2016-06-30 12:00:00

„Auseinanderbrechen Europas ist die falsche Antwort“


„Was ist mit dir los, Europa?“ Diese Frage aus Papst Franziskus‘ Karlspreis-Rede mögen sich in diesen Tagen viele stellen. Brexit, Flüchtlingskrise, rechtspopulistische und antieuropäische Stimmen in vielen Kernländern der EU. Die ökumenischen Bewegung „Miteinander für Europa“ will am Wochenende mit einem Kongress und einer Kundgebung in München ein Zeichen für den Zusammenhalt in Europa und die Einheit der Kirchen setzen. Claudia Zeisel sprach mit einem der Leiter der Veranstaltung, Gerhard Proß.

„500 Jahre Trennung sind genug – Einheit ist möglich!“ Das Motto der Kundgebung am Samstag in München gibt den Ton vor: Angesichts von getrennten Kirchen, Menschen auf der Flucht, Not durch Krisen in Europa wollen Christen aus verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften Ja sagen zur Einheit in kultureller Vielfalt. Gerhard Proß war 30 Jahre lang leitender Referent des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) Esslingen und ist Gründungsmitglied von „Miteinander für Europa“. Das Treffen in München hat er natürlich schon vor der Brexit-Abstimmung geplant und organisiert. Nun aber sei die Botschaft dringender denn je: „Ich sehe, dass die Fliehkräfte, dass die populistischen Kräfte im Moment sehr stark sind. Desto wichtiger ist es, dass wir andere Zeichen und Signale setzen", so Proß. „Natürlich haben diese Fliehkräfte auch hier und dort ihre Berechtigung. Und die dürfen wir nicht unterschätzen. Natürlich hat die EU auch hier und dort ein Gesicht, das es zu korrigieren gilt. Insofern mag die Entscheidung von England der EU auch helfen, nötige Korrekturen vorzunehmen, damit die Menschen in Europa nicht das Gefühl haben, sie werden nivelliert und beherrscht von irgendeinem anonymen Apparat. Da gibt es durchaus eine ernstzunehmende Botschaft. Aber das Auseinanderbrechen ist die völlig falsche Antwort. Dem müssen wir als Bewegung und als Kirchen etwas entgegensetzen.“

Viele Bewegungen gemeinsam

Zu „Miteinander für Europa“ gehören die Gemeinschaft Sant’Egidio, die Schönstatt-Bewegung, die Fokolar-Bewegung, der CVJM und andere. Grundidee des Zusammenschlusses war es, innerkirchlich für ein Miteinander und die Einheit zu arbeiten und die Erfahrungen auch auf Europa zu übertragen. Bei dem Kongress im Münchner Zirkus „Krone“ gibt es zahlreiche Podiumsdiskussionen zu gesellschaftlichen Entwicklungen, etwa zum Verhältnis von Jung und Alt und die Solidarität mit Flüchtlingen. 'Einbringen werden sich auch die Vatikan-Kardinäle Walter Kasper und Kurt Koch, der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sowie der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz wird einen Impuls geben zu einem Podium mit dem Titel: „Europas Zukunft liegt in seinen Wurzeln“. Ein brisantes Thema, angesichts des Denkens von rechten Bewegungen wie Pegida, die eine Überfremdung und den Untergang des Abendlandes heraufbeschwört.

„Wir sehen, dass dahinter vor allem Ängste vor der Überfremdung entstehen, diese Ängste hängen ganz wesentlich mit der eigenen Identität zusammen. Unsere Erfahrung im Miteinander ist, dass wir gestärkt aus der Begegnung hervorgehen", sagt Proß. „Martin Buber hat einmal den starken Satz gesagt: ‘Der Mensch wird am Du zum Ich‘. Das ist unsere Grunderfahrung. Das heißt, unsere Identität wird nicht geschwächt durch das Miteinander, sondern wir gehen gestärkt in unserer eigenen Identität daraus hervor. Das heißt, es wird darauf ankommen, in unsere Gemeinschaften diesen Gedanken zu transportieren. Auf der christlichen Grundbasis, aus diesem Wert der Liebe und Annahme heraus: Wir werden durch das Miteinander nicht verlieren, sondern gewinnen.“

Auch der Papst ist dabei

Auch Papst Franziskus hat eine Videobotschaft an die Teilnehmer des Treffens in München in seinem Terminplan. Sie wird am Samstag bei der Kundgebung auf dem Karlsplatz vorgespielt. „Miteinander für Europa“ will mit seinem ökumenischen Ansatz auch einen Boden bereiten für das Lutherjahr 2017. „Dass Schritte der Versöhnung unter den Kirchen stattfinden, also das, was das Anliegen von Papst Franziskus ist, werden wir auch an dieser Stelle vollziehen. Und einander auch Vergebung zusprechen und damit den Ballast von Jahrhunderten ablegen. Unsere Erfahrung ist, Versöhnung eröffnet die Zukunft. Dort, wo wir versöhnt nach vorne gehen, da werden wir neue Chancen für die Zukunft haben. Ich bin überzeugt, dass wir Schritte der Einheit gehen können.”

Wie wichtig die neuen geistlichen Bewegungen, die auch bei „Miteinander für Europa“ vertreten sind, für die Kirche sind, betont das jüngst vom Vatikan vorgestellte Schreiben „Iuvenescit Ecclesia“. Auch die evangelische Kirche, so Gerhard Proß, habe diesen Impuls positiv aufgenommen.

„Wir freuen uns, dass der Vatikan dieses Thema ausgegriffen hat. Wir sehen in dem Miteinander zwischen Amt und Bewegung einen Schlüssel. Vielleicht darf ich daran erinnern, dass damals Papst Johannes Paul II. die katholischen Gemeinschaften zusammengerufen hat und dieses Stichwort von Amt und Bewegung ins Spiel gebracht hat, dem Miteinander und dem Begriff „gleichwesentlich“. Und dieses „gleichwesentlich", das hat uns als Evangelische mit auf den Plan gerufen, dass wir gesagt haben: Da fühlen wir uns verstanden. Dieses Verständnis teilen wir und in diesem Verständnis sind wir gerne bereit, als geistliche Gemeinschaft mit dem charismatischen Impuls im Miteinander in der Kirche zu dienen in der Zuordnung zum Amt und umgekehrt, dass wir darum wissen: Amt und Bewegung brauchen sich gegenseitig.”

 

(rv 30.06.2016 cz)








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