2016-07-10 08:08:00

Dauerkrise in Griechenland: Interview mit dem Erzbischof von Athen


Und dann war da noch: Griechenland. Immer noch. Die Krise in dem Land ist keineswegs vorbei, sie ist nur durch neue Themen (IS-Anschläge, Brexit usw.) etwas in den Hintergrund gerückt. Dabei liegt die Arbeitslosigkeit in Griechenland weiter auf einem Rekordhoch von 25 Prozent, und Zehntausende von Flüchtlingen halten sich im Land auf, Überbleibsel der Migrantenschwemme des letzten Jahres.

„Die Flüchtlinge gehören nicht zur Gesellschaft, sie stehen an ihrem Rand, ihre Lage ist miserabel“, sagt uns der katholische Erzbischof von Athen, Sebastianos Rossolatos. „Alle NGOs tun ihr Bestes, um wenigstens das Überleben der Flüchtlinge zu garantieren... aber eigentlich kann das so nicht weitergehen. Das reine Überleben kann ja nicht alles sein; man müsste sie integrieren, zumal sie ja noch viele Monate, vielleicht Jahre, in Griechenland bleiben müssen; man muss ihre Kinder in die Schule schicken. Das ist alles ein Riesenproblem! Und es ist nur ein Teil der dramatischen Lage, die die Griechen selbst erleben, aber auch die Einwanderer, die vor zwanzig oder dreißig Jahren nach Griechenland gekommen sind und die oft keine Arbeit haben. Sie müssen Steuern zahlen, und die sind sehr hoch. Dieses Jahr sind sie sogar noch höher...“

Das Paradox Europas

Das liegt an den Bedingungen, die die Griechenland-Retter, vor allem EU und Internationaler Währungsfonds, der Regierung von Alexis Tsipras aufgedrückt haben. „Griechenland, das Paradox Europas“ hieß eine Konferenz, die in diesen Tagen u.a. von der Caritas und Missio in Athen ausgerichtet wurde und auf der Erzbischof Rossolatos einen Vortrag gehalten hat. An Paradoxen ist das arme Griechenland tatsächlich reich. Die Frage zum Beispiel, wie man denn angesichts der hohen Arbeitslosigkeit auch noch Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren will – noch so ein Paradox.

„Das ist ein Problem, das sich schlechterdings nicht lösen lässt. Wenn man die Flüchtlinge in die Gesellschaft integriert und ihnen Arbeit und alles übrige verschafft, dann steigen einem die Griechen aufs Dach, die keine Arbeit haben und die ihre Familien mit wenig Geld über die Runden bringen müssen. Das alles ist im Augenblick eine einzige Sackgasse. Wenn man keine neuen Arbeitsplätze für die Griechen und die Einwanderer der letzten Jahrzehnte schafft – wie soll man denn dann die 50.000 Flüchtlinge integrieren, die letztes Jahr gekommen sind?“

Sie sind ja nicht nur in Camps auf den griechischen Inseln, die Flüchtlinge – sondern auch in Athen. Oder in Aufnahmelagern überall im Land. „Aber nicht alle kommen in diese Lager, es gibt noch viele Zelte im Hafen von Piräus“, sagt der Erzbischof. Der Hafen von Piräus ist übrigens, auf Druck der Gläubiger und Retter, an die Chinesen verkauft worden, die daraus den größten Mittelmeer-Containerhafen machen wollen.

Leiden unter dem Brexit

Was das mit den Flüchtlingen zu tun hat? Nun, in Griechenland hängt alles mit allem zusammen. Hier die großen Pläne für die Zukunft, dort die Zelte der ungewollten Flüchtlinge. „Aber die, die in den Aufnahmelagern sind, sind so verzweifelt, dass sie aufbegehren, und immer wieder kommt es zu Zusammenstößen, zu Bränden... Die Caritas kann nicht viel ausrichten, solange es nicht einen Entwicklungsplan der EU und der Regierung gibt. Im Moment gibt es keinen solchen Plan.“

Und weil alles mit allem zusammenhängt – siehe oben –, kommt der Erzbischof der hellenischen Hauptstadt auch auf den Brexit zu sprechen. Der habe auch seine Auswirkungen auf die Lage Griechenlands – negative Auswirkungen. „Und zwar, weil jetzt jeder Dialog, um zu einer Entwicklung in Griechenland zu kommen, blockiert ist. Die Europäische Union muss sich im Moment eben mit anderen Problemen beschäftigen. Die EU verlangt, dass Griechenland seine Schulden bezahlt, und die Regierung erhöht die Steuern – aus diesem Kreislauf gibt es gar keinen Ausweg! Sie erhöhen Steuern, aber ohne für Entwicklung zu sorgen. Aus Richtung der EU sehen wir kein Licht.“

Unsere Standardfrage in solchen Fällen: Was kann die Kirche tun? Nicht viel, ist Rossolatos’ ernüchternde Antwort. „Die Leute und die Familien sind verarmt; dadurch sind auch die Pfarreien und die Bistümer verarmt. Die Bistümer und die Bischöfe können den Pfarreien nicht mehr helfen, wir haben kein Geld mehr, um einen Pfarrer zu einer Katechismusstunde irgendwohin zu schicken... Auch die Kirche ist jetzt verarmt. Die Flüchtlinge, die im letzten Jahr gekommen sind, sind nur der letzte Punkt, der die Lage verschärft hat; in Wirklichkeit dauert unsere Krise schon dreißig Jahre!“

(rv 10.07.2016 sk)








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