2016-11-11 15:02:00

Papst empfängt 4.000 Obdachlose aus ganz Europa


Es sind die Fähigkeit zum Träumen und die Leidenschaft, die uns ungeahnte Dinge erreichen lassen und letztlich zu Gott selbst führen. Wahre Armut hingegen sei es, wenn Menschen verlernten, zu träumen und mit Leidenschaft ein Ziel zu verfolgen. Das sagte Papst Franziskus an diesem Freitag vor rund 4.000 Obdachlosen aus über 20 Ländern in der Audienzhalle Paolo VI. Er empfing sie im Rahmen des zu Ende gehenden Heiligen Jahres der Barmherzigkeit; am Sonntag wird er mit ihnen einen Gottesdienst feiern. Bei der Audienz waren zunächst Obdachlose und Helfer am Wort. Sie schilderten In berührenden Zeugnissen ihren Lebensalltag und betonten, was das für sie bedeute, diese Audienz bei Franziskus und die Reise ins Herz der Christenheit. Nicht wenige der Obdachlosen waren zum ersten Mal im Leben mit dem Flugzeug unterwegs.

Der Papst antwortete ihnen nicht mit einer vorbereiteten Rede, sondern sprach frei und auf Spanisch, indem er auf einzelne Aspekte der eben gehörten Zeugnisse einging. „Die Armut steht im Herzen des Evangeliums,“ so beschrieb ein Helfer, der in einer Wohngemeinschaft mit Obdachlosen zusammenlebt, seine Gefühle unter Rückgriff auf ein gern gebrauchtes Wort des Papstes. Dem konnte Franziskus nur zustimmen: „Nur derjenige, der fühlt, dass ihm etwas fehlt, blickt nach oben und träumt. Derjenige, der alles hat, kann nicht träumen! Die einfachen Leute sind zu Jesus gegangen, weil sie geträumt hatten, dass er sie befreien würde, dass er ihnen dienen würde, und so folgten sie ihm und er hat sie befreit.“

Träumen und die Welt verändern

Auch der unerfüllbar scheinende Traum der Menschen in sozialen Schwierigkeiten, eine Reise nach Rom zu unternehmen, sei letztlich wahr geworden. Es sei die Fähigkeit zu träumen, die zu einer Veränderung der Welt führen könne. Dies könnten und sollten die Obdachlosen auch weiter vermitteln, so der Papst: „Lehrt uns alle, die, die ein Dach über dem Kopf haben und denen das Essen und die Medikamente nicht fehlen, sich nicht zufrieden zu geben. Mit euren Träumen, lehrt uns zu träumen, ausgehend vom Evangelium, wo ihr steht, im Herzen des Evangeliums.“

Würde

In den Worten und Gesten derjenigen, die gesprochen hatten, hätte er eines besonders gefühlt, auch wenn es nicht ausgesprochen worden war, so Franziskus: die Würde, mit der die Betroffenen auch in den schlimmsten Situationen etwas Lebenswertes und Schönes entdeckten. „Die Fähigkeit, Schönheit auch in Traurigkeit und Leiden anzutreffen, können nur ein Mann und eine Frau haben, die Würde besitzen. Arm, ja, aber heruntergekommen, nein! Das ist Würde! Dieselbe Würde, die Jesus hat, der arm geboren ist und arm lebte. Ich weiß, ja ich weiß es, dass ihr viele Male Personen getroffen habt, die eure Armut ausnutzen wollten und sie für eigene Zwecke nutzen wollten. Doch ich weiß auch, dass dieses Gefühl, die Schönheit des Lebens zu sehen, diese Würde, euch davor bewahrt hat, zu Sklaven zu werden. Arm ja, Sklaven nein!“

Solidarität

Es sei ihm bewusst, griff der Papst ein weiteres Zeugnis auf, dass das Leben für jeden von ihnen manchmal sehr hart sein könne. Doch das Bewusstsein dafür, dass es stets Personen gebe, denen es schlechter gehe als einem selbst und sich solidarisch mit diesen zu zeigen, trage dazu bei, in Würde zu leben. „Die Fähigkeit, solidarisch zu sein, ist eine der Früchte, die uns die Armut schenkt: wenn viel Reichtum da ist, dann vergisst man, solidarisch zu sein, denn man ist an diejenigen gewöhnt, denen es an nichts fehlt,“ so sein Seitenhieb auf eine Wohlstandsgesellschaft, die es an gelebter Solidarität fehlen lässt.

Frieden

Ein weiterer Punkt, den Franziskus aufgriff: Frieden. Denn „die größte Armut ist der Krieg“, antwortete der Papst auf das Zeugnis eines Obdachlosen, der ihn dazu aufgefordert hatte, sich weiter für den Frieden in der Welt einzusetzen. „Ihr“, so wandte der Papst sich an seine Gäste, „ihr könnt Friedensstifter sein, ausgehend von eurer Situation, von eurer Armut. Den Krieg führen Reiche unter sich, um mehr zu haben, mehr Land, mehr Macht, mehr Geld…“ und weiter: „Es ist sehr traurig, wenn es zu Krieg unter Armen kommt, denn er ist selten: Aufgrund der Tatsache selbst, arm zu sein, sind sie geneigter, als Friedensstifter tätig zu sein, machen sie Frieden, schaffen sie Frieden, und geben ein Beispiel für Frieden.“

Eine arme Kirche für die Armen

Am Ende dankte der Papst den obdachlosen Menschen für ihr Kommen – und entschuldigte sich im Namen der Kirche und der Gläubigen für diejenigen Katholiken, „die wegschauen, wenn sie Arme oder Elendssituationen sehen". Auch er selbst habe vielleicht nicht immer den rechten Ton getroffen. „Ich bitte euch um Verzeihung, sollte ich euch manchmal mit meinen Worten beleidigt haben oder Dinge nicht gesagt haben, die ich hätte sagen sollen. Ich bitte euch um Entschuldigung für jedes Mal, das wir Christen gegenüber einer armen Person oder einer Situation von Armut wegschauen. Verzeihung! Eure Verzeihung für Männer und Frauen der Kirche, die nicht hinschauen wollen oder wollten, ist Weihwasser für uns, ist eine Reinigung und hilft uns dabei, wieder daran zu glauben, dass im Herzen des Evangeliums die Armut als große Botschaft steht und dass wir – Katholiken, Christen, alle, eine arme Kirche für die Armen bauen müssen.“

Am Samstagabend sind die obdachlosen Rompilger zu einem Konzert in der vatikanischen Audienzhalle eingeladen, bei dem der italienische Starkomponist Ennio Morricone dirigiert. 

(rv 11.11.2016 cs)








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