2016-06-05 08:29:00

Saudi-Arabien vs. Iran: Hintergründe eines Bruderkriegs


In diesem Jahr wird es keine iranischen Pilger bei der „Hadsch“, der islamischen Wallfahrt nach Mekka, geben. Die Regierung in Teheran begründet diese Entscheidung mit „Würde und Sicherheit“, sie verweist auf das furchtbare Unglück bei der Mekka-Wallfahrt vom letzten Jahr. In Mina, nicht weit von Mekka entfernt, waren bei einer Massenpanik über 700 Pilger ums Leben gekommen, davon mehr als 400 Iraner.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Hinter dem iranischen Nein zur „Hadsch“ steckt noch viel mehr, erklärt der ägyptische Islamwissenschaftler und Jesuit Samir Khalil Samir.

„Natürlich gibt es diese Tatsache, dass letztes Jahr 464 Iraner starben. Darum sagt Iran heute: Die Sicherheit ist nicht, wie sie sein sollte. Verhandlungen darüber (mit Saudi-Arabien) haben aber kein Ergebnis erbracht. Man sollte allerdings auch daran denken, dass die Organisation Islamischer Staaten, die sich Mitte April in der Türkei getroffen hat, auch den Iran verurteilt hat. Sie war von stark saudischer Tendenz; sowohl die Hisbollah als auch Syrien hat sie als Terroristen eingestuft, und den Iran gleich mit, weil er sowohl die Hisbollah als auch Syrien unterstützt. Sie haben dem Iran außerdem vorgeworfen, den Jemen unterstützt zu haben.“

Und damit wird der eigentliche Krisenbogen erkennbar: Schiiten gegen Sunniten, ein innerislamischer Bruderkrieg. Auf der einen Seite der schiitisch dominierte Iran, auf der anderen die wahabitisch-sunnitische Dynastie, die in Riad das Sagen hat. Zwei Länder, die erst im Januar ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen haben.

„Es ist ein Angriff von sunnitischer Seite auf die Schiiten im Gang: Sie ertragen die Schiiten nicht mehr. Saudi-Arabien führt dieses Spiel an, es hat den Jemen – genauer: den schiitischen Teil des Jemen! – bombardiert, ähnlich war es auch in Bahrain vorgegangen. Auf der Konferenz der Organisation Islamischer Staaten, bei der fünfzig von 57 Staaten vertreten waren, hat es für eine direkte Verurteilung des Iran wegen Unterstützung des Terrorismus gesorgt. Dabei weiß doch jeder, dass es Saudi-Arabien und Katar sind, die den IS unterstützen, ihn finanzieren! Es gibt eine totale Konfrontation zwischen beiden Seiten, aber die stärkeren Angriffe gehen von Saudi-Arabien aus, das sich als der wahre Islam versteht.“

Dass die beiden Konkurrenten vom Golf sich gegenseitig nicht ausstehen können, lässt sich an sämtlichen regionalen Krisen ablesen: Syrien, Irak, Jemen, Libanon. „Alles geht vom Hass der Sunniten auf die Schiiten aus, welche als Häretiker eingestuft werden. Da wird dann alles zum Vorwand. Natürlich haben auch die Schiiten keine besonderen Sympathien für die Sunniten, aber sie greifen nicht direkt an. Alles, was nicht der saudischen Sicht entspricht (und sie hat mit Katar zusammen die Führungsrolle, weil sie auch die Finanzen hat), wird zu einem Grund, um die Schiiten zu verurteilen. Die sind sich nicht einig geworden über die erlaubte Zahl der Pilger: Früher hatte der Iran das Recht, 100.000 Pilger (nach Mekka) zu schicken, dann wurde diese Zahl auf 70.000 reduziert, jetzt auf 50.000. Das sind alles kleine Dinge, die aber den gegenseitigen Hass verstärken. Das alles spielt im Moment Saudi-Arabien in die Hände, das sind die Stärkeren.“

In der Vergangenheit hat Iran die „Hadsch“ auch schon mal drei Jahre in Folge boykottiert. Aber das lässt Pater Samir nicht als brandbeschleunigende Provokation gelten. „So ein Boykott schafft ja kein Risiko, für niemanden – die sind eben einfach nicht da... Aber dahinter steckt ein grundlegendes Problem: Es gelingt der islamischen Welt nicht, geeint zu sein. Der gegenwärtige Terrorismus in Syrien und im Irak ist zu hundert Prozent sunnitisch, und er wird von diesen sunnitischen Ländern unterstützt, die das Öl haben und die reich sind!“

Natürlich sollte eine Pilgerfahrt nach Mekka eigentlich eine Gelegenheit sein, um zwei verfeindete islamische Länder wie Saudi-Arabien und den Iran einander wieder anzunähern. „Natürlich. Wenn sie versucht hätten, sich einig zu werden – aber das ist nicht der Fall. Stattdessen fachen sie vor allem auf der sunnitischen Seite, die in der Mehrheit ist, die Gegensätze noch weiter an. Ein Beispiel: In Ägypten und überhaupt in Nordafrika gibt es kleine Gruppen von Schiiten – und schon das wird als inakzeptabel angesehen. Ägypten sieht sich als sunnitisches Land und sagt: Ihr habt noch nicht einmal das Recht, eine schiitische Moschee in unserem Land zu haben! In dieser Verweigerungshaltung haben wir das genaue Gegenteil von allem, was wir „ökumenisch“ nennen. Es wäre an der Zeit, dass die muslimische Welt ihre Einstellung ändert und dass sie sagt: Nun ja, wir sind verschieden, aber wo ist da das Problem?“

(rv 05.06.2016 sk)








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