2017-03-23 13:34:00

Vatikan/Kamerun: Der „ewige Präsident“ beim Papst


Er ist dem am längsten amtierende Präsident Afrikas, und er hält sein Land in eisernem Griff: Kameruns Präsident Paul Biya, den Papst Franziskus an diesem Donnerstag in Audienz empfing. Man habe über sozialen Zusammenhalt und Minderheitenrechte in Kamerun gesprochen, geht aus der offiziellen, allgemein gehaltenen Vatikannote hervor, die im Anschluss an das Treffen im Vatikan veröffentlicht wurde.

Kamerun, das lange Zeit als Stabilitätsfaktor in Zentralafrika galt, wird in letzter Zeit durch Proteste und soziale Spannungen erschüttert: Sie sind eine Folge des autoritären Führungsstils Paul Biyas, sagt Frank Wiegandt vom katholischen Hilfswerk Misereor im Interview mit Anne Preckel. Der „ewige Präsident“ verweigere sich notwendiger Reformen, spalte sein Land und lasse Regimekritiker einfach wegsperren, so Wiegandt.

„Die jüngsten sozialen Spannungen sind ein Symptom der allgemeinen Krise in Kamerun auf politischer, auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene. Das Grundübel ist die schlechte Regierungsführung, Kamerun ist eine Gerontokratie, der erste Mann im Staat ist 84 Jahre alt, davon 34 Jahre an der Macht. Der zweite Mann im Staat ist 82 Jahre alt. Dabei ist die Mehrheit der Bevölkerung unter 20 Jahre alt! Und die Bevölkerung der beiden anglophonen Regionen fühlt sich diskriminiert. Das besondere Rechts- und Schulsystem wird nicht geachtet, nicht englischsprechende Richter und Lehrer werden in den anglophonen Regionen eingesetzt, Texte werden nicht ins Englische übersetzt und vieles mehr. Daher ist die Bevölkerung in diesen beiden Regionen frustriert und von daher kommt der Streik der Anwälte, der schon im Oktober anfing, später haben auch die Lehrer gestreikt, und im Januar hat die Regierung einfach das Internet abgeschaltet für die beiden anglophonen Regionen.“

RV: Diese Proteste, seit wann gibt es die und wie haben die sich in den letzten Monaten entwickelt?

„Also die Unzufriedenheit ist latent schon länger vorhanden. Das gilt für die beiden anglophonen Regionen, aber eigentlich auch für ganz Kamerun. Aufgrund der Tatsache, dass die Regierung einfach nicht liefert, dass es keine Reformen gibt, dass es keine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung gibt, dass die Jugendlichen keine Perspektiven haben.“

RV: Hat die Opposition mit diesen Protesten etwas in der Hand oder würden Sie sagen, es ist aussichtslos, Biya stellt sich sozusagen taub und ist unnachgiebig?

„Also von Paul Biya, der das Land seit 1982 regiert und da vorher sieben Jahre Premierminister war, sagt man, dass er sich kaum im Lande aufhält. Die Reaktion der Regierung war erst sehr regressiv, später hat man dann den Premierminister – das ist der vierte Mann im Staat – in die beiden anglophonen Regionen geschickt, um dort, wie die staatlichen Medien in Kamerun berichtet haben, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Also der Regierung geht es darum, dass die Schulen wieder aufgemacht werden und Normalität vorgetäuscht wird. Aber die Protestierenden und die Streikenden wollen die Freilassung der Inhaftierten erreichen, die Wiedereinschaltung des Internets und konkrete Verhandlungen. Da muss die Regierung ja Kompromissbereitschaft zeigen und da hat es in der letzten Zeit doch Bemühungen gegeben, einige Fortschritte, und der Regierung ist es offenbar wichtig, dass die Einheit der Nation nicht infrage gestellt wird. Weil eine Lösung, eine Kompromissformel wäre, dass es zu einer effektiven Dezentralisierung im Lande kommt und dass die Regionen und die Verwaltungen in der Peripherie etwas mehr Gestaltungsspielraum und Autonomie bekommen.“

RV: Woran lesen Sie ab, dass es da so Ansätze von Dialogbereitschaft gibt auf Seite des Präsidenten?

„Zum einen hat es eine Tour des Premierministers (durch das Land, Anm.) gegeben und zum anderem hab ich jetzt gehört, wurde mir auch von den Partnern, die wir im Lande haben, übermittelt, dass es eine Kommission gibt oder die eingerichtet werden soll für die Pflege der englischen Sprache und der englischsprachigen Kultur in den beiden anglophonen Regionen. Mal sehen, ob das vor Ort als Fortschritt angesehen wird. Es bleibt aber dabei, dass die Regierung da gefordert ist und das Internet wieder einschalten sollte und vor allem die willkürlich Inhaftierten wieder freilassen sollte. Und dann kann man sich vorstellen, dass es konkrete Verhandlungen geben könnte.“

RV: Welche Positionen nehmen denn die christlichen Kirchen angesichts dieser spannungsgeladenen Situationen ein?

„Also die fünf Bischöfe der beiden anglophonen Regionen baten um einen Termin beim Präsidenten, der Termin wurde ihnen aber nicht gewährt. In einem Memorandum haben sie an die besondere Geschichte der beiden anglophonen Regionen erinnert und haben Zugeständnisse gefordert von der Regierung, mehr Sensibilität für die Identität für die Kultur in dem anglophonen Raum und haben für Dialogbereitschaft plädiert. Andere Bischöfe der katholischen Kirche sind regierungsnah und geben sich reservierter. Also viele Kreise vor Ort trauen vor allem Kardinal Tumi eine Vermittlerrolle zu. Der Kardinal ist der emeritierte Erzbischof von Douala, hat einen anglophonen Hintergrund, aber hat auch lange als Bischof in frankophonen Regionen gewirkt.“

RV: Boko Haram in Kamerun - seit 2014 treibt die Terrorsekte auch in diesem afrikanischen Land ihr Unwesen. Wie äußert sich das?

„Boko Haram verübt Anschläge im Norden und terrorisiert die Bevölkerung, die kamerunische Armee ist dort stationiert und versucht, Boko Haram in Schach zu halten. Wir haben gehört, dass neuerdings Boko Haram auch in Nord-Kamerun aktiv rekrutiert, weil einfach Jugendliche dort keine Perspektiven haben. Insgesamt verurteilen alle, natürlich auch die Muslime, diese Angriffe von Boko Haram, allerdings muss man konstatieren, dass in Nord-Kamerun immer mehr salafistische Prediger unterwegs sind, die in Saudi Arabien ausgebildet wurden und die einen eher intoleranten oder radikalen Islam propagieren.“

RV: Sie kennen die Region sehr, sehr gut, waren oft vor Ort – diese Tendenzen, diese Islamisierung, hat die Ihrer Beobachtung nach in den letzten Jahren zugenommen?

„Ich würde sagen, dass aufgrund der schlechten Regierungsführung, der Tatsache, dass die Menschen im Alltag mit so vielen Problemen konfrontiert sind, aufgrund der Armut auch gerade im Norden, die Gefahr besteht, dass Jugendliche, junge Leute ansprechbar werden für radikalere Formen des Islam und da treffen sie auf Prediger, die nicht in Kamerun ausgebildet wurden, sondern in Saudi Arabien. Diese propagieren dann diese wahhabitische oder salafistische Prägung des Islam und werden dabei von Saudi Arabien unterstützt. Das ist eine Gefahr für die Gesellschaft in Kamerun.“

RV: Es heißt ja, das Land ist eigentlich reich. Ist das richtig und wenn ja, warum kommt dieser Reichtum denn nicht bei der Bevölkerung an?

„Das ist richtig, Kamerun ist reich. Man nennt es in Französisch l´Afrique en miniature. Kamerun hat viele Potentiale, die Bevölkerung ist auch sehr aktiv und dynamisch und kreativ und gut ausgebildet. Der Reichtum kommt leider bei der Bevölkerung nicht an, aufgrund der schlechten Regierungsführung, der Korruption, der Vetternwirtschaft. Da gehen einfach viele Energien, viele positive Dinge verloren aufgrund der Tatsache, dass seit über 30 Jahren die Gleichen die Macht monopolisieren, dem Land keine vernünftige Perspektive geben und Entwicklungsmöglichkeiten nicht wahrnehmen.“

RV: Sie haben gerade im Zusammenhang mit Boko Haram schon gesagt, dass sich auch Muslime durch diesen Terror bedroht fühlen und sich davon abgrenzen. Wie ist denn allgemein das religiöse Zusammenleben zwischen Christen, Muslimen und den traditionellen Religionsvertretern in Kamerun?

„Ich würde sagen, das ist relativ gut. Kamerun ist ein laizistischer Staat, jeder darf seiner Religion nachgehen, seinen Glauben leben, solange er sich an Recht und Gesetz hält und das funktioniert recht gut. Es gibt auch eine sehr gute, lokale Organisation, die heißt ACADIR, der Verein für den interreligiösen Dialog in Kamerun, ein Verein, den wir auch fördern und der setzt sich in allen Landesteilen dafür ein, dass Muslime, Christen und auch Anhänger der traditionellen Religionen sich zusammenfinden, absprechen und gemeinsam vorgehen. Dazu gehört auch Entwicklungen zu gestalten, Stereotypen abzubauen und dem Staat gegenüber auch Kritik zu üben, wenn es darum geht, dass Möglichkeiten auch von Jugendlichen, was Entwicklung anbelangt, wahrzunehmen sind.“

Hintergrund

Die sozialen Spannungen im Land spiegeln die Kolonialvergangenheit: Als sich 1961 nach einer Volksabstimmung das nördliche Kamerun Nigeria und das südliche dem Kamerun anschloss, wurde den englischsprachigen Regionen zugesagt, dass sie das britische Rechtssystem und Englisch als Verkehrssprache beibehalten könnten. 1972 wurde das föderale System jedoch stark begrenzt. Seither fühlt sich die englisch-sprachige Minderheit als Bürger Zweiter Klasse diskriminiert.

In Kamerun gibt es etwa 25 Prozent Katholiken, 25 Prozent Protestanten, 20 Prozent Muslime und mehrere traditionelle Religionen. Benedikt XVI. besuchte das Land im Jahr 2009. 

 

(rv/pm 23.03.2017 pr)








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