2017-03-22 10:10:00

Heiner Bielefeldt: „Populisten greifen Menschenrechte an“


Populistische Bewegungen in Europa greifen den gesellschaftlichen Konsens über Menschenrechte an. Das beobachtet der Theologe, Philosoph und Historiker Heiner Bielefeldt. Der Deutsche, der zwischen Juni 2010 bis Oktober 2016 Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats war, ist in diesen Tagen anlässlich einer Konferenz zu Menschenrechten und Katholischer Kirche in Rom. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg an diesem Mittwoch:

„Neu ist, dass die Menschenrechtsidee selber zerfleddert, zerpflückt und direkt attackiert wird durch populistische Regime, durch populistische Bewegungen, in vielen Teilen der Welt, aber eben auch in Europa. Lange Zeit, hat man den Eindruck in Europa, im Westen überhaupt, sind die Menschenrechte einigermaßen klar gewesen, Anfragen dazu kamen ,von außen‘. Mittlerweile kommen die Anfragen von allen Seiten her! Manche populistische Regime - etwa in Ungarn - berufen sich auch auf die Demokratie, spielen aber Demokratie gegen Menschenrechte aus. Sie spielen beispielsweise ein Wir-Gefühl, das manchmal auch etwas vordergründig mit christlichem Abendland unterlegt wird, gegen menschenrechtliche Solidarität mit Flüchtlingen aus. Das ist schon eine Konstellation, die auch sehr neue Züge hat und die sehr klare Antworten verlangt.“

Aggressive Demagogie: Menschenrechte als Elitenthema

Dass viele Europäer heute empfänglich sind für die Hetze populistischer Parteien, erklärt sich der Historiker einerseits mit zunehmender Geschichtsvergessenheit. Andererseits beobachtet Bielefeldt auch eine aggressive Demagogie, die Grundwerte verhöhnt.

„Also die Menschenrechte werden gelegentlich ja denunziert als das Konstrukt liberaler Eliten oder linker Eliten, und es wird vergessen, dass Menschenrechte überhaupt kein Konstrukt sind. Menschenrechte sind Antworten auf fürchterliche Erfahrungen, auf Erfahrungen von Unrecht, Megaverbrechen vor allem im 20. Jahrhundert. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 spricht davon, dass das Gewissen der Menschheit erschüttert worden ist. Das ist zusagen die Situation, auf die Menschenrechte reagieren, und vielleicht ist es zum Teil vergessen worden. Aber wird erleben tatsächlich auch Denunziationen – als seien das sozusagen Privathobbies irgendwelcher Intellektueller, die da etwas Abstraktes konstruieren, ganz weit von den Menschen! Und gegen diese ätzende zynische Rhetorik müssen wir glaub ich auch sehr klar angehen.“

Angst und Armut entsolidarisieren

Drittens trügen veränderte gesellschaftliche Bedingungen dazu bei, dass Egoismus und mangelnde Solidarität gegenüber anderen Menschen Fuß fassen könnten – Stichwort Wirtschaftskrise.

„Es gibt ganz viele Ängste, Abstiegsängste, kulturelle Ängste, Verlust der vertrauten Lebenssphäre, das Gefühl der Überforderung - also wir leben in Zeiten, in denen einem in der Tat ein bisschen schwummerig werden kann und die Gefahr ist, dass Ängste dann zu Verengungen führen, zu Kleinherzigkeit, zur Abschottung, zur Entsolidarisierung - nach dem Motto: Jeder rettet, was er für sich selber retten kann. Menschenrechte sind eine Solidaritätsbewegung: es geht um die Menschenwürde aller. Die derzeitige Konjunktur der Ängstlichkeit, auch der Kleinherzigkeit, ist eine echte Gefahr! Wir müssen uns wirklich was einfallen lassen, also auch tatsächlich kommunikativ, wie man auf Menschen zugehen kann und ihnen eigentlich die Attraktivität der Menschenrechtsidee nochmal wieder neu erklären kann.“

Kirche kann noch mehr tun

Die Religionsgemeinschaften hätten diesbezüglich „eine Menge Möglichkeiten“, zeigt sich der Menschenrechtsexperte überzeugt – Möglichkeiten, die noch nicht voll ausgeschöpft seien, wie er findet.

„Ich glaube, sie (die Religionsgemeinschaften, Anm.) haben auch Manches klarzustellen. Wir erleben ja auch anti-menschenrechtliche Rhetorik zum Teil im Namen religiöser Werte. Oft sind diese Werte etwas wage - da rutschen manchmal Territorium und Religion ineinander über. Konzepte wie ,Abendland‘ - die PEGIDA versteht sich auch als eine Bewegung zur Rettung des Abendlandes. Was da christlich sein soll, versteht man nicht so recht - das Abendland mit Stacheldrähten einzuzäunen ist ja auch nicht gerade christlich… Also da wünsche ich mir auf der einen Seite sozusagen Widerspruch seitens der christlichen Kirchen. Den gibt’s ja auch, aber er könnte auch lauter und entschiedener ausfallen, auch aus den Ländern selber, auch aus Polen, aus Ungarn. Ich will keineswegs nur auf diese Länder schauen, auch bei uns in Deutschland erleben wir ja Abschottungsbewegung. Also da muss man auf der einen Seite klare Kante zeigen.“

Darüber hinaus gehe es „auch um die positive Botschaft, dass die Menschenrechte ja selber einen hohen ethischen Anspruch darstellen“, so Bielefeldt:

„Da geht’s ja nicht nur um Juristerei und Institutionen, die Leitidee ist letztlich: Die Würde des Menschen. Die steht nicht nur bei uns im Grundgesetz oben an, sie steht auch in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte ganz oben an in einer Formulierung, die mir noch besser gefällt als im Grundgesetz. Nämlich: ,Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde‘. Das ist der Auftakt. Also hier sehe ich wirklich auch tatsächlich eine Aufgabe für die Religionsgemeinschaften das klarzustellen.“

Als weitere Aufgabe benennt der Experte den interreligiösen Dialog:

„Manche der Ängste haben ja auch was zu tun mit Islam. Auch da können dann die christlichen Kirchen helfen. Nicht, indem man reale Probleme beschönigt, aber indem man gegen Verschwörungsphantasien vorgeht und zeigt, dass auch Miteinander funktionieren kann. Es funktioniert ja nicht immer reibungslos, aber es funktioniert eben doch auch vielfach. Und natürlich die Politik hat ihre Aufgabe: Politik, das sind wir alle, wir sind ja alle als Staatbürgerinnen und Staatsbürger auch gefragt, denn die Menschenrechte sind eine Aufgabe gerade auch für den Staat, sie nämlich durchzusetzen. Staaten sind Garanten unter Menschenrechten, aber wir haben heute eine Situation, wo es nicht nur darum geht, etwas durchzusetzen, was allgemein Konsens findet, sondern auch darum, den Konsens auch wieder neu zu befestigen, neu zu erarbeiten.“

Das ganze Interview hören Sie durch Anklicken des Lautsprechersymbols oben links. Im letzten Teil des Gesprächs geht es u.a. um positive Politisierungstenden in Europa - Bielefeldt sieht auch einen neuen Einsatz für Menschenrechte in Europa. Zudem spricht der Experte im zweiten Teil des Interviews über die Religionsfreiheit im Verbund der Menschenrechte sowie über das Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und autoritärer Führung in der Türkei und in den USA. Die Fragen stellte Anne Preckel.

(rv 22.03.2017 pr)








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