2016-07-16 08:00:00

Buchtipp: Mystik in Christentum, Judentum und Islam


Was in unseren Ohren so edel klingt, hat als Schimpfwort begonnen: „Mystik“. Das 17. Jahrhundert bedachte damit alles, was ihm nicht so richtig vernunftgemäß erschien. Nonnen mit Visionen, zum Beispiel. Mit dieser Herkunft des Wortes (auch „Gotik“ ist damals unter ganz ähnlichen Umständen als abwertende Beizeichnung gebildet worden) hat es zu tun, dass „Mystik“ uns bis heute als irgendwie abgehoben vorkommt – jedenfalls nicht als etwas, das mit meinem, deinem, unserem Glauben, mit unserer Art des Christseins zu tun hat.

Obwohl – da ist ja noch dieses berühmte Zitat von Karl Rahner, Sie wissen schon. „Der Fromme von morgen wird ein ,Mystiker´ sein, einer der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Hier ist „Mystik“ kein Schimpfwort – hier ist es die Form des Christseins überhaupt, die noch Zukunft hat. Also, wie denn jetzt?

Das neue Themenheft „Welt und Umwelt der Bibel“ des Katholischen Bibelwerks beschäftigt sich mit „Mystik in Christentum, Judentum und Islam“. Und macht dabei von Anfang an das Oszillierende des Begriffs „Mystik“ deutlich. Weil er – das kommt auch noch dazu – aus der christlichen Tradition herrührt, lehnen ihn viele Anhänger der anderen monotheistischen Religionen ab. Dabei weisen auch diese Religionen beeindruckende Gotteserfahrungen auf, die sich als „mystisch“ kennzeichnen lassen und die das Heft facettenreich darstellt: Stichwort Kabbala (Judentum), Stichwort tanzende Derwische und Sufis (Islam).

Besonders spannend wird es, wenn die Autoren durch die „Mystik“-Lupe auf biblische Texte schauen. „War Paulus ein Mystiker?“, fragt ein Aufsatz – und beantwortet die Frage mit Ja. Wenn es um sein Damaskus-Erlebnis gehe, sei der Völkerapostel auf einmal nicht mehr der logische Denker, sondern er rede in mystischen Kategorien. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, diese Worte aus dem Galaterbrief markieren einen „Subjektwechsel“, das sei „eine in der Mystik wohlbekannte Erfahrung“. Auch im Johannesevangelium spüren die Autoren des Hefts „mystische Elemente“ auf.

Es ist eine atemberaubende Reise durch die Mystik der Jahrtausende und der unterschiedlichsten Traditionen, auf die uns dieses Themenheft mitnimmt. Immer fundiert, immer überraschend – von Spezialisten verfasst, und trotzdem verständlich. Die Reise führt nach innen, ins Verborgene: da, wo uns deutlich wird, dass das Göttliche „größer ist als unser Reden und auch als unser Schweigen von ihm“. Dieses „größer“ ist das „akbar“ der Muslime, das, worauf einst das leere Allerheiligste im jüdischen Tempel hindeutete.

Neben den Aufsätzen zur Mystik bietet das Heft viele Informationen zu Ausgrabungen und Funden im Heiligen Land. Es stellt das älteste vollständige Manuskript der Hebräischen Bibel vor (es ist der mittelalterliche Codex von Aleppo) und behandelt die knifflige Frage, ob Christen und Muslime tatsächlich zum selben Gott beten. Eine rundum interessante Zeitschrift: ein Muss für alle, die sich für die Bibel interessieren.

Katholisches Bibelwerk (Hrsg.), Welt und Umwelt der Bibel. Themenheft Nr. 81 „Gott erfahren: Mystik in Christentum, Judentum und Islam“. Ca. 11,30 Euro.

(rv 16.07.2016 Stefan v. Kempis)








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