2016-10-07 09:30:00

„Die Würde des Menschen ist unantastbar - bis zuletzt"


„Man kann die Würde des Einzelnen nicht schützen, ohne sein Leben zu schützen." Am 6. November vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt, dem war eine lange und kontroverse Debatte quer durch alle Fraktionen und Weltanschauungen voraus gegangen. Erledigt ist das Thema aber noch längst nicht, wie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe an diesem Donnerstag bei einem Besuch in Rom betonte. Bei der Humbold-Lecture, die gemeinsam von der Päpstlichen Universität Gregoriana und der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl ausgerichtet wird, wies Gröhe darauf hin, dass Recht und Gesetz oft nicht ausreichten, um in Grenzfragen Lösungen zu Gunsten der Würde des Menschen zu finden.

Für die Grenzfälle menschlichen Lebens schweige und verstumme die Rechtsordnung; umso wichtiger seien Werte und sei Ethik. Gröhe würdigte auch den Einsatz der Kirchen auf dem Feld der Sterbebegleitung, sie trügen für die Hälfte aller Palliativ-Angebote in Deutschland Verantwortung, was ihrer moralischen Stimme in der Debatte Bedeutung gebe: „Die helfende Hand hilft mehr als der erhobene Zeigefinger".

Immer wieder kam Gröhe während seiner Vorlesung darauf zurück, dass Religion und Weltanschauung in die Debatten hinein gehörten, man könne und dürfe sie nicht ausschließen. Im Interview mit Radio Vatikan betonte er anschließend: „Gerade, wenn wir uns mit der Situation Schwerstkranker und Sterbender auseinandersetzen, wenn wir sie verbessern wollen, dann wirft uns das selbst auf die Frage zurück, wie wir mit unserer eigenen Sterblichkeit und Gebrechlichkeit umgehen sollen. Solche existenziellen Fragen können Menschen kaum diskutieren, ohne sich selber weltanschaulich zu positionieren, ob sie nun glauben oder nicht glauben und ob sie nun eine Hoffnung haben, die über dieses Leben hinaus trägt. Ich finde es wichtig, dass in der Debatte solche Motive und Prägungen nicht verschwiegen werden!“

Stimme der Religionen gehört in die Debatte hinein

Er widerspreche Haltungen, die Religion aus der Debatte heraushalten wollten, so als ob ausschließlich die Weltanschauung des Atheismus die Freiheit des Menschen achte. Es sei niemals darum gegangen, religiöse Überzeugungen ins Strafrecht einzubringen. „Nein, ich denke, dass in diese Debatte auch ein kraftvolles Wort der Kirchen hineingehört - aber bitte ein Wort, das das Normative und das Praktische zusammen hält.“ Während der Debatte um die Suizid-Beihilfe zum Beispiel habe sich eine dezidierte Atheistin auf die Seite des Verbots gestellt: Gerade weil sie nicht an ein Leben nach dem Tode glaube, müsse das Leben bis zum Ende gewürdigt werden. Beispiele wie dieses zeigten, dass die inneren Haltungen wichtig seien.

Der CDU-Politiker warb dafür, Sterbehilfe nicht auf Hilfe zum Sterben zu verengen, ‚Sterbehilfe‘ sei ein geradezu verführerisches Wort. „Wer möchte nicht einem Schwerkranken und einem Sterbenden helfen? Die Frage ist aber, ob es richtig ist, unter ‚Sterbehilfe‘ zu verstehen, dass einem Sterbenden durch das Reichen eines Giftbechers und das Ausstellen eines Sterbescheins geholfen wird, oder durch das Pflegen und Schmerzen-Lindern.“ Die Menschen brauchten Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben. Auch sei es falsch, Suizid als einen Akt der Freiheit und Selbstbestimmung zu überhöhen. Die deutsche Verfassungsordnung stelle die Würde über die Selbstbestimmung, das müsse auch in dieser Debatte eine Rolle spielen.

Die Debatte geht weiter

Vor seiner Vorlesung war Minister Gröhe im päpstlichen Kinderkrankenhaus Bambin Gesù, um die dortige Kinder-Palliativ-Station zu besuchen. Es brauche Orte der Begleitung, betonte er, leider kämen Menschen oft zu spät in Kontakt mit der Begleitung, hier müsse man mehr werben und bekannt machen. „Die Debatte endet ja nicht mit einem Gesetzesbeschluss. Ich freue mich sehr, dass Deutschland anders als andere demokratischen Parlamente nicht den Weg zu leichterer Tötungsassistenz oder gar Tötung auf Verlangen freigemacht hat, sondern vielmehr Tötungsvereine unter Strafe stellt. Aber man muss weiter dafür werben, dass Menschen Angebote in der Palliativ- und Hospizversorgung auch annehmen.“

Menschen dürften zur Last fallen, so Gröhe; er verwies auf Veränderungen von Einstellungen in der Gesellschaft etwa im Nachbarland Niederlande. Dort würden die Möglichkeiten zur Tötung ausgeweitet, mittlerweile reicht ein angenommener und nicht ausdrücklicher Wunsch zur Tötung von Betroffenen (mutmaßlicher Wille). In Belgien werden auch Minderjährige ärztlich getötet. „Das geht in Richtung auf eine Normalität der Hilfe zur Selbsttötung, die ich ablehne." Hier müsse die Debatte über rechtliche Beschlüsse hinaus weiter geführt werden. „Wir diskutieren auch in Europa, in unserer Nachbarschaft die Frage, was unsere Werteordnung im Hinblick auf die Situation am Lebensende bedeutet. Insofern wird die Debatte auch über die Gesetzgebung hinaus geführt.“

Hintergrund

Die Humbold-Lecture ist in Zusammenarbeit zwischen der Päpstlichen Universität Gregoriana und der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl entstanden, eine neue gemeinsame Initiative der wissenschaftlichen Reflexion gesellschaftlich relevanter Themen, wie Botschafterin Annette Schavan in ihren Begrüßungsworten betonte. Benannt ist sie nach dem preußischen Gesandten beim Papst in den Jahren 1802-1806 und späteren Bildungsreformer und Namensgeber für die Universität Berlin, Wilhelm von Humboldt.

(rv 07.10.2016 ord)








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