2016-06-05 08:31:00

Menschen in der Zeit - Kunst und Glaube, ein Widerspruch?


Gustav Schörghofer SJ  - Kunst und Glaube

Kunst und Glaube werden heute oft für unvereinbar gehalten. Pater Gustav Schörghofer SJ spannt  einen Bogen über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart, von glaubensbildender Kunst zu bildhaftem Glauben, und hebt damit den Gegensatz auf. Aus dieser doppelten Perspektive gelingt ein Bild von Kunst und Glaube, wo lange Zeit nur Distanz gesucht wurde.

*Die Kirche braucht die Kunst. Aber: Braucht die Kunst die Kirche? Mit dieser Frage, die sich Papst Johannes Paul II.einmal selbst gestellt hat, beginne ich das heutige Menschen-in-der-Zeit-Gespräch mit dem Jesuitenpater Dr. Gustav Schörghofer, der sich als Seelsorger der Künstler eingehend mit dieser Problematik befasst hat und befasst. Herr Schörghofer: Wer braucht wen?

„Ich glaube wir brauchen uns gegenseitig. Denn zum einen gibt es eine alte Tradition, dass die Kirche oder kirchliche Würdenträger, Klöster auch als Auftraggeber aufgetreten sind. Und zum anderen ist die Kunst auch auf die geistige Tiefe oder Tradition oder Mystik angewiesen, die der Glaube, die Religion, die Kirche bieten kann. Also umgekehrt sind die Künstler auch auf diese geistigen Schätze angewiesen.“

*Ist jede Art von Kunst – Musik, Malerei, Literatur, Theater, Film, darstellende Kunst, Architektur usw. – immer relevant auch für die Theologie?

„Also jede Art auf jeden Fall. Die Frage ist, ob jedes Kunstschaffen relevant ist. Denn es gibt natürlich auch Kunst die eher nur einen unterhaltenden, schmückenden Charakter hat, aber ich würde sagen, dass jede Art relevant ist, weil es in jeder Kunstgattung Tiefen gibt bzw. auch Tendenzen gibt, die die Theologie sehr sehr bereichern können. Da lässt sich gerade im 20. Jahrhundert viel entdecken und finden. Ich bin ja spezialisiert auf die bildende Kunst und etwas auch auf die Musik, aber vor allem auf die bildende Kunst – das sind ja riesige Gebiete.“

*Dass es auch Künstler gibt, die die Kirche nicht brauchen, ja ihr sogar fern stehen, liegt auf der Hand. Wie steht die Kirche zu diesen Menschen? Wie begegnet sie diesen Kunstschaffenden? Und wie facettenhaft und schwierig kann eine derartige Tuchfühlung sein?

„Es ist ja so, dass sich die Kunst, geschichtlich betrachtet, seit dem 19. Jahrhundert von der Kirche als Institution wegbewegt. Und zwar in dem Sinne, dass es seit Cezanne oder Van Gogh ganz wenig christliche Inhalte im direkten Sinn – also Darstellungen aus der Bibel oder Heiligenlegenden – in den großen Kunstwerken gibt. Das sind wirklich verhältnismäßig wenig – auffallend im Vergleich zu früher. Die Künstler selber sind nicht unbedingt unreligiös. Cezanne war ja zum Beispiel tief gläubig, Van Gogh war tief gläubig. In der neueren Zeit, also die Künstler, mit denen ich zu tun habe, sind verhältnismäßig viele am Rand der Institution Kirche oder jenseits dieses Randes – der Institution muss man sagen. Und einige wenige nur haben jetzt einen lebendigen Bezug zur Kirche, aber einen Bezug zum Glauben haben sie in der Regel alle. Mir ist nie ein Künstler begegnet, der Glauben oder sagen wir die christliche Überlieferung einfach abgelehnt hätte. Insofern ist es hochinteressant und man kann da sehr viel lernen. Viele Künstler sind halt auf Distanz zur Institution. Das muss man wissen und annehmen.“

*Lässt sich in der Betrachtung eines Kunstwerkes erschließen, Dr. Schörghofer, wie und ob ein Künstler zur Religion, zur Kirche steht – ganz gleich, welcher Religion er angehört. Ist das möglich?

„Ja, ich glaube es lässt sich schon erschließen. Also ich bin darauf bekommen … Es gibt ja verschiedene Ansätze: Man kann zum Beispiel auf christliche Motive achten in der Kunst. Also zum Beispiel ob Kreuzesdarstellungen vorkommen oder Ähnliches, biblische Darstellungen. Ich habe mich auf etwas anderes spezialisiert, nämlich die Dinge parallel zu betrachten. Es gibt zum Beispiel im Evangelium eine Option Jesu Christi für das Kleine, Unscheinbare, nicht Beachtete, Verworfene, was man die Option für die Armen nennen könnte zum Beispiel oder für die Sünder oder bei den Himmelreichgleichnissen: für die kleinen Dinge, Samenkorn, Senfkorn usw. Und es lässt sich auffallender Weise in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine wirkliche Option für den Müll feststellen, im wörtlichen Sinn. Dafür ist in Italien Burri zum Beispiel sehr bekannt. In Deutschland hat um 1920 Kurt Schwitters damit begonnen, Müll einzubauen oder aus verworfenen Dingen Kunstwerke zu machen. Und da lassen sich wirklich religiöse Ansätze entdecken, also Sichtweisen auf die Welt, die der Sichtweise des Evangeliums oder Jesu Christi entsprechen.“

*P. Schörghofer, Sie befassen sich sehr eingehend mit der Künstlerseelsorge. Nun gelten Künstler ja im Allgemeinen als eher schwierige Menschen. Ist eine Begegnung mit Künstlern, sofern diese nicht religiös sind, besonders problematisch? Bedarf es zur Annäherung mit solchen Menschen einer besonderen Begabung?

„Wahrscheinlich doch, ja. Man muss einen Sinn für die Kunst haben. Wenn man sich für das interessiert, was die Menschen machen, dann findet man auch hin zu den Menschen. Und ich glaube man muss selber sehr gut verwurzelt sein in einer Tradition des Glaubens, weil man dann ja auch hineingehen kann in völlig fremde Bereiche. Ich denke immer, es ist möglicherweise verwandt mit der Situation der Mitbrüder, die früher in die Mission gegangen sind, nach China oder nach Japan. Damit ist heute unsere Situation in einem Europa vergleichbar, das säkularisiert ist oder wo die Kultur ihre Eigengesetzlichkeit entwickeln kann. Man geht hinein in einen fremden Bereich und muss diese Sprache lernen. Das braucht eine gewisse Begabung natürlich.“

*Künstler und Intellektuelle zeichnen sich ja in der Regel durch ihr Streben nach Unabhängigkeit, nach Freiheit, nach Kritikfähigkeit und auch Geistesbegabung aus. Kann man sagen, dass bei diesen Menschen im Allgemeinen eher eine gewisse Distanz, vielleicht sogar Ablehnung zur Kirche festzustellen ist?

„Zur Kirche als Institution glaube ich schon. Sie müssen bedenken, diese Leute haben vielfach auch eine gewisse Geschichte mit der Kirche, denn es gibt ja in Europa gewissermaßen kein Entkommen, kann man sagen. Die Kirche ist ja doch eine prägende gesellschaftliche Kraft nach wie vor, auch wenn es jetzt nicht mehr solchen Einfluss hat. Jetzt gibt es da oft eine Distanz zur Kirche und eine kritische Haltung der Kirche als Institution gegenüber. Davon kann die Kirche viel lernen. Grundsätzlich muss ich sagen: Nur ein einziges Mal hat eine Künstlerin abgelehnt, in der Kirche etwas zu machen. Mit der bin ich aber jetzt befreundet. Die wollte damals nur nicht zu nah an das Sakrale herankommen. Ich bin sonst nie auf Ablehnung gestoßen. Die sind zwar am Rand der Kirche, haben aber vielfach ein Verlangen danach, unter Zug zu kommen zu den Tiefen einer geistigen Überlieferung. So muss man es wohl sagen. Wir leben in einer lebendigen Tradition, die 500 Jahre Ordensgeschichte umfasst und noch weiter zurückgeht. Und das ist ja großartig für Leute, die geistig aktiv sind.“

*Das Christentum hat sich in der Renaissance – besonders, was die Kunst betrifft – immer wieder erneuert und wohl auch bewährt und zwar mit einer Prägekraft, wie sie keine zweite Institution entwickelt hat. Hat eine Kunstperiode in der heutigen Zeit Ähnliches vorzuweisen?

„Es ist differenziert, aber wenn man Filme schaut zum Beispiel … der Film ist ja das, was in der Kunst des 20. Jahrhunderts tatsächlich neu ist. Malerei, Bildhauerei, Grafik, Architektur hat es früher gegeben, aber der Film war neu. Und der Film hat tatsächlich eine große prägende Kraft. Sonst – die Malerei eigentlich auch, aber dadurch, dass sie dann publiziert wird und in Massenpublikationen auftaucht und so unter die Leute kommt. Man muss nur an Van Gogh denken. Van Gogh hat sicher den Blick von vielen Menschen sehr geprägt – für das Einfache zum Beispiel oder für die Schönheit, den Zauber darin. Johannes Paul II. war bedacht, von der Schönheit her zu denken. Man muss das differenzieren, weil die Schönheit, die die Kunst des 20. Jahrhunderts wahrnehmen lässt, ist oft nicht das, was dann die Kirche unter Schönheit, unter der strahlenden Schönheit versteht, denn es gibt eine Schönheit der unbeachteten Dinge, könnte man sagen. Das ist ein besonderer Blick, den die Kunst beisteuern kann. Die Schönheit derer, die übersehen werden.“

*Künstler und Kultur brauchen einen Freiraum, um sich entfalten zu können, und die katholische Kirche steht nicht selten unter dem Verdacht, der modernen Kunst kritisch gegenüber zu stehen. Intellektuelle sind in der in der Regel avantgardistisch eingestellt. Wie begegnet nun ein Seelsorger wie Sie diesen Widersprüchen?

„Wissen Sie, es ist so: Wenn man sich persönlich interessiert für die Menschen, dann kommen einem die Menschen auch entgegen. Das ist meine ganz simple Erfahrung. Das, wofür man sich interessiert und wofür man ein Herz hat, das kommt einem entgegen. Und es gibt halt immer wieder Vertreter der Kirche, weil die Kirche im Ganzen irgendwie unfassbare Größe ist, es gibt Vertreter der Kirche, die wirklich dieses Herz haben für die Künstlerinnen und Künstler. Paul VI. war so jemand. Unter den Päpsten des 20. Jahrhunderts ist Paul VI., was den Dialog zwischen Kirche und Künstlerinnen und Künstlern angeht, der wichtigste Mann. Der hatte wirklich ein Herz und einen Sinn.

*Wenn ich jetzt, Herr Dr. Schörghofer, ein Fazit aus unserem Gespräch ziehen darf, ist es so, dass die Kirche und Kultur manchmal ein spannungsvolles Verhältnis zueinander haben, aber auch Gemeinsamkeiten aufweisen. Gemeinsam ist beiden, dass sie beide versuchen neue Perspektiven zu eröffnen, dass sie beide das Leben deuten wollen. Künstler und Intellektuelle wollen, wie die Kirche ja auch, mit dem selben Anspruch vielleicht, das gesellschaftliche Miteinander gestalten. Sie weisen beide auf Missstände hin, sie geben beide Anregungen und suchen beide Antworten auf die letzten Fragen der Menschheit. Während die Kunst in der Regel diesseitig gerichtet ist, weist die Kirche auf das nicht Sichtbare, auf das Unendliche hin, auf das, was über den Horizont dieser Welt hinausgeht. Gibt es einen Punkt – ganz kurz gefasst bitte – wo sich diese beiden Paradigmen treffen?

„Ich würde sagen, dass sowohl die Kirche, die ja den Blick Gottes auf die Welt einnehmen soll, eine Schönheit der Welt wahrnimmt, und dass die Kunst auch eine Schönheit der Welt wahrnimmt. Nur ist das anders, als jene Schönheit, die man normalerweise mit diesem Wort bezeichnet. Nämlich die Schönheit der kleinen Dinge, die Schönheit am Rand, die Schönheit des Mülls, würde ich sagen, des Verworfenen. Es gibt auch unter den Sündern Schönheit zu entdecken.“

Ja, ich finde das einen schönen Schluss. Und ich darf Ihnen für dieses Gespräch sehr herzlich danken.

 

Aldo Parmeggiani

 








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