2016-06-12 07:19:00

Was heißt und wer darf predigen?


Was heißt und wer darf predigen? Warum halten ausschließlich Priester in der Messe die Homilie? In welchem Rahmen können Laien predigen? Sollte oder könnte die Predigt-Erlaubnis ausgedehnt werden, und wenn ja, warum und wie? Diese Fragen hat im März die Frauenbeilage der Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano“ aufgegriffen – und damit andernorts für die Schlagzeile gesorgt, der Vatikan bringe auf ungewöhnliche Weise die „Frauenpredigt“ wieder ins Spiel. Ein konservatives Webportal titelte gar in Kampfpose: „Wenn kein Frauenpriestertum, dann zumindest Frauenpredigt“.  

Gudrun Sailer bat zur Vertiefung des Themas Predigt zwei Priester zum Gespräch: Pater Bruno Cadoré und Michael Kahle. Der erste ist Obere des Predigerordens, also der Dominikaner, der zweite Priester des Erzbistums Köln und beschäftigt an der vatikanischen Liturgiekongregation. Beide stimmen überein: predigen und verkünden gehören zusammen, und verkünden, das ist der Auftrag an alle Getauften, mit oder ohne Priesterweihe.

Michael Kahle fasst im Gespräch mit uns die geltende Regelung zur Laienpredigt zusammen:

„Johannes Paul II. hat im Jahr 2004 veranlasst, dass die Instruktion Redemptionis Sacramentum herausgegeben wird. Darin wird gesagt, dass die Homilie, also die Predigt innerhalb der Feier der Heiligen Messe, begrenzt ist auf die geweihten Amtsträger: Bischöfe, Priester und Diakone. Dies aus der Erfahrung heraus, dass die Praxis in der Weltkirche anders aussieht und der Heilige Stuhl sich hier veranlasst sieht, noch einmal die offizielle Regelung in Erinnerung zu rufen.“

RV: Was unterscheidet die Homilie von der Predigt?

„Die Homilie besagt, dass der Verkündigungsdienst in der Auslegung der Heiligen Schrift innerhalb der Heiligen Messe ist. Also die Predigt in der Heiligen Messe wird als Homilie bezeichnet. Wohingegen der Verkündigungsdienst viel, viel weiter zu fassen ist, auch im Sinn der Predigt, in einem erweiterten Bereich, in anderen liturgischen Feiern, die durchaus nicht auf geweihte Amtsträger begrenzt sind, sondern wie in der Form der Katechese beispielsweise, auch von Laienchristen übernommen werden können.“

RV: Welche anderen liturgischen Feiern stehen also heute offen für die Laienpredigt?

„Andere gottesdienstliche Formen, wie beispielsweise eine Wortgottesfeier, wo es durchaus möglich ist, dass auch im Sinn einer Auslegung, eine Predigt in Anführungszeichen, durch einen Laienchristen gehalten werden darf. Oder in Form eine Statio. Oder in der Art eines Echos auf das Evangelium, auf die Lesung: ein persönliches Zeugnis ablegen. Und all das gehört hinein in den Bereich der Verkündigung, die dazu anregen soll, das Wort Gottes nicht nur in sich aufzunehmen, sondern es auszulegen für die Gegenwart, um eine Hilfe für das Leben zu haben, das alltägliche Leben als Christ.“

RV: Wo liegt aus Ihrer Sicht der Kern des Problems oder des Unbehagens, das manche mit der derzeit geltenden Regelung haben?

„Ein nicht unwesentlicher Punkt ist die Tatsache, dass wir Liturgie allzu sehr engführen auf die Feier der Eucharistie. Selbstverständlich ist die Eucharistie Quelle und Höhepunkt allen christlichen Lebens, wie es das Konzil sagt, und die Heilige Messe ist darin nochmal der Höhepunkt. Aber das schließt andere gottesdienstliche Formen nicht aus. Und indem wir wieder zu einem Reichtum an liturgischen Formen zurückfinden, wird auch die Möglichkeit gegeben, dass auch Laienchristen ein Zeugnis ablegen können in diesen Feiern eine Predigt – in Anführungsstrichen – dort halten können.“

Ein enger und ein weiter Sinn des Predigens: theologische Vertiefung erwünscht

Zwischen einem engen und einem weiten Sinn des Predigens unterscheidet auch Pater Bruno Cadoré. Der Franzose steht seit 2010 an der Spitze des Dominikanerordens, des Ordo fratrum Praedicatorum, der das Charisma  dieser Form der Verkündigung seit seiner Gründung vor 800 Jahren im Namen trägt. „Beim Predigen gibt es die spezielle Predigt der Homilie während der eucharistischen Feier, die also ein liturgisches Akt ist, aber der Akt der homiletischen Predigt ist sehr eng umgrenzt“, erklärt Cadoré; doch:

„die Predigt selbst ist das Evangelium vom Reich Gottes verkünden, das heißt so wie Jesus auf die Straße gehen, die Menschen treffen, ihnen zuhören, mit ihnen sprechen, ihre Fragen anhören, keine Fragen beantworten, die sie nicht stellen, und dann im Gespräch nach und nach findet man den rechten Weg, den vorzustellen, der sich in der Schrift offenbart.“

RV: Die Dominikanerinnen teilen mit den Dominikanern dasselbe Charisma. Inwiefern sind auch sie dazu aufgerufen zu predigen?

„Die Dominikanerinnen beteiligen sich am Predigen: durch ihr Ordenscharisma des Predigens, durch ihr gemeinsame Zeugnis, durch ihr Zeugnis der Kontemplation des Wortes Gottes, das die Welt trifft. Sie gehen nicht hinaus, sie gehen nicht von Dorf zu Dorf, da sie in Klausur leben, aber sie haben Anteil daran.“

RV: Kann denn das Predigen im engen Sinn, die Homilie, in Zukunft auch Nicht-Geweihten offen stehen?

„Der Ordensmeister hat nicht die Position, die Regeln der Kirche zu ändern. Der Orden ist bloß ein Orden innerhalb der Kirche... Kann die Homilie anderen offenstehen, die nicht Priester sind? Ich glaube, es gilt ernsthaft nachzudenken über die Art, wie sich die Homilie als liturgischer Akt einfügt in die eucharistische Feier, in die Feier des Geheimnisses der Anwesenheit und des Wortes Gottes. Genau darüber muss die Kirche nachdenken, wenn sie eines Tages diese Disziplin, diese Regel ändern möchte. Dennoch scheint mir, diese Frage darf nicht der Baum sein, der den Wald versteckt. Der Wald ist das: Die Kirche muss predigen. Die kirchlichen Gemeinschaften müssen predigen. Sie müssen das Wort Gottes verkünden. Und nicht nur in der Messe. Und das betrifft alle. Die Kleriker und die Nicht-Kleriker, die Ordensleute und die Nicht-Ordensleute, die Männer und Frauen, die Jungen und die Alten. Alle müssen daran arbeiten, damit die kirchlichen Gemeinschaften das Wort Gottes verkünden: das ist predigen. Die Evangelisierung geht nicht vom Klerus aus, um zum Laiengläubigen zu gelangen, die Evangelisierung geht von der Kirche aus, um in die Welt zu gelangen: das ist die Änderung, die es zu machen gilt. Wenn man diese Änderung macht, dann, so habe ich den Eindruck, wären andere Änderungen leichter theologisch vorstellbar.“

RV: Wie kann man heute die beiden Ansprüche versöhnen: geltendes Recht zum einen und Frauen, die sich zum Predigen berufen fühlen, zum anderen?

„Das hängt wieder davon ab, von welcher Predigt Sie sprechen. Frauen predigen, im weiten Sinn, in der Kirche, und um es deutlich zu sagen: Gottseidank tun sie das, sie tun es seit Jahrhunderten, und ich sehe nicht, wer in der Welt sonst evangelisieren würde. Sie tun es also. Die Frage ist, solange das Paradigma nicht geändert ist, und solange wir denken, dass die Evangelisierung dann bedeutend ist, wenn sie vom Klerus ausgeht, dann wird man immer das Gefühl haben, die Aufgabe der Evangelisierung, die von Frauen seit Jahrhunderten wahrgenommen wird, sei zweitrangig. Was nicht wahr ist. Man hat also zwei Bedürfnisse: ein theologisches Bedürfnis darüber nachzudenken, wie und in welcher Blickrichtung schreibt sich die Homilie in den liturgischen Akt der Messe ein, und zum anderen: die Delegation an Laien, an Ordensleute, die keine Priester sind, an Frauen, warum nicht? Das alles erscheint mir durchaus machbar, vorausgesetzt, wir sind uns alle einig über den theologischen Sinn dessen, was wir tun. Und wenn wir diesen theologischen Sinn verstärken wollen, müssen wir den theologischen Sinn der kirchlichen Gemeinschaft stärken. Und wenn wir das tun, wird die kirchliche Gemeinschaft ihre hauptsächliche Aufgabe offenbart sehen, und das ist: aus der Sakristei und aus der Kirche hinauszugehen und in die Welt zu gehen, um das Königreich Gottes zu verkünden und zu predigen.“

RV: Aber ist das nicht eher evangelisieren als bloß zu predigen?

„Evangelisierung ist das einzige, was wir zu tun haben! Ihre Frage ist interessant, weil sie denken lässt: wenn ich aufrecht stehe, hinter einem Ambo, vor einer Menge die schweigt, dann hat mein Wort mehr Macht. Nun – dieses Paradigma muss man ändern. Was Macht hat, ist: wenn ich mich aufmache, die Menschen zu treffen und mit ihnen weine und mich mit ihnen freue, dann sage ich etwas über die Freundschaft Jesu mit der Welt. Und dann predige ich. Ich bin Predigerbruder. Es kommt vor, dass ich Homilien halte. Ich hoffe, ich hoffe wirklich, dass ich nicht nur predige, wenn ich Homilien mache. Ich bin Predigerbruder, weil das gläubige Leben predigen muss. Und dieses Paradigma ist, sehen Sie, eine Frage der Darstellung der Macht des Wortes.“

RV: Gibt es aus Ihrer Sicht Unterschiede zwischen dem Predigen von Männern und dem Predigen von Frauen?

„Man muss ja vorsichtig sein, nein, nicht vorsichtig: präzise. Für mich ist es offensichtlich, dass ein homiletisches Wort etwa von einer Frau im Lauf der Versammlung, die die Eucharistie feiert, ein Gewicht hätte, das es nicht hätte, das nicht dasselbe wäre wie ein homiletisches Wort zum selben Text, das von einem Mann gesprochen wird. Warum? Weil die Erfahrung des Glaubens nicht dieselbe ist. Weil die Erfahrung des Lebens nicht dieselbe ist. Weil ihre Stellung in der Kirche nicht dieselbe ist. Und weil das alles nicht geklärt wäre. Das alles verdient es, bedacht zu werden, aber auf einmal, wenn man das wirklich bedenken will, dann muss man das theologisch tief durchdenken. Man muss theologisch durchdenken die evangelisierende Funktion der kirchlichen Gemeinschaft, die konstitutiv ist für die kirchliche Gemeinschaft. Für mich ist predigen evangelisieren. Als der Papst vor 800 Jahren unseren Orden bestätigt hat, hat er gesagt: Ihr seid der Orden, der die Welt mit Jesus Christus evangelisieren muss, überall. Macht, dass das Wort von Jesus Christus eine gute Nachricht ist. Predigen ist evangelisieren. Homilien sagen, ist Homilien sagen.“

(rv 08.06.2016 gs) 








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