2016-12-05 14:11:00

Schweiz: „Schuldbekenntnis“ für sexuelle Übergriffe


Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Charles Morerod, spricht von „großer Schuld“ in der Schweizer Kirche in Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld. Der Westschweizer Bischof äußerte sich an diesem Montag bei einer Gebets- und Bußfeier für die Opfer sexueller Übergriffe im kirchlichen Umfeld. Der Gebetsmoment war der Auftakt zur Wintervollversammlung der Bischofskonferenz, die diesmal in Sitten stattfindet.

An dem Gebetsmoment in der Basilika von Valeria in Sitten nahmen neben den elf Mitgliedern der Bischofskonferenz auch Vertreterinnen und Vertreter der Höheren Ordensoberen und der staatskirchenrechtlichen Körperschaften sowie eine Delegation der Opfer teil. Sie beteten gemeinsam an dem Wallfahrtsort, „zu dem seit Jahrhunderten die Menschen hinaufsteigen, um dem Herrn vorzubringen, was sie auf dem Herzen haben“, teilte die Bischofskonferenz des Alpenlandes im Anschluss mit.

Bischof Morerod bekannte im Gebet, das er bei der Feier vortrug: „Große Schuld ist in unserer Zeit in der Kirche und auch in unseren Diözesen und Gemeinschaften offenbar geworden – eine Schuld Einzelner; eine Schuld, die auch durch bestimmte Strukturen sowie Verhaltens- und Denkmuster ermöglicht worden ist. Die Schuld ist mehrschichtig: der Übergriff, das gleichgültige Schweigen, die unterlassene Hilfe für das Opfer. Wir fühlen uns auf verschiedenen Ebenen verantwortlich und verdanken den Opfern, dass sie uns die Augen geöffnet haben.“

Mit der Durchführung der Gebets- und Bußfeier folgte die Bischofskonferenz einem Wunsch von Papst Franziskus nach der weltweiten Durchführung derartiger Versöhnungsgesten. Gleichzeitig nahmen Vertreter der Schweizer Bischofskonferenz, der Vereinigung der Höheren Ordensoberen (VOS'USM) und der Römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) die Gelegenheit wahr, um in einer separaten Medienkonferenz über den Stand der Frage der sexuellen Übergriffe im kirchlichen Umfeld zu informieren.

Auf nationaler Ebene wurden die Richtlinien der Bischofskonferenz seit der ersten Ausgabe 2002 zwei Mal intensiv überarbeitet und weiterentwickelt. Die Bischöfe der Schweiz waren eine der ersten Bischofskonferenzen weltweit, welche verbindliche Richtlinien darüber erließ, wie Übergriffen auf Kinder oder Erwachsenen vorzubeugen und wie mit Opfern und Tätern umzugehen sei. In der 2014 erschienenen dritten Auflage schloss sich die Vereinigung der Höheren Ordensoberen den Richtlinien der Bischofskonferenz an. Zudem beschränkt sich seither der Geltungsbereich der Richtlinien nicht mehr nur auf Personen, die im engeren Sinn in der Seelsorge tätig sind, sondern umfasst alle im kirchlichen Bereich tätigen Personen wie z.B. in der Katechese, in Jugend- und Sozialarbeit, Kirchenmusik.

Genugtuungsfonds für verjährte Fälle

Wie die Bischofskonferenz in ihrer Mitteilung schreibt, empfänden die Kirchenverantwortlichen „besonders bedrückend“ die Situation der Opfer früherer sexueller Übergriffe, die nach staatlichem und kirchlichem Recht verjährt seien, und die während langer Zeit von kirchlichen Instanzen weder Gehör noch Genugtuung erhalten hätten. Es seien aber auch viele Maßnahmen eingeführt worden, damit bei der Anerkennung der Mitschuld sowohl die rechtlichen als auch die finanziellen Grundlagen geschaffen werden konnten. Der geschaffene Genugtuungsfonds beinhalte etwa eine halbe Million Schweizer Franken, die von der Bischofskonferenz, der Vereinigung der Höheren Ordensoberen und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz zusammen getragen wurden. Eine eigenständige Kommission entscheidet jeweils über die Ausrichtung und Höhe von Genugtuungsbeiträgen.

Es ist im Übrigen nicht das erste Mal, dass die Bischöfe der Schweiz ein Gebetsmoment für die Missbrauchsopfer durchführen: Vor sechs Jahren, im Sommer 2010, hatten sie sich mit einem besonderen Gebet in der Gnadenkapelle von Einsiedeln öffentlich zur Mitschuld der Kirche am Leiden jener Menschen bekannt, die in der Vergangenheit im kirchlichen Umfeld sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Sie hatten zudem die Opfer dazu aufgerufen und ermutigt, sich zu melden. Die seither umgesetzten vielfältigen Maßnahmen auf nationaler, diözesaner, regionaler und kantonaler Ebene dienten sowohl der Vorbeugung von Übergriffen als auch der Aufarbeitung aktueller und zurückliegender Fälle, schreibt die Bischofskonferenz in der Medienmitteilung.

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Statistische Übersicht 2010-2015

Das Fachgremium „Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld“ der Bischofskonferenz hat seit dem Aufruf von 2010 jährlich eine Statistik der gemeldeten Fälle erstellt. Während 2010 im Zeichen des erstmaligen starken Aufrufs in der Schweiz 115 Fälle sexueller Übergriffe den diözesanen Stellen gemeldet wurden, waren die Zahlen der folgenden Jahre deutlich niedriger: 24 (2011), 9 (2012), 11 (2013), 11(2014), 24 (2015). Der Großteil der gemeldeten Fälle sexueller Übergriffe geschah in der Zeit von 1950 bis 1990.

Von den 223 in den genannten sechs Jahren gemeldeten Opfern waren zum Zeitpunkt der Taten 49 Kinder unter 12 Jahren, 23 weibliche und 56 männliche Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, 43 erwachsene Frauen und 38 erwachsene Männer. Bei 14 Opfern waren über das Alter zum Tatzeitpunkt keine Angaben erhältlich.

Was die gemeldeten Täter betrifft, zeigt die Statistik für den genannten Zeitraum ein Total von 204 Tätern, davon waren 103 Weltpriester, 47 Ordenspriester oder Ordensbrüder, 11 Ordensfrauen, 5 Laientheologen oder Laientheologinnen, 6 aus anderen Berufen. Zu 32 gemeldeten Tätern waren keine Angaben erhältlich. Die Statistik des Fachgremiums erfasst das ganze Spektrum möglicher sexueller Übergriffe von sexuell gefärbten Äußerungen und Gesten bis zur Vergewaltigung und Schändung.

Die Schweizer Bischöfe und Ordensoberen sind weiterhin dankbar für jede Meldung von sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld. Sie rufen die Opfer dazu auf, sich an die kirchlichen Anlaufstellen oder an kantonale Opferhilfestellen zu wenden. Den Opfern muss Recht widerfahren und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden, auch wenn die Übergriffe lange Zeit zurückliegen. – Die Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz halten sich vom 5. bis 7. Dezember zu ihrer 314. ordentlichen Versammlung in Sitten und Visp auf.

(pm/rv 05.12.2016 mg)








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