2016-10-05 10:55:00

Islamgesetze in Europa - noch keine einheitliche Linie


Politiker und Vertreter der Muslime haben vor einigen Tagen in Berlin „Zehn Jahre deutsche Islamkonferenz“ gefeiert. Die Beziehungen zwischen dem Staat und einigen islamischen Verbänden sind in Deutschland derzeit nicht ungetrübt. Auch in anderen europäischen Staaten wurden Zweifel darüber laut, ob bestimmte Islamverbände genug für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen. Dieser Aspekt spielt eine Rolle bei der staatlichen Anerkennung der islamischen Verbände als Religionsgemeinschaften und bei der Verleihung der Körperschaftsrechte. Ein Beitrag von Michael Hermann.

In Europa leben mehr als 50 Millionen Muslime. In den EU-Staaten liegt der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung bei knapp über 3 Prozent. In Frankreich sind es rund 8 Prozent, in Deutschland etwas über 4, in Österreich etwas weniger, während in der Schweiz der Anteil bei knapp sechs Prozent liegt. Überall möchten die islamischen Verbände vom Staat offiziell als Religionsgemeinschaften anerkannt werden und, sofern das grundsätzlich im jeweiligen Staat möglich ist, auch den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bekommen. Warum das den Muslimen sehr wichtig ist, erläutert Pascal Gemperli, der Vorsitzende des Verbandes der Muslime im schweizerischen Kanton Waadt: „Einerseits rein pragmatisch, institutionell, weil es uns erlauben würde, unsere Aufgaben besser wahrzunehmen.  Andererseits auch symbolisch, weil eine gewisse Prüfung dem vorausgeht und unsere Gemeinschaft so auch zeigen kann: Ja wir sind demokratietauglich und wir sind kompatibel mit dieser Gesellschaft.“

In vielen europäischen Staaten wird derzeit diskutiert, ob und wie die islamischen Verbände eingebunden werden sollen und ob eine offizielle Anerkennung möglich ist. Das ist eine komplizierte religionsverfassungsrechtliche Frage. Und in jedem europäischen Staat, zum Teil auch in den Untergliederungen wie Kantonen oder Bundesländern, gibt es unterschiedliche Regelungen. Im Religionsrecht und bei der Frage der gesetzlichen Regelungen für den Islam ist Europa alles andere als einig oder geeint.

Mit dieser doch ziemlich unübersichtlichen europäischen Situation beschäftigt sich Quirin Weber von der Universität Luzern. Er sagt, dass es europaweit insgesamt den Trend zu einer verstärkten Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften, auch den islamischen, gibt. In Frankreich beispielsweise hat sich vor kurzem Innenminister Cazeneuve in diesem Sinne für die Entwicklung eines französischen Islams ausgesprochen. Quirin Weber: „Das heißt, dass die französische Regierung sehr daran interessiert ist, dass mit den islamischen Glaubensgemeinschaften zusammengearbeitet wird. Das heißt vor dem Hintergrund der französischen Tradition, dass man vom Laizismus, der strikten Trennung von Kirche und Staat, zunehmend wegkommt.“ Quirin Weber beschreibt eine Entwicklung der Konvergenz in Europa. Das heißt: Die Extreme im Religionsverfassungsrecht – auf der einen Seite der strikte Laizismus, auf der anderen die enge Kooperation von Staat und Religion – verlieren sich, der Mittelweg setze sich durch.

Eine Weiterentwicklung des Religionsverfassungsrechts ist erforderlich, erklärt auch Raida Chbib von der Universität Frankfurt. Die Beziehungen der Menschen zu deren Religion würden  sich verändern, die Menschen seien oft weniger gebunden in Religionsgemeinschaften, neue Weltanschauungen entwickeln sich, und nicht wenige Menschen wollen mit den großen monotheistischen Religionen gar nichts mehr zu tun haben. Deswegen, so meint die Religionswissenschaftlerin solle man nicht den Islam in den Mittelpunkt des religionsverfassungsrechtlichen Diskurses rücken, sondern den religiösen Wandel überhaupt: „Diesen Wandel sollten wir insgesamt im Auge behalten. Wenn wir uns jetzt die Arbeit machen, dass wir nicht zu sehr auf den Islam fokussieren, sondern dass wir den Islam verhandeln und die Lösungsfindung des Islam im Rahmen des großen Ganzen in den Blick nehmen. Das wird meines Erachtens in der bundesweit geführten Debatte zu wenig gemacht. Mit der Folge, dass man den Islam als Sonderproblem wahrnimmt, was im Prinzip nicht der Fall ist. Sondern der Islam erweist sich als in seiner Entwicklung als Produkt modernen Entwicklungen.“

In Österreich ist die religionsverfassungsrechtliche Situation eine ganz besondere. In vielen anderen europäischen Staaten wäre es undenkbar, das Zusammenspiel von Staat und islamischen Verbänden so zu regeln wie in der Alpenrepublik. Dort begegnen sich – das frühere Kaiserreich ist der Grund – seit vielen Jahrzehnten der säkulare Staat und muslimische Österreicher. Das nicht unumstrittene österreichische Islamgesetz aus dem Jahr 2015 regelt zum Beispiel, dass es nicht mehrere anerkannte islamische Religionsgesellschaften geben kann, die die gleiche theologischen Auffassung haben. Warum das so ist, erläutert Stefan Hammer von der Universität Wien: „Es handelt sich um den Versuch, die Pluralität, die Vielfalt verschiedener Lesarten der ursprünglich gleichen religiösen Lehre, möglichst auf eine überschaubare Vielfalt einzuschränken und möglichst wenig innerhalb derselben Lehre an organisatorischer Vielfalt zuzulassen.“

Der österreichische Staat will also nur ganz wenige islamische Religionsgesellschaften als Gegenüber haben, und diese müssen sich in ihrer theologischen Ausrichtung klar voneinander abgrenzen. Diese Politik  führe dazu, dass die islamischen Religionsgesellschaften in Österreich ihr Lehrgebäude vor Veränderungen und Weiterentwicklungen schützen müssten. „Das ist meines Erachtens etwas, was gerade in der heutigen Entwicklung höchst problematisch ist, weil sie gerade das Gegenteil bewirken von dem, was eigentlich erwünscht sein sollte. Nämlich dass Religionsgemeinschaften durch reflexive Weiterentwicklung ihrer eigenen religiösen Lehren sich auch vertieft mit den Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates und mit den Erfordernissen einer religiös-pluralen Umwelt auseinandersetzen“.

Die Art und Weise, wie die europäischen Staaten die Fragen der Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden regeln, sind also sehr unterschiedlich. „Für mich ist es wichtig, unabhängig davon, wie sie geregelt werden, dass sie geregelt werden und dass es mehrere anerkannte muslimische Glaubensgemeinschaften gibt, mit denen man sprechen kann, die dann auch Rechte und Pflichten haben und auch als Ansprechpartner agieren können“, sagt Professor Zekirija Sejdini von der Universität Innsbruck. „Ich glaube, dass es die falsche Richtung wäre, darauf zu warten, dass sich irgendwann einmal alle Muslime einigen und daraus eine Glaubensgemeinschaft hervorkommt. Das ist ja nicht gut, dass es nur eine gibt. Es sollte mehrere geben, wenn die Notwendigkeit besteht. Ich glaube, man sollte schneller agieren.“

Die Debatte um das Religionsrecht in Europa ist freilich nicht nur von grundsätzlichen Erwägungen zum Verhältnis von Staat und Religion getragen. Das Beispiel DITIB in Deutschland zeige, wie aktuelle innenpolitische Konflikte in anderen Ländern mitunter schnell den Weg nach Deutschland finden können, sagt manch Skeptiker, wenn es um die Anerkennung der islamischen Verbände geht. Sicherheitspolitische Motive im Religionsrecht, das ist eine schwierige Sache, meint der Wiener Rechtsprofessor Stefan Hammer. Mitunter würde durch die angestrebte Islamgesetzgebung in machen Staaten der Bevölkerung suggeriert, man habe den Islam gewissermaßen unter Kontrolle, und Ängste, die Radikalisierung und ähnliches betreffen, seien unbegründet. „Das ist meines Erachtens auch ein problematischer Ratgeber, wenn es um die Entwicklung adäquater religionsrechtlicher Strukturen geht“, sagt Stefan Hammer.

(rv 1.10.2016 mch)

 








All the contents on this site are copyrighted ©.