2017-01-08 09:20:00

Die Unterwerfung der Welt: „Und das war dann Europa“


Von nichts kommt nichts. Flüchtlinge ziehen nach Europa, aus dem Nahen Osten wie aus Afrika, während europäisch geprägte Kultur den Planeten beherrscht. Schaut man auf die Geschichte Europas, dann erkennt man Zusammenhänge. Schaut man mit einem ausgewiesenen Fachmann auf die Geschichte Europas, dann erkennt man mehr.

Ein solches Schauen mit einem Fachmann liegt seit vergangenem Jahr vor, „Die Unterwerfung der Welt“ heißt das Buch, es will laut Untertitel eine „Universalgeschichte der Europäischen Expansion“ sein. „Unterwerfung“, „Expansion“ und „Europa“ im Titel, das klingt sehr aggressiv- Fragen wir den Autor, fragen wir Wolfgang Reinhard, ob die europäische Geschichte das war, eine militärische Unterwerfung. „Sie war das, aber nicht nur das, aber es ist ein wesentliches Element“, sagt der Autor. „Wenn man genauer zusieht, kann man schon sehen, dass Europa die Welt geprägt hat und in gewisser Hinsicht unterworfen hat.“

Geprägt und in gewisser Hinsicht unterworfen

Wolfgang Reinhard ist emeritierter Professor für Geschichte in Freiburg, ihm ist das Thema offensichtlich so wichtig, dass er schon zum zweiten Mal ein solches Werk vorgelegt hat. In den 80er Jahren veröffentlichte der Historiker, der sonst eher für Papstgeschichte bekannt war, vier Bände zum Thema Europäische Expansion. Ein umfangreiches Werk, damit sollte das Thema für ihn eigentlich durch sein, könnte man denken. Nein, im Gegenteil. Im vergangenen Jahr wurde Reinhard noch einmal tätig, schrieb sozusagen dasselbe Buch noch einmal, völlig neu, 1.648 Seiten sind es dieses Mal, erschienen unter dem Titel „Unterwerfung der Welt“.

Seine These: Europa ist gleich Expansion, das eine gab es ohne das andere nicht. „Ich persönlich hab die Theorie entwickelt, dass Europa gewissermaßen per definitionem expansiv ist, indem es nämlich Europa in dem Sinne wie Indien oder China gar nicht gibt. Europa ist eine Sammlung von Halbinseln und Inseln am Westrand Eurasiens, die weder ethnisch noch kulturell ursprünglich eine Einheit bildete, sondern Europa ist selbst durch Expansion entstanden.“ Das römische Imperium hat expandiert, gefolgt von den Barbarenvölkern und was dabei herausgekommen ist, das wurde schließlich durch die Expansion der römischen Kirche mit einer einheitlichen Kultur versorgt, sagt Reinhard. „Und das war dann Europa“. Aus der Uneinheitlichkeit sei die Dynamik entstanden und daraus die Expansion, Reinhard nennt die Wikinger, die Handelsrevolution der Städte im Mittelalter. „Europa kommt durch Expansion zustande und bleibt weiter expansiv und die EU ist ja auch heute noch expansiv. Nicht mehr mit Gewalt, sondern mit Attraktivität, ökonomischer Attraktivität, aber die Expansion Europas geht weiter.“

Auch die EU ist expansiv

Auf eine kurze Formel gebracht: Europa ist ein „Kunstbegriff, weiter nix.“ „Sie können Europa nicht exakt definieren. Europa ist gewissermaßen ein Prozess und kein Zustand und keine Sache, die man einfach definieren und beschreiben kann.“

Muster könne man über die Einzelgeschichte hinaus einige erkennen, sagt Reinhard, etwa die Beteiligung von Einheimischen, die man früher auch in der Geschichtswissenschaft nicht wahrhaben wollte. Ein weiteres Muster ist, dass Expansion von Anfang an durch Privatinitiativen zu Stande gekommen sei.

Deutschland spielt im Reigen der Kolonialreiche nur eine kleine Rolle, nur etwas über 40 Jahre lang, bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, gab es überhaupt so etwas wie Kolonien, und das waren auch noch wenige. Stimmt nicht ganz, wendet Wolfgang Reinhard ein. „Die Deutschen waren eben indirekt und das ist auch etwas, was jetzt durch diese wirtschaftsgeschichtlichen Forschungen raus kommt, von Anfang an involviert. Man weiß heute, dass zum Beispiel die Stadt Hamburg im 18. Jahrhundert ganz groß mit dem Geschäft mit den Sklaven gelebt hat. Es lief alles über Hamburg, also halb Hamburg hat vom Sklavenhandel gelebt. Das hat man früher nicht gewusst, das haben wir jetzt heute erst raus gefunden, nicht? Also insofern war Deutschland indirekt eigentlich immer involviert.“

Medizin, Internet, Kalaschnikows

Europa hat der Welt durch all das seine Kultur eingeprägt, sagt Reinhard, beabsichtigt oder unbeabsichtigt. „Elektrizität, Internet, moderne Medizin, Auto, Kalaschnikows, was Sie wollen“, zählt Reinhard auf. Zu den erfolgreichsten „Exportartikeln“ in der Expansionsgeschichte gehört noch etwas anderes, gehören die Strukturen und Organisationsformen von Gesellschaft, der europäische Staat.

Ein Schlüsselbegriff, wie das alles passiert ist, ist bei Wolfgang Reinhard der der „Aneignung“. Dinge werden nicht aufgedrückt, sondern angeeignet. Wie genau meint er das? „In Süd- und Westeuropa werden romanische Sprachen gesprochen, die aufs Latein zurückgehen, unsere Rechtskultur beruht großenteils auf dem römischen Recht, unsere Religion beruht zum großen Teil auf der lateinischen Kirche, das ist alles die Erbmasse des Römischen Reiches, aber wir sind doch keine Römer mehr, wir sind doch keine Untertanen des Römischen Reiches mehr. Das heißt, die Römer sind im Lauf der Geschichte all dieser Dinge enteignet worden und wir, die Franzosen, die Spanier, die Engländer, die Deutschen haben uns das angeeignet. Das ist genau dieser Prozess, nicht? Wie aus einer Kultur eine andere wird durch Aneignung.“

Wir sind keine Römer mehr, haben uns die Kultur aber angeeignet

Zurück zur Eingangsfrage: Von nichts kommt nichts, wenn in diesen Jahren ein Strom von Menschen nach Europa zieht, Migranten, Flüchtlinge, Menschen in Not und auf der Suche, dann ist das auch ein Resultat der Expansion Europas. Ja und Nein, antwortet Wolfgang Reinhard. „Nun, man kann sagen, das sagt man gerne, das Empire schlägt zurück. Das heißt, erst sind die Europäer ausgeschwärmt und haben die Welt unterworfen und jetzt kriegen sie die Quittung, denn jetzt kommt die Welt zurück nach Europa.“ Bis zu einem gewissen Grad könne man die Flüchtlingsbewegung aus von Europa veranlasst betrachten, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad. „Da ist einfach auch die Sehnsucht danach, besser zu leben. Wir könnten das vergleichen mit unseren Mitbürgern aus den neuen Bundesländern nach der Wende. Die kannten aus dem Fernsehen, hatten sie so Ideen, wies im Westen zugeht. Und so ähnlich ist das mit den Flüchtlingen auch, die haben auch Ideen, die haben auch im Fernsehen gesehen, wies im Westen zugeht, und wollen da mitmachen.“

Die europäische Kultur gehört uns nicht mehr

Und jetzt? Und heute? Wenn wir auf die Unterwerfung der Welt und die Europäische Expansion, das erst durch Expansion entstandene Europa schauen, was sehen wir dann? „Die Unterwerfung ist vorbei und das Ergebnis ist, dass die anderen sich die europäische Kultur angeeignet haben.“ Aneignung sei für ihn das Zauberwort hier, die europäische oder auch die amerikanische Kultur „gehöre“ uns nicht mehr. „Das klassische Beispiel ist die englische Sprache: Englische Sprache ist nicht mehr the Queen´s English, sondern die englische Sprache gehört den Indern und den Afrikanern, ist im Grunde eine Weltsprache geworden. Die Engländer sind, wenn Sie sie wollen, ihrer Sprache enteignet worden, und andere haben sie sich angeeignet. Das heißt, Unterwerfung ist vorbei, Aneignung ist auch schon vorbei, hat stattgefunden, und das ist das, was wir Weltkultur nennen, mit tausend Differenzierungen und Übergängen. Europa expandiert weiter, aber eigentlich jetzt, das ist der Unterschied, auf friedlicher Ebene kraft seiner wirtschaftlichen Attraktivität. Und da ändert auch Brexit nix dran, trotz Brexit gibt es ja genug Anwärter, die gerne nach Europa wollen.“

 

(rv 08.01.2017 ord)








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