2016-08-02 08:30:00

Libanon/Österreich: Verhindern einer verlorenen Generation


Im Libanon besteht die konkrete Gefahr des Heranwachsens einer Verlorenen Generation von syrischen Flüchtlingskindern, die aufgrund der fehlenden Schulbildung keinerlei Zukunftschancen haben. Darauf macht Stefan Maier von der Caritas Salzburg im Radio Vatikan-Interview aufmerksam. Caritas Salzburg ist unter den österreichischen Caritas-Organisationen federführend bei der Hilfskoordination für den Nahen Osten und insbesondere im Libanon, Syrien und Ägypten. Maier ist als Leiter der Auslandshilfe erst vor Kurzem von einem Besuch im Libanon zurückgekehrt. Ein Schwerpunkt der Caritasarbeit dort liege gerade darauf, syrischen Flüchtlingskindern den Zugang zum libanesischen Schulsystem zu erleichtern.

„Im Libanon ist das staatliche Schulsystem völlig überfordert, es war schon früher, zu normalen Zeiten, so, dass ein Großteil der libanesischen Kinder Privatschulen besucht, weil die Bevölkerung selbst kein großes Vertrauen in ihr Schulsystem hat. Libanesen räumen der Bildung ihrer Kinder traditionell einen sehr hohen Stellenwert ein, und deshalb hat jeder, der es sich leisten kann, versucht, die Kinder in Privatschulen zu schicken. Ein Land, das es nicht einmal schafft, für die eigenen Kinder genug und vor allem gute Schulplätze zur Verfügung zu stellen, ist natürlich völlig überfordert, wenn auf einmal hunderttausende syrische Flüchtlingskinder im Land leben, die auch eingeschult werden sollten.“ In keinem Land der Welt seien prozentual gesehen so viele Flüchtlinge zu versorgen wie im Libanon, betont Maier. Auf 4,5 Millionen Libanesen kämen nach Schätzungen das Doppelte der offiziell registrierten Anzahl von syrischen Flüchtlingen, nämlich 2 Millionen statt der offiziellen 1 Million. Zum Vergleich: In Deutschland entspräche das der Aufnahme von 20 bis 30 Millionen (!) Flüchtlingen. Dazu müsse man auch noch Flüchtlinge anderer Nationen rechnen, die in dieser Aufzählung gar nicht berücksichtigt würden. Eine enorme Herausforderung für das Land, das durch die gewaltige Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland Syrien fast bis zum Kollaps gebracht worden sei. „So ist es leider der Fall, dass fast zwei Drittel der syrischen Kinder im Libanon keine Schule besuchen, vielfach bereits seit dem Zeitpunkt ihrer Flucht, was für manche bereits vier Jahre zurück liegt. Deshalb besteht diese große Gefahr des Heranwachsens einer verlorenen Generation. Und hier versucht die Caritas Österreich durch ein großes Regionalprogramm mit mehreren Partnern eine größere Anzahl von Kindern wieder in das Schulsystem zu integrieren.“

2 Mio Flüchtlinge auf 4,5 Mio Einwohner

Dazu zählten die Unterstützung von Schulspeisungen, die für die Kinder oft die einzige warme Mahlzeit am Tag darstellten, aber auch die intensive Betreuung durch Nachhilfelehrer, die die Kinder auf das libanesische Schulsystem vorbereite. Dieses sei nicht nur anspruchsvoller als das syrische, sondern halte auch Sprachbarrieren für die Flüchtlingskinder bereit, berichtet Maier. „Die große Hürde für die Kinder: Sie sind es gewohnt, dass dort alles auf Arabisch unterrichtet wird, während im Libanon Hauptfächer auf einmal in englischer oder französischer Sprache unterrichtet werden. Für die Kinder, die diese Sprachen nicht sprechen, ist das natürlich eine gewaltige Herausforderung. Deshalb also diese intensive Nachmittagsbetreuung, die mittlerweile dazu geführt hat, dass im Schnitt die syrischen Kinder bessere schulische Leistungen zeigen das die libanesischen Kinder.“

Zwar sei die Arbeit dort mit einem Tropfen auf dem heißen Stein vergleichbar, räumt Maier ein. Doch auch der Ozean bestehe aus „vielen Tropfen auf dem heißen Stein“, und jedes Kind, dem durch die Initiativen der Caritas geholfen werden könne, sei ein Kind, das eine Chance habe, nicht ein Teil einer „verlorenen Generation“ zu werden. In seinem Heimatland Österreich werde täglich von den Herausforderungen, denen man sich durch den Flüchtlingsstrom gegenüber sehe, berichtet – doch im Jahr 2015 habe Österreich gerade 90.000 Flüchtlinge aufgenommen: „was sicherlich eine große Zahl war, aber wenn man gerade aus einem Land wie dem Libanon kommt, der bei gut vier Millionen Einwohnern offiziell eine Million und inoffiziell 2 Millionen Syrer aufgenommen hat, und dazu kommen noch zahlreiche andere Flüchtlinge wie beispielsweise 500.000 palästinensische Flüchtlinge, die seit Generationen im Libanon leben, sowie sonstige Kriegsflüchtlinge, dann muss man wirklich staunen, wie gut der Libanon damit umgegangen ist und wie groß die Aufnahmebereitschaft der libanesischen Bevölkerung ist, auch wenn sie jetzt durch die große Belastung zunehmend an ihre Grenzen stößt.“ Die Internationale Gemeinschaft und vor allem Europa müssten – auch im eigenen Interesse, gerade diesen Anrainerstaaten noch mehr Hilfe zukommen lassen, appelliert Maier: „Wenn dort die Situation eskaliert und außer Kontrolle gerät, dann kommen wieder viel mehr Flüchtlinge nach Europa und es wäre schon im eigenen Interesse der Europäer, dort Lebensbedingungen für die Flüchtlinge zu schaffen, die es ermöglichen, dass sie nahe ihrer Heimat bleiben können und gar nicht erst nach Europa kommen müssen.“

(rv 01.08.2016 cs)








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