen ein starkes Potential, auch politische Entscheidungen mitzubestimmen. Das sei 2011 bei der Wahl des vorletzten Präsidenten, des Christen Goodluck Jonathan, deutlich geworden. „Und insofern war man sehr gespannt, was 2015 passieren würde, und in diesem Fall wurde wieder ein Muslim, Muhammadu Buhari, zum Präsidenten bestimmt, was vermutlich für den Frieden im Land gut war – sonst wäre es wohl noch zu viel heftigeren Ausschreitungen gekommen.“

Ein unterschwellig schwelender Konflikt, der im Land zu einer Art Zwei-Klassen-Gesellschaft führe, so die resignierte Einschätzung eines Bischofs vor Ort, erzählt uns Fenbert. Dies gelte insbesondere in den Bundesstaaten Nigerias, wo das Schariarecht bereits gelte – muslimische Straftäter kämen so unverhältnismäßig oft ungeschoren davon, das Nachsehen hätten Christen, denen mit dem Blasphemievorwurf immer irgend etwas angehängt werden könne. Es gebe Tendenzen, das Schariarecht auch in den Staaten zu etablieren, in denen dieses noch nicht gelte, betont Fenbert. Dabei helfe auch eine Medienpolitik, die versuche, Schlüsselpositionen mit Journalisten muslimischen Glaubens zu besetzen und in von Christen bewohnten Gebieten mehr Muslime anzusiedeln. Viele Konflikte, mit denen die Bevölkerung und die Politik umzugehen haben: Der Kampf gegen die Terrorsekte Boko Haram ist da nur die besonders augenfällige Spitze des, nun ja, Eisbergs.

Gleich zwei brutale Terrorgruppen im Land

Doch Nigeria wird nicht nur durch die Terrorsekte Boko Haram geplagt. Immer schlimmer werden auch die Ausschreitungen, die dem Nomadenvolk der Fulani zugerechnet werden – hier wird der religiöse Konflikt zwischen Christen und Muslimen noch akzentuiert durch ethnische Spannungen, die es zwischen dem muslimischen Hirtenvolk und den ansässigen, oft christlichen Bauern gibt. Fenbert: „Wir waren nicht nur in Maiduguri, wir waren auch in Kafanchan, das ist eine Diözese im Süden Kadunas, und dort hat man viel größere Schwierigkeiten mit den so genannten Fulani, das sind nomadisierende Muslime, die mit ihren Herden umherziehen.“ Der dortige Bischof habe berichtet, dass allein in den vergangenen sechs Monaten über tausend Menschen den Scharmützeln zum Opfer gefallen sein, erzählt uns Fenbert. „Die Fulani gelten wohl weltweit als die drittschlimmste Terrorgruppe, was Opferzahlen anbelangt, also nach Boko Haram und dem IS, noch vor Al-Qaida.“ Ein prominenter Platz in der Rangliste des Terrors also, und gleich zwei der schlimmsten Terrororganisationen weltweit auf dem Territorium Nigerias.

Was waren denn angesichts dieser Schwierigkeiten, wollten wir wissen, die Anliegen, die die Ortskirchen an Fenbert und ihre Kollegen herangetragen haben? „Also, das erste Anliegen der Bischöfe war, und das haben wir ausnahmslos von allen gehört, dass sie sehr froh waren, dass wir aus allen Teilen der Welt, also überall, wo Kirche in Not Büros unterhält, es gewagt haben, in den Nordteil des Landes zu reisen und zu zeigen, dass dies möglich ist. Denn selbst viele Südnigerianer trauen sich nicht nach Nordnigeria. Das war das Allerwichtigste.“

Vor Ort Vertrauen schaffen

Die Bischöfe hätten es auch sehr geschätzt, dass die Vertreter des Hilfswerkes selbst gekommen seien, um sich die Situation vor Ort anzusehen, und mit ihrer Anwesenheit dem Vertrauen der Bevölkerung, „und vermutlich der Bischöfe auch“, Auftrieb gegeben hätten – denn diese fühlten sich vor Ort oft allein gelassen. „Man hat dort oft gehört: Es wird in der Welt nunmehr nur auf den Nahen Osten gesehen, und kaum mehr auf die Situation in Nigeria“, gibt Fenbert zu bedenken. „In Maiduguri sagte uns ein Kirchenvertreter, dass sich in dem dortigen Gebiet über eineinhalb Millionen Menschen aufhalten, die durch die terroristischen Taten zu Heimatvertriebenen geworden sind.“ Wenn man dies etwa mit der Flüchtlingsproblematik in Deutschland vergleiche, dann rücke das die Perspektiven doch wieder etwas zurecht, so die Geschäftsführerin von Kirche in Not.

Zwar hätten viele Menschen in Nigeria das Glück, bei Familienangehörigen Unterschlupf zu finden, aber das sei für etwa dreißig Prozent der Vertriebenen nicht der Fall. Und hier springe in der Regel die Kirche ein. Immer wieder die Kirche: Für Fenbert war es überhaupt eine intensive Erfahrung, die Lebendigkeit der Kirche und des Glaubens und die damit verbundenen hohen Berufungszahlen hautnah mitzuerleben. „Wir waren auch in Jos, in der Diözese des Vorsitzenden der nigerianischen Bischofskonferenz, Ignatius Kaigama. Dort haben wir ein Priesterseminar besucht mit 437 Seminaristen, in Kaduna waren es 140 Seminaristen. Ich denke, wer sich im Nordteil Nigerias für die Priesterberufung entscheidet, der weiß schon auch, wie gefährlich das im Norden ist - und dennoch sind die Zahlen steigend, so dass sie ihre Gebäude ausbauen müssen.“

(rv 27.03.2017 cs)








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