2017-01-09 15:37:00

Eindrücke zur Papstrede: „Nicht mit Ausreden zufrieden geben“


„Wir können uns keine billigen Ausreden leisten“, „moralische Verantwortung teilen“, „Gewaltfreiheit als Leitlinie der Politik“: Es sind starke Eindrücke, welche die Adressaten der Ansprache des Papstes an diesem Montag mitgebracht haben. Zwei von Ihnen, die Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland Annette Schavan und den Botschafter der Republik Österreich Alfons Kloss, haben wir gefragt, wie sie die Rede an das diplomatische Corps gehört haben.

Schavan: „Es war eine politische Rede, eine Rede aus einem tiefen spirituellen Impuls. Für mich war die Botschaft schlechthin oder vielleicht so etwas wie ein roter Faden: Es gibt keine geteilte Verantwortung, es gibt nicht ‚uns’ und ‚die anderen’, jedenfalls kann es das im Christentum nicht geben und jedenfalls sind es die Christen, die aufmerksam, die achtsam sein müssen für all die Situationen, in denen genau das passiert: ‚Wir und die anderen’, ‚verantwortlich sind wir nur für uns’, ‚moralische Verantwortung gilt den eigenen und die anderen sollen schauen’.“

RV: Der Papst hat direkt zu Beginn auch ein Spannungsfeld aufgemacht: einerseits das selbstverständliche Gut Frieden, das wir als solches empfinden, andererseits der Friede als entferntes Wunschbild. Was für eine Rolle spielt da die Kirche, oder spezieller gefragt, was für eine Rolle spielt da der Vatikan?

Schavan: „Der Vatikan, die Kirche, die Christenheit würde ich fast sagen, spielt wohl jetzt am ehesten die Rolle derjenigen, die sich auf dieses Spiel der geteilten Verantwortung nicht einlassen, nicht einlassen dürfen, die wissen, dass es zum Kern christlicher Überzeugung und des christlichen Auftrags gehört, das achtsam wahrzunehmen. In einer Situation bei so vielen Konflikten überall, die eben der Papst auch alle benannt hat, ist das Falscheste und das Schlimmste, Verantwortung, moralische Verantwortung, zu teilen, und der Papst hat an all diesen Beispielen deutlich gemacht: Das geht nur gemeinsam, insieme.“

Kloss: „Ich denke, er hat auch klar gemacht, dass es sozusagen zur Ur-Identität einer Religion gehören sollte, sich für den Frieden einzusetzen. Seine Botschaft auch zum Weltfriedenstag heuer zum 1. Jänner ist ja auch getragen von dem Thema Gewaltfreiheit als sozusagen Leitlinie einer Politik.“

RV: Stichwort „Europa“, das kommt ja auch vor, und zwar in der Dopplung, einerseits der „neue Humanismus“, andererseits die Sorge um Europa. Hat das einen neuen Akzent oder legt er das vor, was er schon vorher zu Europa zu sagen hat?

Schavan: „Er hat angeschlossen an das, was wir zur Karlspreisverleihung schon gehört haben, aber es noch einmal mit zunehmender Eindringlichkeit gesagt: Europa muss sich nicht neu erfinden oder etwas ganz neues zulassen, sondern es muss die Quelle wieder aufsuchen, aus der heraus das Zusammenspiel entstanden ist. Es wird immer eindringlicher, ja nicht nur vom Papst, zu sagen, die Quelle hat über 70 Jahre uns gute Dienste erwiesen und Europa vorangebracht, und warum kommen nun immer mehr Leute auf die Idee, den umgekehrten Weg wieder zu gehen? Ein Weg, von dem die Geschichte lehrt, dass es ein Weg in Friedlosigkeit und in eine Art von Konkurrenz ist, deren erstes Opfer übrigens die junge Generation sein wird?“

RV: Der Papst spricht davon, die Idee Europas zu aktualisieren. Was müsste jetzt die Bundesrepublik tun und was müsste Österreich tun, damit das auch wirklich eine Aktualisierung ist, wie sieht das konkret aus?

Kloss: „Ich glaube auch, wie Kollegin Schavan grad gesagt hat, dass für ihn die Aktualisierung in einer stärkeren Wahrnehmung der Gründungsidee liegt, das scheint mir dem Papst ein besonderes Anliegen zu sein. Es geht um die Grundidee der europäischen Union, dieses „Warum sind wir zusammen? Was wollen wir? Was für eine Rolle haben wir in der Welt von heute?“ Es geht ihm darum, dass das positiv besetzt und in unseren Ländern auch so wahrgenommen wird.“

RV: Übermannt von Bildern des Todes“ hat der Papst gesagt – das braucht jetzt nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was er damit genau gemeint hat – und dem wolle er eine Botschaft der Hoffnung entgegensetzen. Ihr Eindruck: Ist es gelungen?

Kloss: „Der Papst macht klar, dass wir uns nicht die billige Ausrede leisten können. Dafür sind irgendwelche Strukturen zuständig. Da sind irgendwelche nicht durchschaubare Einheiten, Organisationen – nein, es geht immer darum, dass jeder für sich verantwortlich ist dafür, dass er in seinem Umfeld sich dafür einsetzt, dass diese Welt eine bessere werden kann und er verwendet da diesen, wie ich finde, sehr schönen Begriff, wenn ich es richtig übersetze, des „Handwerkers des Friedens“. Wir sollen alle „Handwerker des Friedens“ sein, das heißt nicht, dass wir große Erfinder von wunderbaren Strukturen oder großen Schemen sind, sondern er will in jedem drinnen die Verantwortung stärken: Tu was, dort, wo du kannst!“

(rv 09.01.2017 ord)








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