2016-06-09 10:59:00

Papstmesse: Die Mini-Heiligkeit des Verhandelns


„Gesunder Realismus“: Das ist es, was Jesus seine Jünger gelehrt hat. Eine Haltung des „Alles oder nichts“ hingegen ist nicht katholisch, sondern „häretisch“. Das sagte der Papst an diesem Donnerstag bei seiner Frühmesse.

Er bezog sich auf das Jesuswort: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20). Das Volk Gottes sei damals „etwas verwirrt“ gewesen, weil es festgestellt habe, „dass die, die das Gesetz lehrten, selbst nicht kohärent waren“. Darauf beziehe sich der Herr, wenn er dazu einlade, „höher zu zielen“. Beispiel: das christliche Hauptgebot der Gottes- und der Nächstenliebe, beides zusammen, ineinander verschränkt. „Es tut gut, das zu hören in einer Zeit, in der wir ein so kreatives Vokabular entwickelt haben, um andere zu beleidigen“, kommentierte Franziskus. Beleidigung bedeute allerdings nichts anderes, als zu „töten“, „denn es bedeutet, der Seele des anderen eine Ohrfeige zu versetzen“.

Leider fehle es auch heute nicht an inkohärenten Christen, die ein „Gegenzeugnis“ ablegten. „Wie oft hören wir diese Dinge in der Kirche, wie oft! ‚Aber dieser Priester, dieser Mann, diese Frau von der Katholischen Aktion, dieser Bischof, dieser Papst sagt, ihr müsst das so und so machen, und dann macht er das Gegenteil!’ Das ist der Skandal, der das Volk verletzt und ihm nicht erlaubt, zu wachsen und voranzugehen. Dieses Volk hat (damals) auch gesehen, wie streng diese Schriftgelehrten und Pharisäer waren, und wenn ein Prophet auftrat, um etwas Freude zu bringen, verfolgten, ja töteten sie ihn: Es gab dort keinen Platz für die Propheten! Und Jesus sagt zu ihnen: Ihr habt die Propheten getötet, ihr habt sie verfolgt – die, die frischen Wind gebracht haben.“

„Höher zielen“: Das sei die „Befreiung von der Strenge des Gesetzes und auch von einem Idealismus, der nicht gut tut“. Jesus „kennt uns gut“, so der Papst, „er kennt unsere Natur... Er lehrt uns auch einen gesunden Realismus.“ Oft sei es nicht möglich, „zur Perfektion zu gelangen“, aber „dann tut doch wenigstens, was ihr könnt“, sagte Franziskus.

„Dieser gesunde Realismus der katholischen Kirche – sie sagt niemals ‚entweder – oder’. Das ist nicht katholisch. Die Kirche sagt: ‚sowohl als auch’. Versöhne dich mit deinem Bruder. Beleidige ihn nicht. Liebe ihn. Aber wenn es doch ein Problem gibt, dann bemüh dich wenigstens um eine Einigung mit ihm, damit nicht Krieg ausbricht. Dieser gesunde Realismus des Katholizismus. Es ist nicht katholisch, zu sagen: ‚Alles oder nichts’ – das ist nicht katholisch, das ist häretisch. Jesus geht immer mit uns, er stellt uns ein Ideal vor Augen, begleitet uns hin zu diesem Ideal, befreit uns aus dieser Haft der Gesetzesstrenge und sagt uns: Aber macht es doch wenigstens, so gut ihr könnt. Das ist unser Herr, das ist es, was er uns lehrt.“

Jesus bitte uns, keine Heuchler zu sein: Wir sollten nicht Gott mit derselben Zunge loben, mit der wir den Bruder oder die Schwester beleidigen. „Tut, was ihr könnt“, wiederholte der Papst, „das ist die Aufforderung Jesu. Vermeidet wenigstens den Krieg unter euch, indem ihr euch untereinander ins Benehmen setzt.“

„Und ich erlaube mir, euch dieses Wort zu sagen, das ein bisschen seltsam klingt: das ist die Mini-Heiligkeit des Verhandelns. ‚Nein, ich kann nicht ganz so weit gehen, aber ich will doch das Mögliche versuchen, einigen wir uns doch untereinander, so dass wir uns wenigstens nicht gegenseitig beleidigen, dass wir keinen Krieg gegeneinander führen und alle in Frieden leben... Jesus befreit uns aus all unserem Elend. Auch von diesem Idealismus, der nicht katholisch ist. Bitten wir den Herrn, dass er uns erstens lehre, aus jeder Strenge herauszutreten und höher zu zielen, um Gott anbeten und loben zu können; dass er uns lehre, uns untereinander zu versöhnen; und dass er uns auch lehre, uns bis zu dem Punkt zu einigen, bis zu dem wir gehen können.“

(rv 09.06.2016 sk)








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