2016-11-27 10:39:00

Aktenzeichen Hieronymus von Prag – Vordenker seiner Zeit


Heute ist der Prager Theologe nur noch Spezialisten bekannt. Mit dem berühmteren Jan Hus verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Und der Tod. Denn auch er wurde vor den Toren von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Vor genau 600 Jahren. Das 14. und 15. Jahrhundert war eine Zeit der massiven Krise für Kirche, Religion und Politik. Eine Krise, die letzten Endes das Tor zu einem neuen Zeitalter aufstieß.

Jan Hus ist in aller Welt bekannt. Hieronymus von Prag hingegen, den zweiten böhmischen Gelehrten, der ebenfalls auf dem Scheiterhaufen in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde, kennt außer der Fachwelt kaum jemand. Und dabei ist die Rolle, die Hieronymus von Prag bei der Entstehung der Hussiten-Bewegung gespielt hat, wohl so wichtig wie die seines Lehrers und Freundes Jan Hus. War es doch Hieronymus, der Hus mit den Schriften des englischen Denkers John Wycliff bekannt machte. Hieronymus` Leben endete vor 600 Jahren, am 30. Mai 1416 auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Wir wenden unsere Blicke jetzt in das so genannte düstere Mittelalter – Jörg Hönsch, Friedrich Petzold, Kardinal Walter Brandmüller  und Thomas Buck standen uns dabei zur Seite.

Zur Welt kam Jeromyn Prazsky - so der tschechische Name von Hieronymus - um das Jahr 1380 - also 100 Jahre vor Martin Luther - in der Prager Neustadt. Wahrscheinlich ist Hieronymus Spross einer angesehenen Adelsfamilie, doch ist seine Herkunft eher unklar. Er gilt im allgemeinen als Schüler von Jan Hus. Der Altersunterschied der beiden betrug jedoch nur ca. 8 bis 10 Jahre. Die beiden lernten sich in der Prager Universität kennen. Ihre Freundschaft blieb bis zu ihrem Tode als Ketzer bestehen.

Zeitgenossen schilderten Hieronymus von Prag als einen Menschen mit großem Wissen, großer Beredsamkeit, vorzüglichem Gedächtnis, Schlagfertigkeit und Furchtlosigkeit. In einigen Ansichten war Hieronymus von Prag radikaler als Jan Hus selbst. Es war ihm ein wesentliches Anliegen, eine mögliche Kirchenreform auf Grundlage der ursprünglichen Überlieferung durchzuführen. Er war ein spätmittelalterlicher Denker und Verfasser philosophischer Schriften. Ein stattlicher, großer Mann, mit einem langen schwarzen Bart der offenbar viel Eindruck auf seine Mitmenschen machte. Hieronymus von Prag sei aber im Unterschied zu seinem Freund Hus auffallend ruhelos und äußerst vital gewesen. So hielt es ihn nach der Erlangung der Magisterwürde nicht länger in Prag. Schon mit 18 Jahren machte er sich auf den Weg nach England, wo er sich in Oxford weiteren Studien widmete - eine schicksalhafte Entscheidung für die weitere Entwicklung in den Böhmischen Ländern, wie sich zeigen sollte.

In Oxford begegnete Hieronymus von Prag den Schriften des englischen Reformators John Wyclif. Er schrieb die Schriften vom englischen Gelehrten ab und es wird allgemein angenommen, dass es gerade Hieronymus war, der diese neue Gedanken und Lehren nach Prag brachte, wo sie dann von Jan Hus mit Begeisterung aufgenommen wurden. Der 1384 verstorbene Oxforder Reformator John Wyclif kritisierte die Kirchenhierarchie, das Zölibat, den Ablass sowie die geltenden Abendmahlregeln. Die Bibel war für ihn das allein geltende Gesetz. Zudem predigte Wyclif christliche Armut und verurteilte den Reichtum und die Verweltlichung der Kirche - all diese Gedanken nahm auch Jan Hus auf und verbreitete sie in den Böhmischen Ländern, wo sie - zum Leidwesen der Kirchenhierarchie - viele Anhänger fanden.

Hieronymus von Prag liess seine Ruhelosigkeit und Neugierde nicht lange in England verweilen. Er begann für damalige Zeiten unglaubliche Reisen zu absolvieren. In Paris, Köln, Heidelberg und Wien verteidigte er die Lehren des John Wyclif und seines Freundes Jan Hus. Überall wurde seine Redegewandtheit bewundert. 1403 machte sich der Prager Gelehrte sogar nach Palästina und Jerusalem auf. Wo immer er auftauchte, soll er für lebhaften Debatten über die Schriften Wyclifs gesorgt haben. Mehr als einmal wurde er als Ketzer beschuldigt, des Öfteren musste er seinen jeweiligen Aufenthaltsort deshalb fluchtartig verlassen. Nach vier abenteuerlichen Jahren kehrte Hieronymus 1407 in seine Heimatstadt zurück und wirkte fortan an der Prager Universität.

Zu jener Zeit wurde an dieser Universität heftig über die neuen Lehren debattiert. Während die tschechischen Gelehrten sie in ihrer Mehrheit guthießen, verurteilten die meisten deutschen und anderssprachigen Gelehrten deren Inhalte.  Der Streit um Glaubensfragen gipfelte schließlich 1409, als König Wenzel IV. eingriff. Kurzerhand änderte er im sog. Kuttenberger Dekret das Statut der Universität. Dadurch erhielten die tschechischen Gelehrten mehr Stimmen als die anderssprachigen. So konnten sich die Anhänger des John Wyclif und seiner Lehren an der Universität durchsetzen. Seine Widersacher jedoch verließen Prag und zogen an die neu gegründeten Universitäten in Erfurt, Heidelberg, Leipzig, Wien und Krakau.

In Prag aber wurde Jan Hus neuer Rektor der nunmehr fast völlig tschechischen Universität. Doch damit waren die Streitigkeiten um die neuen Lehren nicht beendet. Hus musste sich kurz nach seiner Ernennung zum Rektor vor der Inquisition verantworten. Papst Alexander V. ordnete zudem die Konfiszierung aller Schriften wyclifschen Geistes und ihre öffentliche Verbrennung in Prag an. Hieronymus weigerte sich, seine in Oxford getätigten Abschriften an den Prager Erzbischof zu übergeben und organisierte zusammen mit Hus Proteste gegen die Bücherverbrennung. Ebenso wie Jan Hus wurde auch Hieronymus von Prag deswegen mit einem Kirchenbann belegt.

Hieronymus reiste daraufhin nach Wien, wo er prompt als Ketzer verhaftet wurde. Einer Verurteilung entkam er durch seine rechtzeitige Flucht aus dem Gefängnis. Damit begann ein weiterer abenteuerlicher Abschnitt im Leben des vielgereisten Prager Gelehrten. Hieronymus wollte auch die orthodoxe Kirche besser kennen lernen und besuchte deshalb Russland und Litauen sowie Polen. Wenige Jahre später kehrte er nach Prag zurück. Im Gepäck hatte er die Idee von der Kelchkommunion für die Gemeinde. Die Reichung des Kelches an Laien hatte ihn beim orthodoxen Gottesdienst beeindruckt, nun spielte er mit dem Gedanken, diese auch in den Böhmischen Ländern einzuführen.

In der Tat spielte die Forderung nach der Kelchkommunion während der Hussiten-Kriege, die nach dem Ketzertod des Jan Hus und Hieronymus von Prag ausbrachen, eine große Rolle. Symbol der Anhänger der Hussiten wurde deshalb der Kelch.

Nachdem Hieronymus von Prag von der Verhaftung seines Freundes Jan Hus in Konstanz gehört hatte, machte auch er sich auf den Weg an den Bodensee, um seinen Lehrer und Freund zu verteidigen. Bald nach seiner Ankunft in Konstanz im April 1414 merkte Hieronymus jedoch, dass er Hus nicht helfen konnte, sondern selbst in Gefahr war. Nach einem misslungenen Fluchtversuch wurde er ebenfalls in den Kerker geworfen. Hieronymus dachte, dass ihm auch diesmal die Flucht gelingen würde, war es doch nicht das erste Mal, dass er als Ketzer angeklagt in einem Kerker saß. Diesmal jedoch war ihm das Schicksal nicht gnädig.

Nach dem Ketzertode von Jan Hus am 6. Juli 1415 bekannte Hieronymus sich schuldig und erklärte vor dem Konzil, dass es richtig gewesen sei, Hus als Ketzer zu verbrennen. Doch diese Zugeständnisse halfen Hieronymus nichts. Die Inquisitoren waren sich der Bedeutung ihres Gefangenen bewusst und wollten ihn nicht so einfach laufen lassen. Zudem forderte auch Kaiser Sigismund seine Verurteilung. Als Hieronymus erkannte, dass er diesmal dem Tod nicht mehr entgehen werde, versuchte er es mit einem Trick: er forderte erneute erneut eine öffentliche Anhörung.

Im Mai 1416 widerrief er öffentlich seine zuvor gemachten Zugeständnisse. Seine Verleugnung Husens erklärte er zu seiner größten Sünde. Erneut beeindruckte Hieronymus von Prag seine Zuhörer durch seine Redegewandtheit. Seine Verteidigungsrede war brillant formuliert und enthielt eine Reihe humanistischer Gedanken, die auch seine Widersacher für gut erklärten. Doch Hieronymus von Prag all dies nichts mehr. Am 30. Mai 1416 wurde er an derselben Stelle wie ein knappes Jahr zuvor Jan Hus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Es wurde ihm nachgesagt, er habe die Ketzermütze aufgesetzt und gerufen: „Christus hat die Dornenkrone getragen“. Die Chronik berichtet, dass sein Tod in besonders schmerzvoller Weise vollzogen worden sei.

Die Hussiten benutzten die Hinrichtung von Jan Hus und des Hieronymus von Prag um die Massen gegen den etablierten katholischen Klerus zu mobilisieren. Die Folge waren die Hussitenkriege, die fast 20 Jahre dauern sollten.

War die Hinrichtung des Hieronymus von Prag ein Justizmord? Der Bekannte Kirchenhistoriker, Walter Kardinal Waldmüller, schreibt in seinem Werk „Das Konzil von Konstanz“ dazu: Mitnichten. Der Begriff „Justizmord“, den die böhmischen Adeligen verwendeten um die Vorgänge rund um Hus und Hieronymus anzuprangern, ist ein sehr gewagter Ausdruck. Ein Justizmord ist die Verhängung der Todesstrafe durch einen Justizirrtum oder aber durch eine Rechtsbeugung. Das Konzil von Konstanz verurteilte die Lehren von Wycliff und Hus als häretisch, was automatisch auf jene ausgedehnt werden musste, die sich zu Hus oder Wycliff bekannten. Die Verurteilungen von Hus und Hieronymus waren somit, laut Brandmüller der politischen Lage geschuldet – und zwar sowohl der kirchenpolitischen als auch der weltlichen.

Soweit unsere heutige Sendung aus der tschechischen Geschichte über Hieronymus von Prag, den zu Unrecht vergessenen und wenig bekannten Mitfechter von Jan Hus.

(rv 27.11.2016 ap)








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