2016-06-03 10:50:00

Gefängnisseelsorger: „Auch Muslime brauchen Begleitung in der Haft”


Am 6. November feiert Papst Franziskus das Heilige Jahr mit Gefangenen: Auch sie sollen die befreiende Kraft der Barmherzigkeit spüren. Über diese Geste freut sich Günter Berkenbrink, Diözesanbeauftragter für die Gefängnisseelsorge im Erzbistum Köln. Mit Radio Vatikan sprach er über den Gefängnisalltag in diesem außerordentlichen Heiligen Jahr und über aktuelle Probleme wie religiöse Radikalisierung. Ein Thema, dem sich auch ein europäisches Treffen von Gefängnisseelsorgern am Sitz des Europarates in Straßburg Anfang der Woche widmete, organisiert vom Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und der Ständigen Vertretung des Heiligen Stuhls beim Europarat. Und am Freitag erst warnte ein Imam vor einem in England und Wales in Gefängnissen verwendetes Lehrbuch über den Islam, das radikale Ansichten verbreite. 

Günter Berkenbrink arbeitet seit 18 Jahren in der katholischen Gefängnisseelsorge. Seit fünf Jahren ist er in der JVA Wuppertal-Ronsdorf, einem modernen Jugendgefängnis mit 510 Haftplätzen für 14- bis 24-Jährige. Radikalisierung ist auch hier Thema. Zum Zeitpunkt des Interviews findet in der Anstalt eine Weiterbildung mit Islamwissenschaftlern statt, die das Land Nordrhein-Westfalen vor wenigen Monaten eingestellt hat.

Hinter dem Problem der Radikalisierung von Häftlingen steckt laut Berkenbrink vor allem eine mangelnde religiöse Begleitung für muslimische Insassen. „Die Politik reagiert natürlich, weil sie feststellt, dass es das Phänomen der Radikalisierung punktuell geben könnte. Das liegt aus unserer Sicht aber daran, dass es keine ausreichende, qualifizierte und institutionell gut verankerte religiöse Betreuung für muslimische Gefangene gibt. Mein Blick würde erst einmal nicht auf das Thema Radikalisierung gehen, sondern man muss das ausweiten auf die Frage, wie die Betreuung der muslimischen Inhaftierten aussieht. Da geschieht in Deutschland viel zu wenig bis nichts.“

In den meisten Anstalten kommt zwar einmal die Woche ein Imam aus einer Moschee vorbei, um das Gebet zu verrichten.

Aber eine religiöse Betreuung mit einer Präsenz vor Ort, wo jemand als Ansprechpartner zur Verfügung steht und Einzelgespräche führt, gibt es bisher noch nicht. Das eröffnet Inhaftierten, die radikalere Ansichten haben, Tür und Tor, weiß Berkenbrink. „Ich habe da konkrete Beispiele vor Augen: Da haben Jugendliche irgendwelche Fragen und es gibt hier keinen Imam, also fragen sie einen jungen Mann, der wegen unschöner Dinge hier einsitzt. Das Thema ist aus meiner Sicht, dass die Politik schauen muss, dass sie eine religiöse Betreuung der muslimischen Inhaftierten auf die Beine stellt.“

Dann fragt man halt den Radikalen

Christliche Seelsorge allein reiche da nicht aus: „Ich kann mich natürlich um die Alltagsfragen oder Haftthemen der Jugendlichen unabhängig von ihrer Konfession kümmern. Wenn es aber um die Fragen ihres persönlichen Glaubens geht, können wir als christliche Seelsorger nicht weiterhelfen, sondern da bedarf es kompetenter Menschen, die gefunden werden müssen. Natürlich ist die muslimische Szene in Deutschland unübersichtlich, und die Justiz braucht verlässliche, gute und qualifizierte Menschen, die diesen Dienst tun könnten. Bis dahin ist es ein weiter Weg.“

Anfang der Woche trafen sich in Straßburg Gefangenenseelsorger aus ganz Europa, um über Präventionsmaßnahmen gegen die Radikalisierung zu beraten. Dabei betonten sie die zentrale Bedeutung von pastoralen Begleitern, um für ein Klima des Respekts und des gegenseitigen Vertrauens in den Haftanstalten zu sorgen. Auch die Zusammenarbeit mit Seelsorgern anderer Religionen sei wichtig. Das lobt man im Jugendgefängnis in Wuppertal: „Wir haben hier die ersten Gespräche mit den Islamwissenschaftlern, die das Land Nordrhein-Westfalen eingestellt hat, geführt. Wir sind uns einig, dass diese Dinge in guter Zusammenarbeit geschehen können und müssen. Es gibt natürlich auch schon die Frage, wer die muslimischen Seelsorger ausbilden könnte. Im Bereich der Notfallseelsorge in Köln zum Beispiel werden die muslimischen Ehrenamtlichen von den christlichen Kollegen ausgebildet.“

Erst einmal zuhören

Die Hauptaufgabe des Gefängnisseelsorgers ist oft, erst einmal zuzuhören. In den meisten Anstalten kommen die Jugendlichen mit dem Seelsorger in Kontakt, indem sie einen Antrag schreiben, in dem ihr Name, ihre Nummer und ihr Haftraum vorkommt. Darauf schreiben sie: ‚Ich bitte um ein Gespräch’. Sie müssen keinen Grund angeben, weil die Seelsorge in Deutschland Schweigepflicht hat. Nichts von dem, was der Inhaftierte erzählt, darf der Seelsorger weitererzählen: Weder dem Richter, noch der Anstaltsleiterin oder dem Vollzugsbeamten. Der Häftling kann dann über all das sprechen, was ihm auf der Seele liegt. Ob das Beziehungsprobleme sind, Suizidgedanken, ob er mit der Inhaftierung nicht zurechtkommt, bedroht oder misshandelt wird von anderen Gefangenen, er spricht über seine eine Ängste und Albträume.

Junge Häftlinge haben es da im Vergleich zu erwachsenen besonders schwer, weiß der erfahrene Gefängnisseelsorger: „Jugendliche leiden mehr unter den Haftbedingungen, Entzug von Freiheit, von Menschen, die einem was bedeuten in einem Alter, wo man normalerweise viel unternimmt und sehr aktiv ist und sich orientiert im Leben. Das ist für junge Menschen, junge Männer noch einmal schmerzhafter als für ältere Menschen, die das vielleicht besser kompensieren können. Das heißt, im Jugendvollzug geht es temperamentvoller zu. Es ist lauter, bisweilen aggressiver und gewalttätiger, weil die jungen Männer impulsiv sind – je nachdem in welche Situation sie kommen. Und sie tun sich einfach schwerer mit der Inhaftierung.“

Jugendvollzug ist aggressiver

Neben den Einzelgesprächen ist eine zweite Aufgabe der Seelsorge, Gottesdienste für die Häftlinge zu feiern. Es liegt in der Entscheidung des Seelsorgers, Muslime zum Gottesdienst einzuladen. Bei den Einzelgesprächen hingegen ist es vollkommen gleich, ob ein Häftling Christ, Muslim oder ohne Bekenntnis ist. „Im Bereich der Seelsorge kümmern wir uns um die Nöte von allen Menschen. Ich nehme da gerne das Beispiel vom barmherzigen Samariter: ‚Da ist ein Mensch in Not und dem wird geholfen. Da wird nicht gefragt: ‚Gehörst du auch zu meiner Glaubensgemeinschaft´, sondern da ist Hilfe erforderlich und die ist unabhängig vom Bekenntnis.“

Papst Franziskus hat zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit seine besondere Aufmerksamkeit auf Gefangene gelenkt und betont, dass auch Gefängniszellen zu Heiligen Pforten werden könnten. Am kommenden 6. November begeht Franziskus dann auch das Jubiläum der Gefangenen. Barmherzigkeit, das ist für Berkenbrink und seine Kollegen von der Seelsorge Alltag. Ein Seelsorger sollte immer barmherzig sein, findet er. Die Barmherzigkeitsgesten des Papstes berührten und bestärkten ihn in dieser Haltung: „Uns Gefängnisseelsorger hat natürlich sehr berührt, als Papst Franziskus am ersten Gründonnerstag, nachdem er sein neues Amt übernommen hatte, einen Gottesdienst im Jugendgefängnis gefeiert hat. Das Bild der Fußwaschung hängt in vielen Kirchen, Sakristeien und Büros von Gefängnisseelsorgern. Das drückt ja eine Haltung aus: ‚Unabhängig von dem, was du getan hast, hast du eine Würde und ich tue einen Dienst für dich und an dir‘. Das Leben geht ja weiter, die allermeisten werden entlassen und es ist nicht meine Aufgabe, Menschen zu be- oder verurteilen, sondern mit ihnen nach neuen Perspektiven zu suchen und auch darauf hinzuarbeiten, zu sagen: ‚Das, was an Schuld und an Versagen in meinem Leben geschehen ist, ist Bestandteil meines Lebens, das kann man nicht mehr gut machen. Aber es gilt auch, den Blick nach vorne zu richten und zu schauen, dass ein neuer Anfang möglich ist. Dass Gott einen neuen Anfang schenkt. Das zu verkünden und dafür einzustehen, ist unsere Aufgabe. Nicht das Be- und Verurteilen. Das machen in diesem System andere.”

(rv 02.06.2016 cz)

 








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