2016-08-08 13:45:00

Italien: „Die Flüchtlinge versuchen es immer wieder“


Wenn die Türkei die Grenzen für Flüchtlinge öffnen würde, hätte das zerstörerische Auswirkungen auf Europa. Dieser Ansicht ist der italienische Innenminister Angelino Alfano. Er betont zugleich, dass der italienische Grenzschutz sehr effizient sei, ihm sei es auch zu verdanken, dass Österreich am Brenner keine Mauer errichten ließ, wie noch vor wenigen Wochen geplant. Doch auch die italienische Grenzpolizei kommt manchmal an ihre Grenzen, wie sich am Wochenende in der Kleinstadt Ventimiglia bei Frankreich herausstellte. Dort konnten über hundert Migranten die Polizeisperren durchbrechen. Zudem gab es zwischen Grenzgegnern und der Polizei heftige Auseinandersetzungen, bei denen ein Polizist ums Leben kam. Über die gespannte Lage vor Ort sprach Radio Vatikan mit Don Rito Julio Alvarez von der Sankt Antonio Gemeinde, der sich um die Flüchtlinge kümmert.

„Ventimiglia wird kein neues Calais“. Das betonte Minister Alfano am Montag in einem Interview mit der Tageszeitung Repubblica. Dabei bezog er sich auf die nordfranzösische Stadt Calais, die Dreh- und Angelpunkt für Flüchtlinge auf dem Weg nach Großbritannien ist. Mit Kontrollen in den Zügen werde verhindert, dass Flüchtlinge von Ventimiglia illegal nach Frankreich reisten. Dabei gibt es durchaus auch Parallelen zwischen Calais und Ventimiglia: Die Flüchtlinge, die zurückgeschickt werden oder auf der Flucht scheitern, versuchen es immer wieder erneut.

„In Ventimiglia kommen ständig Flüchtlinge an, in der Hoffnung, weiter nach Frankreich zu kommen. Aber die Franzosen schicken sie immer wieder zurück. Das heißt zwangsläufig, dass die Migranten in der Stadt bleiben, und die Autoritäten von Ventimiglia müssen sie in die Aufnahmelager im Süden schicken. Es ist ein Teufelskreis, denn wenn sie mit einem der Busse gen Süden geschickt werden, sind sie innerhalb von drei Tagen wieder in Ventimiglia. Das macht die Lage für die Stadt sehr kompliziert.“

Zur Zeit lebten rund 1.000 Flüchtlinge in der 20.000-Einwohner-Stadt. Die meisten kommen aus dem Südsudan, andere sind Algerier, Tunesier, Afghanen oder aus Mali. Den Großteil bilden junge Menschen und vor allem Männer, im Schnitt sind sie um die 30 Jahre alt. Von tausend Flüchtlingen sind vielleicht 40 Frauen und 20 Kinder. Außerdem gebe es viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, weiß Don Alvarez.

Im Mai haben wir beschlossen, die Türen der Kirchen zu öffnen. Gemeinsam mit der Präfektur haben wir ein Lager aufgemacht, das „Lager des Roten Kreuzes“ genannt wird. Dort können 370 Menschen wohnen. Alle können reinkommen, im Zweifel schlafen sie dann auf dem Boden oder auf Liegen. Es gibt dort Duschen, auch Mahlzeiten dreimal am Tag. Dort bekommen sie außerdem Informationen zum Asylrecht, so dass sie einschätzen können, ob sie Aussicht auf Asyl haben. Und wir versuchen zu vermitteln, dass sie in Frankreich nicht durchgelassen werden.“

Am Wochenende eskalierte die Situation: An die 150 Flüchtlinge durchbrachen Polizeisperren, überdies gab es Auseinandersetzungen von Grenzgegnern der Organisation „No Borders“ mit der Polizei. Dabei kam einer der Polizisten ums Leben – er starb an einem Herzinfarkt. Aus Respekt sagte die Organisation ihre Demonstration daraufhin ab. Die Situation bleibt aber angespannt.

Wir sind darauf nicht wirklich vorbereitet. Ja, es gibt diese Bewegung No Borders, und machnmal übertreiben sie es auch, das ist meine Meinung. Ich denke, die wichtigste Sache wäre der Dialog: zu versuchen, das konkrete Problem hier in dem Gebiet zu verstehen und dann zu handeln. Wenn man nur auf der Straße demonstrieren geht, sorgt das für Unmut und neue Probleme. Die Europäische Union muss sich bewusst sein, dass das Problem mit Flüchtlingen kein italienisches, sondern ein gesamteuropäisches Problem ist. Und für Italien gilt, dass es nicht nur auf Ventimiglia beschränkt bleibt, sondern Ventimiglia ist Italien!“

Dennoch glaubt Don Alvarez nicht, dass man in Italien und Europa nun Angst vor Flüchtlingen haben müsse. Die meisten der Migranten, denen er begegnet sei, seien sehr verzweifelt, und er glaube nicht, dass sie gekommen seien, um jemandem etwas Schlechtes anzutun.

„Wir müssen uns einfach mit der Realität auseinandersetzen. Wenn diese Menschen ihre Heimat verlassen mussten, wird es dafür einen Grund gegeben haben. Und dieser Grund geht alle Bürger etwas an, nicht nur die Bewohner von Ventimiglia.“

(rv 08.08.2016 cz)








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