2016-06-29 10:58:00

„Erste Stellungnahme der Orthodoxen zu Menschheitsfragen“


Im Vatikan hat man die „Enzyklika“ des orthodoxen Konzils von Kreta genau gelesen – und würdigt den (ohne Unterschriften) elf Seiten langen Text als epochemachend. „Zum ersten Mal sprechen die orthodoxen Kirchen mit einer Stimme nicht nur in Fragen, die sie selbst betreffen, sondern auch in Fragen, die die ganze Menschheit angehen.“ Der Rundbrief sei „sicher eine der wichtigsten Früchte“ des panorthodoxen Konzils, das bis Sonntag eine Woche lang auf der Insel Kreta zusammengetreten war.

In der Vatikanzeitung ‚L’Osservatore Romano’ analysiert Hyacinthe Destivelle vom päpstlichen Einheitsrat an diesem Freitag die „Enzyklika“. Der Dominikaner hat die Arbeiten des Konzils auf Kreta aus der Nähe beobachtet. Ursprünglich habe das Konzil neben den seit Jahrzehnten vorbereiteten Texten nur eine „Botschaft“ veröffentlichen wollen; doch nun sei neben die kurze „Botschaft“ auch eine „Enzyklika“ getreten. Sie zeichnet sich in Destivelles Sicht dadurch aus, dass sie „fast so lang ist wie alle anderen Konzilsdokumente zusammen“ und dass sie nicht schon von Vorbereitungs-Konferenzen der letzten Jahrzehnte entworfen wurde. Ein aktueller Text also. Mehr noch: Sie ist der einzige Konzilstext, der nicht nur interne orthodoxe Problemfelder behandelt, sondern zu Nicht-Orthodoxen, ja zur ganzen Menschheit spricht.

„Askese als Gegengift zum Konsumismus“

Die „Enzyklika“ wurde von einem Gremium unter der Leitung von Metropolit Emmanuel von Frankreich geschrieben, sie hat sieben Themen-Kapitel, darunter „Familie“ und „Globalisierung“. Als „Herausforderungen unserer Zeit“ nennt Kapitel fünf u.a. Säkularismus und Konsumismus. Die Umweltkrise habe „geistlich-moralische“ Wurzeln, und wer sie bekämpfen wolle, müsse „nicht nur Buße leisten für die Sünde der übermässigen Ausbeutung natürlicher Ressourcen des Planeten“, sondern auch „Askese als Gegengift zum Konsumismus und zum Kult der Bedürfnisse betreiben“.

Was die Globalisierung (Kapitel sechs) betrifft, macht die „Enzyklika“ einen Vorschlag, den der Vatikanmann „originell“ nennt: Die Organisation der orthodoxen Kirche wird als Alternativ-Modell zur „reduktionistischen und unpersönlichen Homogenisierung“ beschrieben. Sie mache vor, wie sich „die Identität der Völker schützen und der lokale Charakter stärken“ liessen. Alle orthodoxen Ortskirchen seien einander gleichgestellt; das könne doch ein Vorbild für die Völkerfamilie sein. Das Kapitel betont die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs und die „Liebe der Kirche“ zu Flüchtlingen und Migranten.

„Schade“: Keine Anspielung auf Ziel des ökumenischen Gesprächs

Mit spitzen Fingern untersucht Vatikanmitarbeiter Destivelle Kapitel sieben, in dem es um Ökumene geht. Der Dialog der Orthodoxen mit „heterodoxen Christen“ wird dort mit folgenden Worten gerechtfertigt: „Dank diesem Dialog kennen die anderen Christen jetzt die Orthodoxie und die Reinheit ihrer Tradition besser. Sie wissen jetzt auch, dass die orthodoxe Kirche niemals irgendeinen theologischen Minimalismus oder Zweifel an ihrer dogmatischen Tradition und ihrem evangeliumsgemäßen Ethos akzeptiert hat.“ Diese Herangehensweise nennt Destivelle „schade“: Es fehle auch die geringste Anspielung auf das Ziel des ökumenischen Gesprächs, nämlich die Herstellung der sichtbaren Einheit unter den Christen.

Dennoch müsse man diesem Text insgesamt doch „Gerechtigkeit widerfahren lassen“. Anders als die übrigen Konzilsdokumente mit ihrer nach innen gerichteten Optik weise die „Enzyklika“ „eine breitere theologische Vision“ auf, „die in der Regel positiver und weniger juridisch“ sei. Kennzeichnend sei die strikt kirchliche, „ja kirchen-zentrische“ Perspektive. „Und das ist Zug, der zweifellos der ganzen Orthodoxie eignet“, so Pater Destivelle. „Für sie ist, wie die „Enzyklika“ formuliert, die ganze Welt dazu aufgerufen, sich verkirchlichen zu lassen.“

(or 29.06.2016 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.