2016-09-11 09:03:00

Menschen in der Zeit: Der Afrikamissionar Friedrich Stenger


Die Missionsgesellschaft der Afrikamissionare – Weiße Väter - wurde vor 150 Jahren 1868 vom Erzbischof von Algier und späteren Kardinal Charles Alemond Lavigerie gegründet. Anfänglich waren sie nur für den Bereich Nordafrikas gedacht. Heute sind etwa 2000 Afrikamissionare in 26 Ländern Afrikas und ihren jeweiligen Heimatländern tätig. Das Arbeitsfeld umfasst Erstevangelisierung, Pfarrarbeit, Lehrtätigkeit an Hochschulen und soziales Engagement. Die Einsatzorte variieren vom Urwalddorf bis hin zu den Großstädten Afrikas.

Der aus Aschaffenburg gebürtige Pater Friedrich Stenger (Jahrgang 1942) wirkt für seinen Orden in Rom, wo er im Generalat die Afrika-Bibliothek leitet, eine Sammlung mit rund 50.000 Büchern spezialisiert für Afrika. Aldo Parmeggiani sprach mit dem Weißen Vater.

RV: Pater Stenger, wann und wo ist bei Ihnen die Entscheidung gefallen, Missionar zu werden?

Das war so kurz vor dem Abitur. Ich hatte schon den Gedanken, Priester zu werden, aber ich war immer auch interessiert an anderen Kulturen und vor allem an Afrika. Wieso Afrika? Das kann ich auch nicht sagen. Das ist das, was mich fasziniert hat.

RV: Ihre Spiritualität, Pater Stenger, ist eine missionarische, nach den Richtlinien der ignatianischen Spiritualität. Das heißt konkret?

Das stimmt. Unsere ersten Lehrer waren die Jesuiten, aber konkret für uns – und das unterscheidet uns in etwa von den Jesuiten – wir pflegen sehr stark das Gemeinschaftsleben und wir sind immer wenigstens zu dritt auf einer Missionsstation. Das ist für uns sehr wichtig.

RV: Wichtig war für Ihren Ordensgründer, dem Franzosen Charles Martial Allemand Lavigerie, dass seine Afrika-Missionare, die weißen Väter, in Gemeinschaften von wenigstens drei Mitbrüdern lebten. Das war 1868. Ist das heute auch noch der Fall?

Das ist heute auch noch der Fall und wir müssen manchmal Missionsstationen schließen, weil nur einer auf einem Einzelposten ist, damit Leute in Gemeinschaften leben können. Das ist für uns sehr wichtig. Gerade in Afrika ist das Leben doch wesentlich prekärer als das in Europa ist. Und da ist die Unterstützung von Mitbrüdern besonders wichtig.

RV: Wo liegen die Prioritäten Ihres Ordens heute?

Wir sind in vielen Ländern Afrikas tätig. Angefangen hat unsere Missionsarbeit in Nordafrika – daher auch das weiße Gewand der Araber. Und natürlich ist der Name „weiße Väter“ irreführend, denn die meisten weißen Väter sind heute schwarze, weiße Väter. Wir haben gerade auch einen neuen Generaloberen aus Sambia gewählt. Und unsere Prioritäten sind immer noch, dass wir Pioniere sind in der Christianisierung Afrikas. Und vor allem versuchen wir den christlichen Glauben einzupflanzen in afrikanische Kulturen, was wir „Inkulturation“ nennen. Und das ist eine sehr wichtige Aufgabe.

RV: Wie viele Afrikamissionare, die weißen Väter, gibt es weltweit und in wie vielen Ländern wirken sie?

Wir sind ungefähr 1.400 weiße Väter – das schließt natürlich auch Brüder ein, die keine Priester sind – und wir sind in ganz Afrika tätig. Wir sind sozusagen der größte Missionsorden in Afrika.

RV: Und welche sind die Schwerpunkte in Deutschland?

In Deutschland ist es vor allem die Aufgabe, die älteren Mitbrüder zu betreuen, die aus Afrika zurückkommen. Und da haben wir ungefähr 40 bis 50 Mitbrüder, die das ganze Leben in Afrika verbracht haben und die nun bei uns in Deutschland ihr Lebensende feiern.

RV: Sie sind sehr sprachbegabt, Pater Stenger, und sprechen außer ihrer Muttersprache noch Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und wohl auch einige afrikanische Idiome.

Ja, besonders gerne spreche ich ChiBemba aus Sambia. Da habe ich am längsten gearbeitet und das ist eine Sprache, die mir ans Herz gewachsen ist. Dann spreche ich etwas Swahili aus Kenia und am Anfang habe ich noch eine andere Sprache gelernt, die in Äthiopien: Tigrinya. Aber das habe ich jetzt schon fast wieder vergessen.

RV: Der beste Zugang, um ein Volk, um die Menschen eines Landes zu verstehen und kennenzulernen, ist ja bekanntlich die Beherrschung der jeweiligen Landessprache. In Afrika gibt es eine Unmenge von Sprachen. Sie hatten einige genannt. Ich kenne das noch von den Papstgrüßen, den Oster- oder Weihnachtsgrüßen. Das sind ja keine Dialekte, sondern selbständige Sprachen und jede dieser Sprachen hat auch ihre eigenen kulturellen Werte. Welche Zeichen der Hoffnung und welche dramatischen Zeichen aber auch würden Sie, Pater Stenger, in kurzer Zusammenfassung in Afrika sehen?

Nun, ich sehe eine große Gefahr, dass diese einheimischen Sprachen mehr und mehr vernachlässigt werden. Das hängt mit der Globalisierung zusammen, das hängt mit dem Internet zusammen. Englisch ist allbeherrschend oder auch Französisch natürlich. Und es ist aber auch so, dass viele Afrikaner leider der Meinung sind, dass diese einheimischen Sprachen primitive Sprachen wären. Und sie sprechen lieber mit ihren Kindern in Englisch oder Französisch. Ich habe in Kenia unterrichtet und habe immer wieder den Studenten gesagt: Die Sprache – das ist die Wurzel eurer Kultur. Und ein Baum, der keine Wurzeln hat, der kann nicht wachsen. Ich habe immer wieder betont, wie wichtig diese einheimischen Sprachen sind.

RV: Ich komme auf Ihren sehr schönen und tiefsinnigen Wahlspruch zurück, nämlich: „I’m not born in Africa, but Africa is born in me“ – „Ich bin zwar nicht in Afrika geboren, aber Afrika ist in mir geboren.“ Ist diese Einstellung zu einem Land und seinen Einwohnern überhaupt die beste Lebenshaltung überhaupt für einen Missionar?

Ich denke schon. Ich habe ja die Missionsgeschichte auch studiert. Und ich habe auch gesehen, dass es am Anfang auch Missionare gab, die sehr skeptisch gegenüber den afrikanischen Kulturen und auch den einheimischen Religionen waren und die da auch den Leuten zum Teil auch Unrecht getan haben – oft auch aus Ignoranz. Das hat sich – Gott sei Dank – inzwischen geändert. Und man weiß jetzt auch mehr, man weiß jetzt auch die einheimischen, afrikanischen, vorchristlichen Religionen mehr zu schätzen. Ich sage immer: Gott war schon in Afrika, bevor die Missionare kamen. Es ist nicht so, dass wir das Wissen an Gott gebracht haben. Das war schon da. Das müssen wir nur entdecken in ihren einheimischen Religionen. Und deshalb ist es sehr wichtig, dass wir offen sind, dass wir die Sprache gut kennen und dass wir damit auch das Weltbild der Menschen verstehen. Nur dann können wir den Leuten ein wenig gerecht sein. Leider ist hier bei uns oft eine nur oberflächliche Meinung zu finden, was Afrikaner angeht. Wie hier in Rom: Man sieht sie oft nur auf der Straße, wie sie irgendwelche Sachen verkaufen und so. Das ist schade. Das gehört auch zu Afrika, aber es gibt viel mehr in Afrika. Es gibt einen Reichtum von Kulturen und Sprachen, der unausschöpfbar ist.

RV: Südlich der Sahara hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Aids-Krankheit in einem Tempo ausgebreitet in einem Tempo wie nie zuvor. 60 Prozent, so habe ich gelesen, der HIV-Infizierten leben in Afrika. Das sind 25 Millionen Menschen. Wie stellen sich die Afrika-Missionare diesem Problem?

Naja, natürlich zunächst durch Aufklärung der Menschen und indem man hinweist auf die Gefahren, die bestehen durch unkontrollierten Geschlechtskontakt. Warum ist dieser Geschlechtskontakt oft da? Das hat auch wieder finanzielle und ökonomische Gründe. Es ist oft eine Art, um zu Geld zu kommen. Das ist ein ziemlich komplexer Bereich. Man muss den Leuten zunächst die Möglichkeit geben, aus diesem circulus vitiosus wieder herauszukommen. Man muss ihnen die Möglichkeit geben, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Dann können sie oft auch von diesen sexuellen Praktiken wegkommen. Aber es muss natürlich auch mehr getan werden oder wird jetzt schon getan. Das ist zum Teil noch umstritten, was zum Beispiel Verhütungsmethoden angeht. In einigen Ländern ist man sehr fortschrittlich wie in Uganda, dort ist die Aids-Rate rapide zurück gegangen. In anderen Ländern ist es noch nicht so. Andererseits: Heutzutage stirbt man ja nicht mehr an Aids. Es gibt Medikamente – ich kenne selbst einige Studenten von mir, die haben Aids. Aber wenn sie regelmäßig ihre Medikamente nehmen, dann können die leben. Und das ist dann natürlich auch eine Gefahr, dass dann Leute sagen: Ja, das ist ja alles nicht so schlimm.

RV: Pater Stenger, ein paar Worte zur Stellung der Frau in Afrika?

Ja, man findet schon noch in etlichen Ländern eine gewisse Vormachtstellung des Mannes. Ich habe das oft gesehen in kleinen christlichen Gemeinschaften, wenn ich mit denen Bibel-Gespräche geführt habe. Da waren oft zehn Frauen und ein Mann, aber der eine Mann war dann immer der Wortführer. Und man muss die Frauen ermutigen. Und da muss auch sagen, dass manche kulturellen Praktiken einfach geändert werden müssen. Man muss nicht alles bewahren, was Kultur und Tradition ist – sondern man muss schauen, was dem Leben und dem Zusammenleben dient. Ich kann Ihnen sagen, es gibt viele Frauen, die sehr couragiert sind heute in Afrika, die den Männern ohne weiteres Paroli bieten können.

RV: In Afrika leben neuen Schätzungen zufolge 400 Millionen Christen, 350 Millionen Moslems und 75 Millionen Anhänger afrikanischer, traditioneller Religionen, die auch Stammesreligionen genannt werden. Wie begegnet ein katholischer Afrika-Missionar dieser religiösen Vielfalt?

Gerade für uns weiße Väter ist der interreligiöse Dialog eine wichtige Aufgabe. Das ist zunächst mit den Moslems, wo unsere Leute in Nordafrika wohnen, denn dort gibt es ja keine Pfarreien im herkömmlichen Sinne, sondern das sind kleine Gruppen. Aber unsere Leute haben eine christliche Präsenz und stehen im dauernden Dialog mit den Moslems. Was die traditionellen Religionen angeht, da gibt es Gegenden, wo man da überhaupt nichts mehr davon sieht – in vielen Gegenden Ostafrikas ist praktisch nichts mehr zu sehen. Das will nicht heißen, dass im Verborgenen noch einige Praktiken existieren. Aber wir sind auch diesen traditionellen Religionen, wie ich schon am Anfang sagte, gegenüber aufgeschlossen. Wir versuchen Kontakt mit ihnen zu haben und versuchen Brücken zu bauen zwischen dem Christentum und den traditionellen Religionen.

RV: Moderne Kommunikationsmittel sind auf vielen Bereichen der Kultur, der Wirtschaft und der Politik unerlässlich geworden und befinden sich global auf einem wahren Siegeszug. Diese Tendenz gilt sicherlich auch für Afrika, denke ich. Führt diese Entwicklung jedoch nicht auch gleichzeitig zu einer Verarmung afrikanischer Kultur?

Natürlich, nicht nur afrikanische Kultur. Das ist ja weltweit. Wir enden hoffentlich nicht ab mit einer Coca-Cola-Kultur oder so was ähnlichem. Und deswegen habe ich immer wieder meine afrikanischen Freunde ermutigt, dass sie ihre afrikanischen Wurzeln pflegen. Und das fängt an mit der afrikanischen Sprache und mit ihren Bräuchen.

RV: Jeder fünfte Afrikaner ist direkt oder indirekt von den Folgen verschiedener Kriegshandlungen in Afrika betroffen – zum Beispiel die Elfenbeinküste, Liberia, Äthiopien, Kongo. Viele Afrikaner werden zu Flüchtlingen und verlassen ihre Heimat in Richtung Europa. Viele kommen dabei zu Tode. Was kann die Afrika-Mission gegen diese Problematik tun?

Da berühren Sie ein ganz großes, schlimmes Problem. Wir wissen ja, dass das Mittelmeer praktisch das Grab von vielen tausenden von Flüchtlingen geworden ist. Fast jeden Tag werden dank vor allem der italienischen Küstenwachen Tausende aus dem Wasser gerettet und nach Lampedusa gebracht. Das ist natürlich auf Dauer keine Lösung. Aber viele verzweifeln auch und ich weiß, dass etliche auch gerne zurück möchten, wo sie herkommen. Die einzige Lösung sehe ich darin, dass wir Lobbyisten sind, die die europäische Industrie zwingen müssen, den Leuten vor Ort, wo sie wohnen, Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Denn es ist doch immer noch so jetzt, dass wir Europäer vor allem an den Rohstoffen Afrikas interessiert sind. Aber die Verarbeitung machen wir bei uns hier. Ein Beispiel gebe ich Ihnen von Sambia: Dort wird Kupfer gewonnen. Wir beziehen die Kupferbarren, aber die Kupferdrähte und alles, was gemacht wird, wird bei uns hier gemacht. Und wenn die das dort brauchen, dann müssen sie es von uns praktisch wieder importieren. Und das ist moralisch gesehen sehr schlimm. Papst Franziskus hat auch schon das manchmal angesprochen und ich glaube, wir müssen alle unsere Energien daran setzen, um unsere Industrie zu zwingen, dass sie ihr Know-how mit den Afrikanern teilen, damit die Leute nicht den schwierigen und gefährlichen Weg über das Mittelmeer hierher nehmen müssen, sondern vor Ort, Zuhause ein Einkommen finden können.


RV: Pater Stenger, ich bedanke mich, dass Sie dieses Problem, das Flüchtlingsproblem so gut dargestellt haben und auch irgendwie einen Ratschlag für dieses Problem zu geben wussten. Wollen wir diese Sendung, die wir jetzt schließen müssen, vielleicht zum Abschluss unseres Gespräches, Pater Stenger, nun doch ein paar Lichtstrahlen auf diesen zweitgrößten Kontinent der Erde werfen, der Ihnen zur Heimat geworden ist?

Ja, natürlich. Afrika ist nicht nur Elend und Flüchtlinge und Kriege. Das wäre total verkehrt. Wenn Sie selber nach Afrika fahren: in gewissen Gegenden merken Sie überhaupt nichts davon. Und Sie sehen Leute, die gastfreundlich sind, die offen sind und diese innere Freude ausstrahlen und auch eine Freude, die aus dem Glauben heraus kommt. Denn das kann man ja bestimmt sagen, dass für viele Afrikaner auch gerade jetzt der christliche Glaube ein innerer Halt geworden ist, gerade jetzt in diesen schwierigen Situationen. Und da können wir uns noch eine Scheibe abschneiden von diesen Menschen, denke ich mir. Denn wir beklagen uns oft auf hohem Niveau und haben eigentlich kaum Grund zu klagen.

RV: Gibt es vielleicht irgendetwas, was Sie gerne noch sagen möchten?
Ja, einen Punkt würde ich gerne noch erwähnen. Und zwar die Situation der einheimischen Priester in Afrika. Und zwar meine ich hier die finanzielle Situation. Wissen Sie, ich kenne Diözesen in Afrika, die praktisch kein Geld haben und das Geld, das sie für Messstipendien bekommen, verwenden, um die Diözese zu verwalten. Das heißt, die Priester bekommen kein Geld. Und die Priester müssen jetzt schauen, wie sie irgendwie zurechtkommen. Ich kenne Priester, die von Montag bis Freitag mit ihrem Auto Taxi-Service machen, um zu leben ganz einfach. Aber das ist keine dauerhafte Lösung. Ich würde mir wünschen, dass es eine Konferenz gibt – eine panafrikanische Konferenz -, wo man bewusst die Situation der Diözesan-Priester ins Visier nimmt. Für die Ordenspriester ist das anders. Die haben andere Geldmöglichkeiten, aber nicht die einheimischen Priester. Und das würde ich mir wünschen, wenn man da eine Lösung finden könnte.

RV: Danke für das Gespräch, Pater Stenger.
 
Aldo Parmeggiani

 

(rv 11.09.2016 ap)








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