2016-11-24 11:39:00

Papst im Dialog mit Jesuiten: Mut, Globalisierung, Pastoral


Ein wahrer Sturzbach von Papst-Interviews ergießt sich in diesen Tagen über die Interessierten. An diesem Donnerstag wurde ein weiterer Text bekannt, in dem Franziskus in freier Rede auf Fragen antwortet. Diesmal ist es aber kein Interview, sondern ein Gespräch mit Jesuiten, die der Papst am 24. Oktober in Rom getroffen hat. Den Delegierten der 36. Generalkongregation seines Ordens stand er eineinhalb Stunden lang spontan Rede und Antwort; das Transkript wurde jetzt erst bekannt.

Mut liegt nicht allein darin, „Lärm zu machen“, sondern auch darin, „zu wissen wie“: Das antwortet der Papst auf eine Frage, woher sein Wagemut rühre. Mut sei für jedes apostolische Handeln konstitutiv, und der prophetische Mut sei „heute mehr denn je“ vonnöten. Es brauche hier eine Art „aktualisierte Parrhesia“, also Redefreiheit: den prophetischen Mut, keine Angst zu haben, wie Johannes Paul II. bei seiner Amtseinführung 1978 ausgerufen habe. Dieser Mut rühre vom „Magis“ her – der Papst benutzt hier einen in der jesuitischen Spiritualität zentralen Begriff, der spirituellen Schwung meint.

Gegen eine „vereinheitlichende“ Globalisierung

Parrhesia, Magis, prophetischer Mut: Aufgabe der Jesuiten sei es, zu „unterscheiden“ (schon wieder eine typisch jesuitische Vokabel), wo man diesen spirituellen Drang zum Zeugnis und zur Verkündigung einsetzen wolle, so Franziskus. Als mögliche Aufgabe der Jesuiten nennt der Papst ihren Einsatz gegen die in vielen Ländern der Welt verbreitete Korruption und den Versuch von Politikern, den eigenen Verbleib an der Macht durch Verfassungsänderungen abzusichern.

Ausführlich antwortet Franziskus auf eine Frage nach den Folgen der Kolonialisierung für die indigenen Völker. Heute gebe es ein stärkeres Bewusstsein für den Reichtum der indigenen Völker, schickt er vorweg. Allerdings bedränge eine bestimmte Form der Globalisierung, „in der alles gleichgemacht wird“, diese Naturvölker in politischer und kultureller Hinsicht sehr. Franziskus schlägt dagegen wie schon in seinem programmatischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ vom November 2013 ein anderes Verständnis der Globalisierung vor: Globalisierung als „Polyeder“, als vielflächiges, räumliches Gebilde mit „verschiedenen Gesichtern“. Einheit lasse sich herstellen, auch wenn man gleichzeitig die Identität der Völker, der Menschen, der Kulturen bewahre, unterstreicht der Papst. Diesen Reichtum gelte es in den Prozess der Globalisierung einzubringen, damit dieser nicht „vereinheitlichend“ und „zerstörend“ wirke.

Inkulturation statt Zentralismus

Der Schutz indigener Kulturen müsse freilich mit der „richtigen Hermeneutik“ betrieben werden, erinnert der Papst. Diese sei eine andere als die der Kolonialzeit, deren Ziel es war, die Völker zu bekehren und die Kirche auszubreiten. Mit dem Effekt, dass die Unabhängigkeit der Naturvölker zerstört wurde: „Es war eine Art zentralistische Hermeneutik, bei der das Herrscherimperium seinen Glauben und seine Kultur (anderen) in gewisser Weise aufzwang.“ Ebenso seien in der Vergangenheit alternative Ansätze wie etwa die China-Mission des Jesuiten Matteo Ricci durch einen „römischen Zentralismus“ hegemonialer Prägung abgebremst worden, fährt Franziskus fort, der hier den Ritenstreit rund um den chinesischen Ahnenkult anspricht: Der Respekt für die Toten sei damals mit einem Götzendienst verwechselt worden.

Der Papst setzt dem eine durch „Inkulturation“ geleitete Annäherung an andere Kulturen, Völker und Sprachen entgegen. Es gelte die indigenen Völker und deren kulturelle Ausdrucksformen, auch in der Liturgie, zu respektieren, so Franziskus mit einem Seitenblick auf die vatikanische Kongregation für den Gottesdienstkongregation und die Sakramentenordenung.

Papst erwähnt Bernhard Häring

Beredt wirbt Franziskus für eine stärkere Berücksichtigung von Einzelfällen bei moralischen Urteilen im kirchlichen Raum. Ihm falle auf, dass die nötige „Unterscheidung“ bei der Priesterausbildung oft keine größere Rolle spiele: „Wir riskieren, uns an ein Schwarz-Weiß-Denken zu gewöhnen, wir sind dem Unterscheiden gegenüber ziemlich verschlossen.“ Eine solche „Strenge“ mache ihm „Angst“. Er habe in seiner Ausbildung selbst erlebt, wie es sei, wenn es beim Unterricht über das Beichtehören nur um die Frage „Das kann man machen, oder das kann man nicht machen“ gehe.

„Ich glaube, Bernhard Häring war der erste, der einen neuen Weg gesucht hat, um die Moraltheologie neu aufblühen zu lassen“, fährt Franziskus fort. Der deutsche Moraltheologe Häring (1912-98), Autor der Standardwerke „Das Gesetz Christi“ und „Frei in Christus“, war kurz vor seinem Tod 1998 Gegenstand von Lehrbeanstandungs-Verfahren durch die Glaubenskongregation. Sie wurde damals von Kardinal Joseph Ratzinger geleitet, dem späteren Papst Benedikt XVI.

Der Papst beruft sich auf Thomas von Aquin: Dieser habe bekräftigt, „dass der allgemeine Grundsatz für alle gilt“, dass jede Frage aber „Nuancen“ gewinne, „je mehr man in die Einzelheiten geht“. Franziskus wörtlich: „Diese scholastische Methode hat ihre Gültigkeit. Es ist die moralische Methode, die der Katechismus der Katholischen Kirche benutzt hat. Und es ist die Methode, der in der letzten Apostolischen Exhortation Amoris Laetitia benutzt wurde.“ Der Katechismus der katholischen Kirche, der 1993 erschien, wurde von einem Gremium unter Leitung des damaligen Kardinals Ratzinger erstellt.

Absturz der Politik, Heraufdämmern des Krieges

Franziskus äußert sich in dem Gespräch, das noch vor der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten geführt wurde, auch zum schrilleren Ton in Politik und Kirche. „Ich glaube, dass die große Politik immer mehr zu einer kleinen Politik geschrumpft ist.“ Er höre oft „die Ansicht, dass die Politiker abgestürzt sind“. Offensichtlich fehlten „diese großen Politiker, die fähig waren, sich ernsthaft für ihre Ideale einzusetzen und die weder vor dem Dialog noch vor dem Kampf Angst hatten“.

Einen afrikanischen Mitbruder ermuntert der Papst in dem Gespräch zum Einsatz für den Frieden. Er habe vor anderthalb Jahren mal geäußert, dass es derzeit „einen Weltkrieg in Stücken“ gebe: „Jetzt wachsen diese Stücke immer mehr zusammen, wir sind im Krieg, wir sollten nicht naiv sein.“ Afrika bleibe ein Objekt der Ausbeutung seiner Ressourcen, „sogar durch Länder, die bis vor kurzem diesen Kontinent überhaupt nicht auf dem Schirm hatten“. „Und natürlich führt das zu Krieg“, genauso wie Ideologien „schwere Brüche“ auslösten. Wer sich in einem solchen Szenario dennoch für Frieden starkmache, müsse oft dafür „bezahlen“. „Aber man geht trotzdem voran. Das Martyrium gehört zu unserer Berufung.“

Zu seiner letzten Enzyklika „Laudato si’“ äußert Franziskus, mehr als eine „grüne“ sei sie eigentlich „eine soziale“ Enzyklika gewesen. Schließlich seien die Ärmsten und an den Rand Gedrängten diejenigen, die am meisten unter den Folgen der Erderwärmung und der Ressourcenverschwendung litten. „Es ist eine Enzyklika gegen diese Kultur des Aussonderns von Menschen, und an diesem sozialen Aspekt muss kräftig weitergearbeitet werden.“ Auch von seiner Programmschrift „Evangelii Gaudium“ wünscht er sich, dass sie nicht „ins Archiv wandert“: „Darin steckt immerhin eine Art und Weise, wie man bestimmte kirchliche Probleme und die Evangelisierung angehen kann.“ Das Schreiben sei „nichts Abgeschlossenes“, sondern „der apostolische Rahmen der Kirche von heute“.

Armut als Lebensstil, Nein zu Klerikalismus

Unter Verweis auf den hl. Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens, unterstreicht der Papst die Wichtigkeit der „Armut als Lebensstil, als Heilsweg, als Weg der Kirche“. „Wieviele kirchliche Katastrophen hat es gegeben, weil eine solche Armut nicht bestand..., wieviele Skandale entstehen aus Geldgründen!“ In gewisser Weise sei der Klerikalismus das Gegenteil der Lebensstil-Armut: „Der Klerikalismus ist reich – wenn nicht an Geld, dann an Hochmut... Er ist eine der schwerwiegendsten Formen des Reichtums, an denen heute die Kirche leidet, zumindest stellenweise.“ Er erinnere sich gut, welche Unruhe das Aufkommen von Basisgemeinden in seiner Zeit als junger Priester in der Kirche ausgelöst habe: „Und warum? Weil da die Laien eine etwas stärkere Rolle spielten, und das machte einige Priester unsicher... Das Problem der Klerikalisierung ist sehr schwerwiegend.“

Zum Thema Priestermangel zeigt sich der Papst überzeugt, „dass es die Berufungen eigentlich gibt“. Sie bräuchten Pflege; dazu dürften Priester und andere kirchliche Verantwortliche nicht „immer in Eile sein“, sondern müssten „Geduld haben, sitzen bleiben und zuhören“. Außerdem sollten sie versuchen, „junge Leute missionarisch, katechetisch oder sozial etwas machen zu lassen, das tut sehr gut“.

(rv 24.11.2016 pr/sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.