2016-09-07 11:51:00

Gottes Name ist Barmherzigkeit: Auch im Islam?


Barmherzigkeit im Islam – das ist nicht die nächstliegende Kombination, wenn man islamistischen Hasspredigern und Salafisten in Deutschland zuhört oder die Gewalt des Islamischen Staates betrachtet. Dabei ist Barmherzigkeit die Grundeigenschaft des islamischen Gottes, behauptet der Münsteraner Islamwissenschaftler Mouhanad  Khorchide. Am Dienstagabend sprach er in der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom mit Kurienkardinal Walter Kasper über Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Barmherzigkeitsbegriffs in Christentum und Islam:

„Die Barmherzigkeit ist koranisch gesehen die wesentliche Eigenschaft Gottes, um diese Eigenschaft drehen sich alle anderen Eigenschaften Gottes. Denn die Barmherzigkeit ist die häufigste Eigenschaft Gottes, die im Koran vorkommt. 113 der 114 koranischen Suren beginnen mit der Formel „Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allerbarmers.“ Das einzige, zu dem sich Gott im Koran selbst verpflichtet hat, ist die Barmherzigkeit. In der 6. Sure Vers 12 heißt es: „Er hat sich selbst der Barmherzigkeit verschrieben“. Gott hat sich also in Freiheit gegenüber sich selbst und gegenüber den Menschen zur Barmherzigkeit verpflichtet. Der Koran beschreibt die Barmherzigkeit Gottes als absolut. Da heißt es: „Meine Barmherzigkeit umfasst alle Dinge“ 7. Sure, 156.“

Von Khorchide stammt auch das Buch „Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion”. Seiner Ansicht nach zeugt die gesamte Stoßrichtung des Koran von einem Gott, der sich sowohl um die Welt sorgt als auch um sie Bescheid weiß und in der Welt eingreift, also von einem barmherzigen Gott.

Kardinal Kasper wiederum erzählte die Geschichte der Barmherzigkeit im Christentum nach, wie er es auch in seinem Buch „Barmherzigkeit“ tut. Das lateinische Wort Misericordia, was so viel bedeute wie „ein Herz haben für die Armen“, sei nicht zu verwechseln mit Mitleid, sondern meine eine aktive Einstellung, einen tatkräftigen Einsatz für die Armen und Ausgegrenzten. Das sei das direkte Gegenteil von der globalisierten Gleichgültigkeit, die Papst Franziskus immer wieder anprangert. Aber nicht nur der Mensch ist nach christlichem Verständnis aufgefordert, barmherzig zu sein, sondern Gott selbst ist barmherzig. Er zeigt sich barmherzig, indem er herabsteigt, Mensch wird, bis ans Kreuz geht und sein Leben hingibt für die anderen.

„An diesem Punkt zeigt sich dann schon ein Unterschied zum Koran, ein Gott der Mensch wird, der ans Kreuz geht, der stirbt für den anderen, stellvertretend für den Anderen eintritt. Das ist eine Vorstellung, die so, wie ich den Koran verstehe und lese, dort nicht da ist.“

Selbstverständlich haben die Christen nicht immer Barmherzigkeit gelebt, sie haben im Lauf der Geschichte auch schreckliche Untaten begangen, Kasper nannte die Kreuzzüge und die blutige Verfolgung von Häretikern. „Aber es gibt eben dieses Kriterium: Bei Jesus ist mit Gewalt überhaupt nichts zu machen, das ist ausgeschlossen für ihn. Dieser Unterschied bleibt. Mohammed ist Prophet und Staatspräsident, Jesus war kein Staatspräsident und wollte es aber auch nicht sein. Sie wollten ihn ja zum König machen, zum Brotkönig. Er hat es abgelehnt. Ich würde sagen, da sind zwei Kriterien genannt, die einfach unterschiedlich sind.“

Khorchide, der für eine historisch-kritische Analyse der heiligen Schrift des Islam eintritt, betonte, dass der Koran nicht mit dem Judentum und Christentum abbricht, sondern immer wieder die Kontinuität betont. Gerade die Barmherzigkeit im christlichen Verständnis habe im Koran ihre Spuren hinterlassen:

„Die Barmherzigkeit, das Wort taucht zum ersten Mal in den mittelmekkanischen Suren auf und zwar am stärksten in der 19. Sure, die die Überschrift ‚Maria‘ trägt. Also in Zusammenhang mit dem Christentum. Und diese Sure handelt hauptsächlich von Maria und Jesus. Also im Zusammenhang mit dem Christentum kommt die Begrifflichkeit Barmherzigkeit sehr stark auf. Und das finde ich auch gut so, dass auch hier der Koran selbst die Verbindung zum Christentum gerade beim Thema Barmherzigkeit herstellt. Ich finde es nur schade, dass es innerexegetisch und innertheologisch kaum so kommuniziert wird.“

„Mein Wunsch an die Vertreter des Islam: sich auf die Religionsfreiheit besinnen"

Kardinal Kasper begrüßt, dass das Thema Barmherzigkeit nun auch den interreligiösen Dialog erreicht hat. Das sei die rechte Antwort auf die Not und die Gewalt in der Welt.

„Ich denke, die Menschheit wird nur Zukunft haben, wenn sie sich gemeinsam von ihren religiösen und kulturellen Voraussetzungen ausgehend auf das Thema Barmherzigkeit besinnt. Anders kann die Menschheit in der heutigen Situation keine Zukunft haben. Da müssen alle Menschen guten Willens, aber auch alle Religionen zusammenarbeiten, ihre vergangenen Streitigkeiten vergessen und barmherzig miteinander umgehen. Auch was ihre Vergangenheit angeht. Und dann zusammenarbeiten auf dem, was sie gemeinsam haben. Da sind mit der Interpretation von Islam, die wir heute Abend gehört haben, gemeinsame Voraussetzungen da, dass man zusammenarbeiten kann für eine gerechtere, freiheitlichere und barmherzigere Welt, die wir brauchen. Wir müssen auch zusammenarbeiten, um andere Mächte zurückzudrängen. Und deshalb auch mein Wunsch an die Vertreter des Islam, sich auf die Religionsfreiheit zu besinnen, ohne deren Voraussetzung wir heute nicht zukunftsfähig sind.“

Und Mouhanad Khorchide fügte hinzu:

„Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass die Trennlinie nicht zwischen Muslimen und Christen verläuft, sondern zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Interpretationen der Religion. Ich verstehe mich mit Kardinal Kasper wohl besser als mit jemandem vom IS! Was die Menschheit von uns heute erwartet, ist, dieses Thema der Barmherzigkeit nicht nur theologisch anzustoßen, sondern aufzuzeigen, wie das in der Lebenswirklichkeit zu übersetzen ist. Wenn ich an den sogenannten arabischen Frühling denke, der alles andere als religiös oder theologisch angestoßen wurde, dann vermisse ich hier die Stimmen der Religionen. Wo sind die Stimmen der Religionen, um zu verhindern, dass so viel Unheil geschieht, die anstoßen, dass es mehr Frieden auf der Welt gibt? Ich glaube das ist der nächste Auftrag für den interreligiösen Dialog und ich sehe, auf theologischer Basis verstehen wir uns wunderbar. Es fehlt nur die weitere Arbeit der Übersetzung.“

Mouhanad Khorchide, „Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion”, sowie Kardinal Walter Kaspers „Barmherzigkeit: Grundbegriff des Evangeliums - Schlüssel christlichen Lebens“  sind beide im Verlag Herder erschienen.

(rv 07.09.2016 cz)








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