2016-06-23 13:00:00

Brexit oder Remain: „Großbritannien muss für andere da sein“


 


Schicksalstag für Großbritannien und die EU. An diesem Donnerstag stimmen die Briten darüber ab, ob ihr Land Mitglied der Europäischen Union bleibt oder nicht. Während Experten über die finanziellen Folgen des Ausstiegs aus der EU sinnieren, erinnert die Kirche von England in erster Linie an die christlichen Werte des Landes, die auch europäische Werte seien. Das christliche Prinzip „für den Nächsten da zu sein“ bekommt hier eine ganz neue Wendung.

„Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt, die Tapfern kosten einmal nur den Tod.“ Mit diesen dramatischen Worten aus Shakespeares Tragödie „Julius Caesar“ würdigte am Montag der anglikanische Bischof von Leeds, Nick Baines, im britischen Parlament die verstorbene Labour-Abgeordnete Jo Cox. Die erklärte Brexit-Gegnerin war vor genau einer Woche von einem Fanatiker auf offener Straße erschossen worden. Der Täter soll voher gerufen haben „Britian first“, „Großbritannien zuerst“. Genau das aber, erinnert der Primas der Kirche von England, Erzbischof Justin Welby, in einer Videobotschaft, sei nicht die Berufung des Landes:

„Egal ob Sie gläubig sind, Christ sind, einer anderen Religion angehören oder gar nicht glauben: Im Herzen des christlichen Erbes unseres Landes, das uns geformt und geprägt hat, steht, dass wir dann am besten sind, wenn wir für andere leben. In gewissem Sinne ist es die Berufung Großbritanniens, ein Land für andere zu sein. Wie das in der Praxis aussieht, darüber können die Menschen unterschiedlicher Meinung sein. Jene, die in der EU-Austritts-Kampagne sind, würden sagen, das funktioniere am besten, wenn wir nicht Teil der Europäischen Union seien. Die Gegner würden das wiederum anders sehen. So oder so, am 24. Juni werden wir entscheiden. Und dieser Entscheidung müssen wir nachkommen.“

Die anglikanische Kirche nimmt ofiziell nicht explizit Partei in der Brexit-Debatte, doch Primas Welby macht keinen Hehl aus seiner Meinung, es sei besser, in der EU zu bleiben. So erinnert er zum Beispiel auch an Großbritanniens Beitrag zur Befreiung Europas vor der Nazidiktatur mit der Landung der Aliierten in der Normandie. Damit untermauert er die These, dass Großbritannien für die anderen, also auch für den Rest Europas da sein und man den Weg gemeinsam weitergehen müsse. Aufopferung, Großzügigkeit, Visionen über die eigenen Interessen hinaus und Hilfe für die Hilflosen – das seien die zutiefst christlichen Werte, die Großbritannien geprägt hätten. Neben den negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Flüchtlingspolitik des Landes gelte es sich vor allem auf diese Werte zu besinnen. Jeder sollte abstimmen gehen und nach bestem Gewissen entscheiden.

„Ich bete dafür, dass wir diese Entscheidung mit einem Sinn für Großzügigkeit und Visionen darüber treffen, was wir in der Welt sein können. Eine Vision, die auf unserer Geschichte und unserer Vergangenheit aufbaut, hin zu einer Zukunft voller Tatendrang, Selbstaufopferung, einem Dasein für andere. Wenn wir diese Entscheidung getroffen haben – egal wie sie auch ausgehen mag – hoffe ich, dass wir danach schauen, dass das Land geeint und bleibt und auf eine Zukunft hinarbeitet, die so gut als möglich ist. Und das nicht nur für uns, sondern in der ganzen Welt, in der wir leben. Ich bete, dass dieser großartige Geist der Aufopferung, der uns in der Vergangenheit angeregt hat, uns auch weiterhin inspiriert, das beste Land zu sein, das wir nur sein können – ob als Teil der Europäischen Union oder auf andere Art und Weise.“

Welche Wendung das Shakespearsche Drama namens Brexit nun nimmt, dürften wir im Laufe der Nacht auf Freitag erfahren. Die Wahllokale sind bis 23 Uhr geöffnet, danach werden die Ergebnisse der einzelnen Wahlbezirke wohl nach und nach bekannt werden. 

(rv 21.06.2016 cz)








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