2016-11-30 12:28:00

Frankreich: Heftiger Streit um Abtreibung


Gewisse Lebensschutz-Webseiten könnten in Frankreich bald illegal sein: Das französische Parlament berät am Donnerstag über einen Gesetzesvorschlag der sozialistischen Regierung. Danach soll es strafbar werden, Frauen via Internet von einer Abtreibung abhalten zu wollen. Fürs nicht-digitale, wirkliche Leben gibt es diesen Straftatbestand der Behinderung von Abtreibungen schon seit den 1990er-Jahren, er zielte auf Demonstranten vor Kliniken oder Arztpraxen. Die Regierung will ihn nun aufs World Wide Web ausweiten.

Dagegen erhebt sich Protest aus der Bischofskonferenz: „Eine wichtige Stellungnahme, mit der die Linke sicher nicht gerechnet hat“, so die Tageszeitung „Le Monde“ am Mittwoch. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georges Pontier, hat direkt an Präsident Francois Hollande geschrieben. Den Erzbischof von Marseille, sonst ein milder Mann, ärgert der kulturkämpferische Gestus der Linken. „Das ist wirklich der erste Punkt: Diese Banalisierung der Abtreibung in unserer heutigen Kultur ist nicht akzeptabel, weil doch jeder sehen kann, dass Abtreibung nichts Banales ist und eine tiefe Wunde hinterläßt.“

„Prinzipien der Demokratie in Gefahr“

Solche direkten Stellungnahmen französischer Bischöfe in der politischen Arena sind in Frankreich ausgesprochen selten. Selten ist auch die Wortwahl: Der Gesetzesvorstoß, hinter dem vor allem die Gleichstellungsministerin Laurence Rossignol steckt, bedeute „eine sehr schwerwiegende Beeinträchtigung der Prinzipien der Demokratie“. Dabei rüttelt der Erzbischof gar nicht am Gesetz von 1975, der sogenannten „loi Veil“, die Abtreibung für straffrei erklärt. Er sagt im Interview mit Radio Vatikan:

„Alles, was seit der „loi Veil“ vorgesehen war, um der Schwangeren Zeit zum Überlegen zu lassen, ob sie das Kind austragen oder abtreiben sollte, ist seitdem wieder einkassiert worden! Wir erleben ein sukkzessives Vordringen einer starken Ermutigung oder sogar Erzwingung von Abtreibung in den meisten Fällen. Die Internetseiten, die man eingerichtet hat und wo die Menschen in einen Dialog eintreten und diskutieren können, werden jetzt unter Generalverdacht gestellt... Dabei zeigt doch allein die Tatsache, dass Menschen sich an diese Internetseiten wenden, dass sie keinen anderen Ort kennen, an den sie sich mit ihren Fragen und Sorgen wenden könnten!“

Die Regierung wirft solchen Anti-Abtreibungs-Homepages „Desinformation“ und „moralischen Druck auf Schwangere“ vor. Richtig ist, dass Seiten wie IVG.net gut gemacht sind, sehr professionell wirken und bei Google-Recherchen ganz oben landen. „Ein früheres Gesetz ließ einer Schwangeren fünfzehn Tage Zeit, um nachzudenken und sich beraten zu lassen. Das ist längst gestrichen worden. Und jetzt sieht das Gesetz gar nichts mehr vor für Frauen, die in Schwierigkeiten sind oder die auch nur ganz simpel Fragen haben. Eine Frage zum Thema Abtreibung zu haben, das wird zu einem Tabu!“

„Militante Haltung“

Er sehe im Gesetzesvorstoß aus dem Haus Rossignol eine „militante Haltung“, so Erzbischof Pontier weiter. Wenn man auch nur eine harmlose Frage zum Thema Abtreibung stelle, „wird man sofort beschuldigt, gegen das Gesetz zu handeln, gegen das Recht auf Abtreibung usw.“. „In unserer Gesellschaft hat sich etwas verschoben, was mit dem Menschenbild zu tun hat und mit dem Respekt vor der Menschenwürde. Der Individualismus – dass jeder machen kann, was er will – wird total. Man redet vom Recht der Frau, mit ihrem Bauch zu machen, was sie will, aber keiner verteidigt mehr den Schwächeren: das Kind, das sein Leben beginnen will.“

Der Gesetzesvorschlag, der am Donnerstag in die Pariser „Assemblée Nationale“ kommt, sieht für die Behinderung von Abtreibung bis zu zwei Jahre Haft und eine Geldstrafe von 30.000 Euro vor. Für Erzbischof Pontier stellt der Text „die Fundamente unserer Freiheiten und vor allem der Redefreiheit in Frage“. „Man hat gesehen, welche Diskussionen – legitimerweise – die terroristischen Anschläge in unserem Land und die Charlie-Hebdo-Affäre ausgelöst haben. Das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit ist eine der tragenden Säulen unserer Demokratie. Jetzt aber hat man den Eindruck, dass aus militanten oder ideologischen Gründen das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet eingeschränkt werden soll. Der Hinweis auf das Menschenrecht auf Leben wird als inakzeptabel für unsere Gesellschaft eingestuft!“

Papst Franziskus: „Für eine echte Wertedebatte“

Auch der Vatikan ist auf das Thema aufmerksam geworden. Die Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“ vom Mittwoch referiert ausführlich über Pontiers Brief an Hollande. Sie gibt auch einen beißenden Kommentar des Pariser Kardinals André Vingt-Trois wieder, nach dem das Ziel des Gesetzesvorhabens doch wohl darin bestehe, „dass Abtreibung als das normale Ergebnis einer Schwangerschaft wirken soll“.

Papst Franziskus empfing am Mittwoch französische Politiker aus der Region Rhone-Alpes. Dabei ging er in seiner kurzen Ansprache zwar nicht direkt auf den aktuellen Zwist ein, lobte aber ein vor kurzem veröffentlichtes Dokument der Bischofskonferenz über politische Fragen mit den Worten, das werde „gut tun“. Und er ermunterte zu einer Wertedebatte.

„Die französische Gesellschaft ist voller Potenzial, voller Diversität, die zu Chancen werden kann, wenn die republikanischen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht einfach nur als illusorische Parolen eingesetzt, sondern vertieft und in Bezug zu ihrer transzendenten Grundlage gesetzt werden. Es geht um eine echte Debatte über Werte und Orientierungen, die allen gemeinsam sind. An dieser Debatte sollen die Christen teilnehmen, ... um zum Wachsen einer besseren Welt beizutragen.“

Eine Unterschriftenaktion des Verbands „Alliance Vita“ gegen die „Zensur durch die Regierung“ hat in Frankreich schon mehrere zehntausend Unterschriften gesammelt. Die italienische katholische Tageszeitung „Avvenire“ vermutet, dass die sozialistische Regierung das Gesetz „als Argument gegenüber den Wählern beim Rennen um den Elyséepalast“ einsetzen will. 2017 finden in Frankreich Präsidentenwahlen statt, die Aussichten der Sozialisten sind dabei nicht gerade rosig.

(rv/le monde/or/avvenire 30.11.2016 sk)








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