2016-12-26 09:25:00

Jahresrückblick 2016: Ökumene - im Beichstuhl Luther lesen


Wenn Katholiken von der Tradition der Reformation etwas lernen können, dann vor allem zwei Dinge: die Zentralität der Bibel und die Wichtigkeit von Reform. Eine sehr klare Aussage aus berufenem Munde: Papst Franziskus gab diese Losung vor seinem Besuch in Lund/Schweden zur Feier des Reformationsgedenkens aus, und zwar in einem Interview mit einer schwedischen Jesuitenzeitschrift, das dann auch in der wichtigsten Zeitung des Landes abgedruckt wurde. Im Oktober 2016 war das, kurz vor dem Reformationsgedenktag, dem Höhepunkt der Papstaktivitäten zur Ökumene in diesem Jahr. Und was genau versteht Franziskus unter ‚Reform’? „Vorangehen, miteinander gehen – nicht in starren Perspektiven sich verschließen, denn in denen gibt es keine Möglichkeit zur Reform“.

Für die lutherische Kirche war das Ereignis von Lund der Auftakt des Reformationsjahres: 500 Jahre nach dem so genannten Thesenanschlag, 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation wird ein ganzes Jahr lang weltweit dieser Ereignisse gedacht. „Ich finde, das Jahr hat gut begonnen. Dass der Papst in Lund formuliert hat, was er interessant an Luther findet, das hätte man sich vor kurzem noch nicht vorstellen können, und das unterscheidet dieses Jubiläum von allen vorherigen.“ Christoph Markschies ist evangelischer Theologe an der Humbold-Universität in Berlin und Vorsitzender der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD).

Entspanntere Ökumene

Manchmal konnte man in den vergangenen Jahren – der sogenannten Luther-Dekade – den Eindruck haben, dass auch die evangelische Kirche darum ringt, was genau gefeiert werden soll. Aber auch im ökumenischen Dialog musste man sich erst einmal klar werden, ob es nun ein Gedenken sein sollte oder eine Feier - und ob man so etwas überhaupt gemeinsam begehen kann. Das sehen wir nun entspannter als noch vor einigen Monaten, sagt Christoph Markschies.

„Die Frage feiern oder gedenken stellt sich meinem Eindruck nach so eigentlich gar nicht. Wenn man sich an ein vergangenes Ereignis erinnert, hat das immer schöne und schwierige Elemente. Deswegen denke ich, dass man auf der einen Seite die Reformation nicht nur fröhlich feiern kann, sondern sich auch daran erinnern muss, was geschehen ist, obwohl es keiner gewollt hat, oder was wir heute nicht mehr wollen können. Man darf sich aber auf der anderen Seite auch freuen, schon allein darüber, was an Gemeinsamkeit heute möglich ist.“

Dass es zu diesem Ereignis in Lund mit dem Papst kommen würde, war nicht immer klar. Der Vatikan war dazu bereit, sich am Gedenken zu beteiligen, aber es lag irgendwie auch immer die Frage nach einem Papstbesuch in Deutschland, in Wittenberg oder Erfurt, in der Luft. Vieles von der Entwicklung erscheint in der Rückschau zufällig. „Der Historiker Christoph Markschies würde sagen, dass da viel Zufall dabei ist, der Theologe Christoph Markschies würde sagen, dass der Heilige Geist auch an Stellen weht, wo man gar nicht denkt, dass er weht“, so das Urteil des evangelischen Denkers.

Ruckelige Vorbereitung, aber da ist Heiliger Geist

Dass es bei so vielen Akteuren etwas „ruckelig“ zugehe, sei gar nicht verwunderlich, wenn man sich erst einmal verständigen müsse, was man eigentlich feiern wolle und wie man es feiern wolle. „Ich habe die Bilder aus Lund mit sehr großem Vergnügen gesehen, gerade in der Entwicklung der letzten Monate wird ja deutlich, dass auch evangelische Kirche nicht mehr eine deutsche Kirche ist, die in Wittenberg zentriert ist; in Lund stand ja ein Bischof aus Jerusalem neben dem Papst. Wir haben es mit einer globalisierten Kirche zu tun. Mich hat auch berührt, welche Rolle die Caritas dort gespielt hat. Es gibt neben dem ganzen Streit der Theologen immer auch die Zusammenarbeit von Christenmenschen, etwa für Flüchtlinge. Es ist viel Gemeinsamkeit gewachsen und glücklicherweise im unmittelbaren Vorfeld des Jubiläums auch noch einmal sehr viel passiert, was einen sehr bewegt.“

Markschies war vor einigen Wochen in Rom – währenddessen wurde das Interview aufgezeichnet –, und er berichtet davon, dass er diese Veränderungen nicht nur in seiner eigenen Kirche beobachtet, sondern auch im Katholizismus, in Rom, im Vatikan, in Sankt Peter. „Ich habe gestern mit einem Beichtpater im Petersdom gesprochen, der liest Luther. Das fand ich eine außerordentlich bewegende Begegnung, denn die Reformation fing ja mit einem Streit um die Beichtpraxis an. Oder sagen wir noch präziser: mit den Bekümmernissen eines Seelsorgers [Luther] über die Aushöhlung der Beichtpraxis. Wenn ein Beichtpater nun Luther liest, nach 500 Jahren, wird man ja ganz einfach sagen müssen, dass es dort angekommen ist, wo es eigentlich hin sollte, nämlich in die Pastoral und in die Gestaltung aufrechten Christenlebens.“

Mit Luther zum Papst

So sieht das auch der Papst: Ökumene darf sich nicht auf die theologische Ebene beschränken. Im Oktober – also kurz vor der Ökumene-Reise nach Lund – hatte er vor Vertretern der „Christian World Communions“ gesagt: „Oft denken wir, dass die ökumenische Arbeit nur Theologen betrifft". Das theologische Fachgespräch sei zwar sehr wichtig, aber gleichzeitig gebe es auch noch eine Ökumene des Gebets und der Nächstenliebe. So war auch eine ökumenische Pilgerreise im Oktober beim Papst, unter dem ausdrücklichen Titel „Mit Luther zum Papst“. Auf diesen Gebieten ist bereits eine Einheit vorhanden. Es handle sich um eine „Einheit auf dem Weg mit Jesus", so der Papst.

Und was geschieht jetzt? Über all die Reden und Ansprachen hinaus, die bei einem solchen Gedenkjahr unvermeidlich sind? „Ich hoffe, dass im kommenden Jahr viele Menschen die Bibel lesen werden,“ sagt der Theologe Christoph Markschies. „Es gibt eine revidierte Einheitsübersetzung, es gibt eine revidierte Lutherübersetzung, und bei der Lutherübersetzung ist es schon so gegangen, wie es vermutlich bei der Einheitsübersetzung auch passiert, es wird viel mehr verkauft, als die, die gedruckt haben, je gedacht hätten. Das könnte eine Sache sein. Ich hoffe auch, dass viele katholische Christenmenschen in evangelische Kirchen gehen und zum Kirchentag fahren und sich anschauen, was evangelische Kirche feiert, und dort mitfeiern. Dann muss man aber auch umgekehrt sagen, dass 2018 dann die Evangelischen dran sind, derart intensiv katholische Theologie und Kirche zu studieren, wie im Lutherjahr die Katholischen die evangelische Theologie und Kirche studiert haben.“

(rv 26.12.2016 ord)








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