2016-07-17 10:05:00

Brasilien: Noch kaum Vorfreude auf die Olympischen Spiele


Die Vorfreude auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro hält sich zumindest bei den Brasilianern noch in Grenzen, denn die sind momentan viel zu sehr damit beschäftigt, das tägliche Überleben zu sichern. Das sagt uns im Interview der Brasilienkenner Pfarrer Georg Pettinger. Er ist der Seelsorger der Deutschen Gemeinde in Sao Paolo und momentan auch für das etwa eine Dreiviertelstunde (Flugzeit) entfernte Rio de Janeiro zuständig. Er wird die deutschsprachigen katholischen Sportler im Team mit einem Diakon aus der Diözese Köln betreuen. „Die Situation ist im Moment alles andere als erfreulich und leicht für die brasilianische Bevölkerung, was die politische und wirtschaftliche Lage betrifft. Im Moment ist Olympia noch gar nicht so in den Köpfen der Leute, ganz einfach deshalb, weil sie zu sehr mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt sind. Die Lebensmittelpreise explodieren, die Inflation nimmt entsprechend zu, das Gesundheits- und Schulsystems leiden unter den politischen Wirren… Im Moment herrscht also sehr viel Unsicherheit, wie es denn weiter geht,“ so Pfarrer Pettinger.

In der Tat ist die politische Situation in Brasilien nach wie vor unübersichtlich: Die gewählte Amtsinhaberin Dilma Rousseff suspendiert, ein erst vor wenigen Tagen gewählter neuer Parlamentspräsident, das Parlament quer durch die Parteienlandschaft mit Politikern besetzt, die im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen mit Strafverfahren zu rechnen haben, und Rio de Janeiro ist kurz vor den Spielen faktisch pleite – die Hauptstadt Brasilia musste großzügige Summen zuschießen, um die Vorbereitungen nicht zum Erliegen zu bringen. Neben dem täglichen Kampf ums Überleben spiele aber natürlich auch die Lebenseinstellung der Brasilianer eine gewisse Rolle, schmunzelt Pfarrer Pettinger, der schon seit Jahren in Brasilien zu Hause ist: „Die brasilianische Bevölkerung ist eine sehr spontane Bevölkerung und wird sich dann, wenn die Spiele beginnen, natürlich freuen und die Leute herzlich willkommen heißen. Sie sind großartige Gastgeber und ein sehr liebenswürdiges Volk. Sie werden mit Sicherheit ihre Alltagsprobleme, die für den einen oder anderen vielleicht vor Ort schon spürbar werden, nicht an den Gästen auslassen.“ 

Zwar müsse man sicherlich mit einer Zunahme von Kleindelikten wie Taschendiebstahl rechnen, warnt Pfarrer Pettinger. Bislang sei Brasilien aber vor Attentaten oder größer angelegten terroristischen Akten verschont geblieben. „Deshalb hat man aber auch wenig Erfahrung im Umgang mit solchen Szenarien. Die Regierung hat beschlossen, weitere Sicherheitskräfte zu mobilisieren, so dass man von 11.000 zusätzlichen Kräften ausgeht. Man macht sich wohl auch erst jetzt Gedanken, nach all dem, was da vorgefallen ist.“ 

Erst kürzlich seien auch erste konkrete Terrorwarnungen bekannt geworden. An diesem Wochenende übten brasilianische Soldaten an einem Bahnhof für den Ernstfall, es wurde eine Bombenexplosion und ein Anschlag auf einen Zug simuliert. Nach den Anschlägen von Nizza hatte die brasilianische Regierung angekündigt, die Sicherheitsmaßnahmen nochmals zu verstärken. Man könne jedenfalls eine hohe Alarmbereitschaft spüren, umso mehr, als Rio zwar die „schönste Stadt der Welt“ sei, wie die Brasilianer sie auch gerne nennen, aber doch insbesondere in den Favelas ein großes Sicherheitsproblem habe, sagt uns Pettinger. „Natürlich ist Sicherheit auch immer eine gefühlte Sicherheit, wie geht derjenige der kommt, damit um, das heißt, wie verhält er sich? Ein gewisses waches Auge und Vorsicht – nicht Furcht – sollte man auch trotz aller Freude und Offenherzigkeit walten lassen. Da kann der einzelne schon mithelfen, vieles zu vermeiden.“ 

Kritik wurde in den vergangenen Monaten auch wegen der Verzögerungen beim Bau der Sportstätten und Infrastrukturen laut. Doch das sei für brasilianische Verhältnisse weder ungewöhnlich noch besonders besorgniserregend, meint Pfarrer Pettinger: „Ein Beispiel, das auch die Brasilianer selbst schmunzeln hat lassen, war die Wiedereinführung einer neuen Straßenbahn, die es in Brasilien ja schon seit langer Zeit gab und nun wieder gibt. Die ist am ersten Tag stehen geblieben, weil sie nicht funktioniert hat. Das wurde aber mittlerweile behoben. Ich glaube, das wird genauso sein, auf die letzte Minute schaffen sie es dann doch, alles soweit hinzubringen, dass die Spiele stattfinden können.“

Am 5. August ist es dann soweit: Die Olympischen Spiele werden im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro eröffnet. Athleten aus rund 200 Nationen haben sich für die Spiele qualifiziert und werden sich in 28 verschiedenen Sportarten messen, die wiederum in 41 Disziplinen aufgeteilt sind. Die Spiele gehen bis zum 24. August. Im Anschluss starten dann die Paralympics, vom 7. bis 18. September finden sie statt. Sorge macht Athleten wie Besuchern auch das Zika-Virus, das momentan in Brasilien grassiert und im Zusammenhang mit Fehlgeburten stehen könnte. Einige Athleten haben ihre Teilnahme an den Spielen mit Hinweis auf das Virus abgesagt.

(rv 17.07.2016 cs)








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