2016-10-26 11:39:00

Zerreißprobe in Venezuela: Dialog auf der Kippe


Die Spannung zwischen Regierung und Opposition in Venezuela nimmt zu. Ausschreitungen oder ein Putsch sind in dem südamerikanischen Land nicht ausgeschlossen. Diese Einschätzung äußert im Interview mit Radio Vatikan der Venezuela-Länderreferent des kirchlichen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat Reiner Wilhelm. Unter dem Motto „Die Übernahme Venezuelas“ ruft die Opposition für diesen Mittwoch zur Demonstration gegen den Präsidenten auf. Inmitten der innenpolitisch schwierigen Lage suchte Präsident Nicolas Maduro am Montag den Rat von Papst Franziskus, der den Regierungschef privat im Vatikan empfing.

Nachdem in der vergangenen Woche ein auf den Weg gebrachtes Referendum blockiert wurde, mit dem Nicolas Maduro abgewählt werden sollte, schlagen Teile der Opposition nun einen schärferen Ton an, beobachtet Wilhelm: „Die Opposition ist inzwischen gespalten: Die einen haben wirklich zu Gewalt auch aufgerufen oder zu massiven Demonstrationen, die möglicherweise in Gewalt enden. Die anderen sagen, bitte bleibt ruhig, darunter auch die Bischofskonferenz, die sagt: Wir sind mündige Bürger und müssen schauen, dass wir unserem Protest und dem, was wir wollen, Nachdruck in friedlicher Weise verleihen.“

Der Nuntius in Venezuela, Erzbischof Emil Paul Tscherrig, vermittelt im Auftrag des Heiligen Stuhles zwischen den Konfliktparteien. Er schlug für kommenden Sonntag eine erste Dialogrunde vor, die Teile der Opposition aber sofort boykottierten. Präsident Maduro, der viele Oppositionelle verhaften ließ, müsse erst politische Gefangene freilassen, so die Bedingung des Oppositionsbündnisses MUD.

Neu ist die Wut auf den autoritären Sozialisten in Venezuela nicht – nach der jüngsten Blockade des Volksentscheids erscheine der Präsident jedoch zunehmend untragbar, so Wilhelm: „Man ist einfach wütend hat damit nicht gerechnet, dass das Referendum einfach blockiert bzw. ausgesetzt wird. Es gäbe auch die Möglichkeit eines Putsches. Regierung und Opposition nehmen dieses Wort immer wieder in den Mund, und die Opposition hat indirekt auch die Militärs dazu aufgerufen, die Demokratie zu verteidigen, die Verfassung zu verteidigen, was nichts anderes bedeutet, als die Macht zu übernehmen.“

Nach den Irritationen rund um die Ankündigung eines möglichen Dialogs zwischen Regierung und Opposition mahnte Venezuelas Bischofskonferenz jetzt zur Vorsicht: Man müsse jeden Moment auf der Hut sein, damit der Dialog nicht von seinem Weg abkomme, zitierte die Tageszeitung „El Nacional“ am Dienstag aus einem Interview des Bischofskonferenz-Vorsitzenden, Erzbischof Diego Padron, mit dem Nachrichtensender CNN. Weiterer Hinweis auf den Ernst der Lage ist ein Vatikanstatement vom Montagabend: nach einem Überraschungsbesuch Maduros beim Papst war dort von einer „besorgniserregenden Lage“ in Venezuela die Rede, die „schwerwiegende Auswirkungen auf das tägliche Leben der Bevölkerung“ habe.

Um eine weitere Zuspitzung abzuwenden, müsste der Präsident jetzt ein neues Referendum ermöglichen, in dem über seine Abwahl entschieden werden kann, so die Einschätzung von Adveniat-Referent Reiner Wilhelm: „Dialog ist der letzte Strohhalm für Maduro, an der Macht zu bleiben. Wenn man in einen Dialog eintritt, muss man auch etwas dafür geben. Eine Voraussetzung wäre die Zulassung oder Wiederaufnahme des Referendums, und zwar bis zum 10. Januar. Dieses Datum ist deswegen wichtig, weil es bis dahin Neuwahlen geben wird. Sollte es nach dem 10. 1. stattfinden, würde automatisch der Vizepräsident zum Präsidenten gemacht, und damit bliebe der Chavismus weiter an der Macht.“

Auch ein Einlenken des Präsidenten in der Frage der politischen Gefangen sei notwendig, damit ein Dialog als glaubwürdig gelten könne, so Wilhelm. Am dringlichsten ist aus seiner Sicht aber eine Einigung aus humanitären Gründen. Die schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise lässt das alltägliche Überleben der Menschen in Venezuela buchstäblich zur Hungerpartie werden: „Die Menschen haben nichts zu essen, es gibt kaum Medikamente, die Situation ist unheimlich dramatisch. Viele Personen, die ich kenne, viele Freunde, essen nur einmal am Tag, viele Menschen sterben, weil keine Medikamente da sind. Und da denke ich ist es wichtig, den Notstand auszurufen und damit natürlich auch der internationalen Gemeinschaft die Möglichkeit zu geben, Medikamente und Nahrungsmittel ins Land zu befördern.“

(rv/diverse 26.10.2016 pr)








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