2017-02-23 14:00:00

Kongo: Eine Ordensfrau erzählt


Die Demokratische Republik Kongo schafft es oft nur dann in unsere medial gefilterte Wahrnehmung, wenn etwas nicht gut läuft - so wie derzeit, mit ethnisch motivierten Massakern in Kasai und einem schwelenden, aber brandgefährlichen Konflikt um die politische Macht im Land. Zudem ist der Kongo eines der ärmsten Länder der Welt - zugleich aber, und das macht niemals Schlagzeilen, durchaus reich an ungeahnten Fähigkeiten und positiven Elementen. Was vorbildlich läuft im Kongo ist beispielsweise das friedliche Zusammenleben der Religionen, die Lebensfreude und Zuversicht seiner Bewohner inmitten oft bedrückender Lebenslagen, ihr Optimismus. Das erzählt uns in einem langen Interview eine österreichische Ordensfrau, die seit nunmehr 25 Jahren im Kongo wirkt: Schwester Brigitta Raith. Die Missionarin Christi, die als Regionalleiterin ihrer Gemeinschaft für Kongo und Südafrika wirkt, erhielt 2014 für ihren Einsatz den Menschenrechtspreis des Landes Steiermark, dem sie entstammt.

Friedliches Zusammenleben der Religionen

Die verschiedenen Religionen leben im Kongo schon seit langem friedlich zusammen, gewaltsame Auseinandersetzungen sind nicht bekannt, „auch nicht zwischen den großen Religionsgemeinschaften, wie Christentum und Islam“, erzählt Schwester Brigitta. Dabei seien „verbale Auseinandersetzungen“ in der Familie oder zwischen Nachbarn nicht ausgeschlossen, was mit der Zunahme von Freikirchen und unabhängigen Kirchen zusammenhänge. Dadurch könne es vorkommen, „dass es in einer Familie fünf verschiedene Zugehörigkeiten zu Religionsgemeinschaften gibt“. Gerade die religiöse Vielfalt bringe Christen nicht selten dazu, sich mit der Bibel und Glaubensfragen zu beschäftigen. Aus dieser Auseinandersetzung sei „ein großes Selbstbewusstsein gewachsen“, stellt die Missionarin Christi fest, der in der Kirche am meisten die Lebendigkeit auffällt: „Es ist wirklich ein äußerer Eindruck, allein dadurch, dass die Kirchen voll sind, dass viele junge Menschen und Kinder da sind, dass viel gesungen, getanzt und getrommelt wird und viele verschieden Instrumente verwendet werden. Die Art des Feierns ist besonders auffällig." Der Kongo sei „Vorreiter in der Inkulturierung“. Es werde „wirklich versucht, den Glauben der Kultur gemäß zu leben und zu feiern und da fällt einem auch die Freude am Glauben am stärksten auf und dass viele Christen und Christinnen stolz sind, der Kirche anzugehören“, veranschaulicht die Ordensfrau ihr Umfeld. 

Vertrauen, Lebensfreude und Hoffnungskraft

Die Kongolesen können durchaus als Lebenskünstler bezeichnet werden. Was Schwester Brigitta von dem Land und seinen Menschen ganz tief gelernt hat, beschreibt sie so: „Das eine ist Vertrauen. Das habe ich wirklich gelernt. Einmal, als ich schwer krank war, habe ich es ganz tief erlebt, dass mein Leben letztlich nicht unter meiner Kontrolle steht, sondern dass jemand anderer, Gott, es führt und um mich weiß - und diese Art von Vertrauen erfahre ich hier alltäglich in vielen Situationen." Die zweite Grundhaltung sei die Lebensfreude: „Mich berührt es immer so, wenn Menschen sagen, dass das erste, was sie in der Früh tun, ist, Gott zu danken, dass sie noch atmen, denn das könnte auch anders sein. Oder am Jahresende: Wir danken dafür, dass wir heute diesen Jahreswechsel erleben, viele andere sind im Lauf dieses Jahres gestorben, aber ich lebe und dafür danke ich." Die dritte Haltung sei die Hoffnungskraft: „Das nenne ich jetzt einmal so, denn es gibt Situationen, in denen man eigentlich gar keine Kraft mehr hat zu hoffen. Und ich denke, das ist ein Geschenk, das ich hier von den Menschen bekommen habe, in den schwierigsten Umständen immer noch zu sagen: Es wird schon. Es wird wieder werden. Es wird besser werden. Es werden bessere Tage kommen. Die Kraft, trotz allem immer wieder zu hoffen.“

Anpassungsfähigkeit in fragiler Politik

Der unerschütterliche Optimismus der Menschen ist auch derzeit in Bezug auf die unsichere politische Situation gefragt. Langzeit-Präsident Joseph Kabila und die Opposition können sich nicht auf eine Übergangsregelung zur Machtübernahme einigen, der Druck wächst, die kongolesischen Bischöfe haben mehrmals vermittelt, doch im Grund ist die Entwicklung offen. Schwester Brigitta und ihre Mitschwestern in Kinshasa schätzen die Lage als „sehr prekär“ ein. Doch sei sie das immer wieder schon gewesen, und genau das präge das Leben der Menschen sehr stark. „Wir planen alles, was dieses und nächstes Jahr sein wird, aber wir wissen überhaupt nicht, was morgen sein wird, und dann stellen wir uns einfach immer wieder auf die neuen Situationen ein. Das ist ganz anders als in Europa, wo man es gewohnt ist, dass man das Geplante auch umsetzen kann. Hier hängt das von so vielen verschiedenen Umständen ab. Aber wir lassen uns dadurch nicht entmutigen“, schildert die Schwester die realistische Lebenskunst der Kongolesen.

„Bilde eine Frau aus, dann hast du ein ganzes Volk ausgebildet“

In Kongos Hauptstadt Kinshasa, wo Schwester Brigitta stationiert ist, gibt es so gut wie keine Mittelschicht, und fast alle Menschen sind arm: „Der soziale und ökonomische Bereich ist eine Katastrophe. Gerade in letzter Zeit haben wir zum Beispiel wieder ganz starke Geldentwertung“, so die Ordensfrau. „Es ist ganz schwierig, genug Geld zu haben für die Krankenversorgung. Für eine Familie ist es immer eine Katastrophe, wenn ein Kind krank wird oder jemand eine Operation braucht. Es gibt kein Versicherungswesen, alles muss gezahlt werden. Und die Eltern müssen das Schulgeld aufbringen. Die Armut ist sehr, sehr stark verbreitet.“ In Kinshasa seien es praktisch die Frauen, „die die Familien ernähren und zusammenhalten, vor allem durch den informellen Sektor. Also beispielsweise ernähren viele Frauen ihre Familien, indem sie jeden frühen Morgen in die nächstgelegene Bäckerei gehen, Körbe von Brot mit heim tragen und dann vor dem Haus verkaufen. Auch eine Nähmaschine ist Lebensrettung: Wenn eine Frau nähen kann und eine Nähmaschine hat, dann kann sie ihre Familie damit ernähren. Es gibt hier das Sprichwort: Bilde einen Mann aus, dann hast du einen Menschen ausgebildet, bilde eine Frau aus, dann hast du ein ganzes Volk ausgebildet. Die Frauen sind einfach die Garanten dafür, dass sie das, was sie lernen, auch weitergeben an die nächste Generation.“

„Eigenfinanzierung ganz stark im Gespräch“

Schwester Brigitta ist von Beruf Lehrerin. Um in der Pastoral arbeiten zu können, hat sie damals an einem Institut in Kinshasa drei Jahre Religionspädagogik studiert. Eine Berufsausbildung für alle Schwestern liegt der Gemeinschaft überhaupt sehr am Herzen: denn dann können sie besser helfen. „Wir haben zur Zeit mehrere Schwestern, die an Hochschulen studieren, Psychologie, Medizin, eine andere studiert Verwaltung und Buchhaltung, eine andere wird ein Studium für Landwirtschaft aufnehmen, weil wir außerhalb von Kinshasa eine größere Fläche gekauft haben, die wir landwirtschaftlich nutzen wollen für unsere eigene Versorgung und auch um eine Geldeinnahme zu haben, indem wir verkaufen, was wir dort produzieren. Es ist einfach wichtig, dass wir langsam unabhängiger werden von außen, das heißt von Europa. Hier ist das Problem, dass die Löhne sehr gering sind. Wir haben viele Schwestern, die als Lehrerinnen arbeiten, aber wenn alles gut geht, bekommen sie 100 Dollar im Monat und damit kann man natürlich nicht viel anfangen. Die Einnahmen hier im Kongo, Löhne und Gehälter, sind sehr, sehr gering. Und deswegen müssen wir schauen, wie wir über unsere Werke zu Einnahmen kommen und uns selbst finanzieren über das Grundstück, das wir gekauft haben.“

Frauenfachschule und Geburtenstation mitten im Urwald

Die Gemeinschaft der Missionarinnen Christi ist seit 1958 in der Demokratischen Republik Kongo tätig. In der Hauptstadt Kinshasa engagieren sich die Schwestern seit 1996: Mitten im Urwald, im Kongobecken, arbeiten die Schwestern in einer eigens errichteten Frauenfachschule, erzählt Schwester Brigitta. Dort haben junge Frauen die Möglichkeit, einen Schulabschluss zu erwerben und den Beruf der Schneiderin zu lernen. Da die Mädchen teilweise aus 200 oder 300 Kilometer entfernten Dörfern kommen, ist der Schule ein Internat angeschlossen. In der Pfarrei vor Ort sind die Ordensfrauen in der Seelsorge tätig, vor allem für Kinder und Jugendliche, aber auch für alle anderen, erklärt Schwester Brigitta: „Sie kommen zu uns in all ihren Anliegen und wir sind ein Zeichen der Hoffnung für die Menschen in dieser Diözese. Das sagen sie immer wieder.“ Außerdem engagieren sich die Schwestern in Kinshasa in ihrer eigenen Kranken- und Geburtenstation sowie in der Erwachsenenbildung. Neben Kursen und Seminaren bieten sie geistliche und menschliche Begleitung an. Aus der Kriegssituation heraus sind die Missionarinnen Christi seit 1999 auch in Südafrika tätig. Dort haben sie den Schwerpunkt auf die Kindererziehung gelegt und führen einen Kindergarten, erzählt Schwester Brigitta.

Gebet für den Kongo

Papst Franziskus hatte am vergangenen Sonntag zum Abschluss des Angelus-Gebets auf dem Petersplatz auf die Gewalt im Kongo Bezug genommen. Er plädierte an die internationale Gemeinschaft sowie die nationalen Autoritäten, schnelle Entscheidungen zu treffen und rief zum Gebet für Kongo und ebenso für alle Erdteile auf, die unter Gewalt zu leiden haben. Auch für Schwester Brigitta spielt das Gebet eine große Rolle: „Es ist wirklich eine große Kraft, die uns auch sehr hilft, also wenn wir wissen, dass viele mit uns verbunden sind auch im Gebet.“ Ihr ist es ein Anliegen, daran zu erinnern, dass Afrika nicht vergessen werden darf: „Viele sind vielleicht schon enttäuscht oder entmutigt, weil uns schon so viel geholfen wurde und es offensichtlich keine Früchte getragen hat. Aber ich glaube, das stimmt nicht! Wir wissen alle, dass gesellschaftliche Umwälzungen viel Zeit und viel Geduld brauchen. Erst recht, wenn die Mentalität sich ändern soll: das geht über Generationen. Auch in Europa haben wir viel Zeit gebraucht, bis wir dorthin gekommen sind, wo wir heute sind.“

(rv 20.02.2017 jg)








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