2016-08-31 11:46:00

„Mutter Teresa ist mit uns geblieben, sie betet für uns"


Etwas wie ein spirituelles Paradox umgibt die Mutter Teresa-Schwestern. Sie sind nicht von dieser Welt – und zugleich mitten in der Welt, deren Leid sie lindern. Sie sind komplett aufgehoben in Gott und komplett hingegeben im Dienst an den ärmsten Menschen, die sie finden. Radio Vatikan sprach mit Mutter Mary Prema, der Generaloberin der Missionarinnen der Nächstenliebe. Die aus Münster stammende Ordensfrau ist die zweite Nachfolgerin von Mutter Teresa, die der Papst am Sonntag heilig sprechen wird.

„Die Heiligsprechung unserer Mutter ist für uns eine große Ehre. Sie gibt uns die Chance, näher auf ihr Leben zu sehen, auf ihr Wirken und auf die große Aufmerksamkeit, die ihr von anderen zuteilwird, aber auch auf unser eigenes Leben zu sehen. Das ist wirklich ein Augenblick der Gewissenserforschung, um tiefer zu sehen, wie wir die Berufung leben, die wir als Missionarinnen der Nächstenliebe erhalten haben, besonders unser Einssein mit Gott im Gebet und unser Einssein mit Jesus in den Armen.“

RV: Wie erinnern Sie sich persönlich an Mutter Teresa?

„Ich kannte sie seit 1980, als ich die Möglichkeit hatte, ihr öfter zu begegnen, besonders in diesem Haus in Rom. Wir lebten mit ihr, und für uns war es selbstverständlich, dass sie immer so verfügbar und so aufmerksam für jede von uns war. Wir genossen ihre Anwesenheit, und wir wollten von ihr wissen, wie sie den Tag lebte und wirkte. Aber in der Tiefe wusste ich nicht, wie sehr sie mit Jesus vereint war und wie tief sie die Botschaft von Jesus lebte. Ich kann sehen, dass die Werke der Barmherzigkeit für die Mutter eine zweite Natur waren. Aber so war sie, für uns war das selbstverständlich.“

RV: Wie erklären Sie sich, dass Mutter Teresa auch in den Herzen so vieler Nichtglaubender ankam?

„Das war die Liebe, mit der Mutter jeden Menschen umgab. Sie sah nicht auf Nationalität oder Glaube oder Ethnie, sie sah die Seele, die Gott geschaffen hatte nach seinem Abbild, geschaffen zur Liebe und geliebt zu werden. Deshalb gab sie ihre Aufmerksamkeit frei und direkt, besonders den Leidenden. Das wurde ihre zweite Natur, aufmerksam zu sein und bewusst und sensibel für die Gefühle und besonders die Leiden des einzelnen Menschen. Und so liebten Menschen aller Glaubensrichtungen die Mutter. Denn sie erfuhren, dass sie ihr gehörten und dass umgekehrt auch sie ihnen gehörte. Das Gefühl der Zugehörigkeit zur Familie Gottes und zur Familie der Mutter: das ist stark in den Herzen der Menschen, besonders in Indien.“

RV: Ist die Kirche von heute jene, die Mutter Teresa sich wünschte?

„Die Mutter verbrachte ihre Zeit nicht mit dem Stellen solcher Fragen: die Kirche müsste so oder so ein. Die Mutter analysierte nicht, sondern sie verwendete ihre Zeit dazu, ihre Verantwortung wahrzunehmen und Jesus ernst zu nehmen. Sie sagte: Die Kirche, das sind wir, du und ich. Wenn du willst, dass die Kirche heilig ist, ist es deine und meine Pflicht, heilig zu sein. So hat sie das gelebt.“

RV: Ist Mutter Teresa eine Art „Heiligenbildchen“ geworden?

„Wir haben mit ihr gelebt und sie kennen gelernt. Es wäre ungerecht, ihr Bild zu verehren, ohne darin ein nachzuahmendes Modell zu suchen. Die Mutter ist das Leben und sie ist mit uns geblieben. Sie betet für uns. Sie war im Leben vieler Menschen tätig. Das habe ich besonders in ihrem Haus in Kalkutta gesehen, wo Tausende und Abertausende Pilger, arme Leute, die sterblichen Überreste der Mutter besuchen. Sie bitten um ihre Fürsprache, und sie hört zu. Und sie kehren mit Frieden im Herzen zurück, mit Vertrauen und der Hoffnung, dass das Leben besser sein kann. Die Mutter ist kein Heiligenbildchen. Die Mutter ist lebendig, tätig, überall. Wir brauchen sie, ihre Lehren, ihre Fürsprache.“

RV: Sie war auch dazu in der Lage, mit Politikern jeder Ebene sehr klar zu sprechen…

„Die Mutter ging nicht herum, um den anderen Leuten Predigten zu halten oder ihnen zu sagen, was sie tun sollten. Wenn sie sprach, tat sie das von der Klarheit ihres Herzens heraus. Egal mit wem sie redete, ihr Sprechen war in jedem Fall voller Überzeugung über die Werte des Lebens: Spiritualität, Gebet, Familie, wo mitunter die Beziehungen mit der Annahme des Leids und mit Vergebung unterstützt werden sollen. Der Wert des Ordenslebens als Fortsetzung des Lebens Jesu. Sie trug mit sich der Werte der Ärmsten der Armen, denn das sind große Menschen, die uns viel lehren, sie lehren uns das zu akzeptieren, was das Lebens uns bringt. Die Mutter hat niemals einen Schritt zurück getan in der Verteidigung der Würde des Menschen.“

RV: Im Jahr der Heiligsprechung von Mutter Teresa wurden vier ihrer Mitschwestern im Jemen ermordet. „Märtyrerinnen der Gleichgültigkeit“ nannte der Papst sie. Wenn wir auf die Verfolgung der religiösen Minderheiten  in der ganzen Welt sehen, scheint die Hoffnung, dass ein solches Martyrium zu etwas gut sein könnte, nicht enttäuscht zu werden?

„Wenn wir mit den Augen der Welt auf den Tod der Mitschwestern blicken, ist es eine Verschwendung junger Leben. Wenn wir mit den Augen des Glaubens darauf blicken, ist es ein großes Privileg, das eigene Leben hinzugeben für jene, denen wir dienen. Die Verfolgungen gehörten zum Christentum von Beginn an. Die Verfolgungen sind notwendig, damit das Beste aus unseren Berufungen kommen kann. Unsere Schwestern sind aus freien Stücken und bewusst im Dienst der Kranken in Aden im Jemen geblieben. Es ist ein großer Schmerz, und zugleich eine große Ehre zu wissen, dass sie das Ziel ihrer Berufung erreicht haben, die Vereinigung mit Gott und in der Vergebung für jene, die nicht wissen, was sie tun.“

(rv 31.08.2016 gs)








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