2016-10-24 10:05:00

Calais: Räumung des „Dschungels“ hat begonnen


Die Räumung des „Dschungels“ von Calais hat begonnen: Binnen einer Woche soll Frankreichs größtes Migrantencamp vom Erdboden verschwinden. 1.250 Polizisten und Sicherheitskräfte haben an diesem Montagmorgen damit angefangen, die zwischen sechs- und achttausend Migranten des Lagers in Aufnahmezentren in anderen Landesteilen zu bringen. Binnen einer Woche soll die Operation abgeschlossen sein; die sozialistische Regierung geht über den Widerstand vieler NGOs, darunter des katholischen Hilfswerks „Secours Catholique“, hinweg.

„Mir liegt dieser Ansatz der Räumung nicht“, sagt uns der Bischof von Arras, Jean-Claude Jaeger, in einer ersten Reaktion auf die Nachrichten aus Calais: „Da wird etwas zerstört, wo doch eigentlich ganz im Gegenteil etwas aufgebaut werden müsste. Man bräuchte dringend einen Mentalitätswechsel: Man müsste eine Zukunft für diese Menschen aufbauen... Wir haben im Moment sowohl in den USA wie in Frankreich Wahlkampf – und leider läuft der nicht auf sehr hohem Niveau, das ist das Mindeste, was man sagen kann. Da wird dieses Phänomen der Migration eher verschleiert, und auch die Gründe für die Migration.“

Frankreich und auch andere westliche Länder versuchen nach Ansicht des Bischofs gar nicht erst, „das Problem an der Wurzel zu behandeln“. Stattdessen setzt gerade Paris auf die scheinbar einfache Lösung: Auflösung des Lagers gleich Lösung des Flüchtlingsproblems. Die Regierung von Francois Hollande braucht dringend positive Schlagzeilen, denn nächstes Jahr ist Präsidentenwahl.

„Das Problem an der Wurzel behandeln“

„Man kann ja von der Migrations-Realität halten, was man will – aber es ist nun mal Tatsache, dass Menschen, die bei uns vor der Tür stehen, jedenfalls aus meiner Sicht (und selbst, wenn man denken sollte, dass die jetzt eigentlich gar nicht vor unserer Tür stehen sollten) doch wie Menschen behandelt werden sollten! Vor allem, wenn das Kinder sind oder Heranwachsende, oder Frauen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass da viele junge Leute und viele Frauen in schwieriger Situation an unserer Küste landen – wir können dem Leid dieser Menschen gegenüber nicht gleichgültig sein, man muss sich auf die menschlichste und würdigste Weise um sie kümmern.“

Einige junge Leute sind in den letzten Tagen gerade noch aus dem „Dschungel“ von Calais entkommen: Die britische Regierung hat nach monatelangem Zögern fast zweihundert von ihnen erlaubt, zur „Familienzusammenführung“ nach Großbritannien einzureisen. Sie sind in der Regel zwischen 14 und 16 Jahren alt und kommen mehrheitlich aus Syrien, dem Sudan, Eritrea und Afghanistan. Zurück in Calais bleiben allerdings Hunderte, vielleicht Tausende von Altersgenossen, die jetzt in andere Lager verbracht werden sollen.

„Solche junge Menschen sind auf jeden Fall wegen großen Leids aus ihrer Heimat weggezogen; sie aufzunehmen, bedeutet, auf die Zukunft zu setzen. Ich bin davon überzeugt, dass wir nichts verlieren würden, wenn wir diese jungen Leute aufnähmen, ihnen die Sprache und einen Beruf beibrächten – wir können da nichts verlieren, sondern nur gewinnen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass solche jungen Leute, die viel Schlimmes hinter sich haben, wirklich das Beste geben, wenn sich ihnen auf einmal eine Tür öffnet. Die lernen unsere Sprache unglaublich schnell und holen in der Schule schnell auf, so dass sie manchmal sogar zu den Klassenbesten werden.“

Mauerbau lässt Calais wie ein Depot der Zentralbank wirken

NGOs, die in Calais engagiert sind, unter ihnen der „Secours Catholique“, hatten noch mit einem Eilantrag versucht, die von Hollande persönlich angekündigte Räumung des „Dschungels“ zu verhindern. Ihr Argument: Als erstes müsste jeder Einzelfall dieser Migranten untersucht und eine Perspektive für sie formuliert werden. Was jetzt in Calais passiert, ist das Gegenteil. Sogar eine Mauer wird hochgezogen, auf britische Kosten, damit künftig kein Migrant mehr auch nur auf die Idee kommt, irgendwie über den Ärmelkanal (oder durch den Eisenbahntunnel darunter) Großbritannien anzusteuern.

„Natürlich muss man als erstes sagen: Der Transit der ganzen wirtschaftlichen Aktivitäten durch Calais muss auch künftig normal vonstatten gehen können“, so Bischof Jaeger. „Da kann man nicht dagegen sein. Aber andererseits frage ich mich, ob das wirklich eine menschliche Lösung ist, einfach noch mehr Stacheldraht zu installieren und Mauern zu bauen. Und dann verstehe ich auch gut die Menschen von Calais, die keine Lust haben, im Innern einer Festung zu leben. Ihre Stadt würde so total entstellt und erschiene in den Augen Europas und der Welt wie ein Depot der französischen Zentralbank!“

Die Kirche erinnert, so formuliert der Bischof von Arras, in der derzeitigen Lage jeden an seine Verantwortung. Es gehe darum, „im Respekt vor der Würde des Menschen zu handeln“. „Die Kirche kann auch den Schrei der Einwohner von Calais hörbar machen. Die Medien sprechen oft von den Einwohnern, die – manchmal aus legitimen Gründen – unzufrieden sind, aber sie sprechen nur wenig von den vielen Einwohnern, die sich für Flüchtlinge engagieren und die diesen Menschen, die von weither kommen, maximal helfen.“

(rv 24.10.2016 sk)








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