2016-05-30 13:17:00

„Franziskus umsegelt Europa, um sein Inneres zu erfassen“


Der frische Blick des argentinischen Papstes auf Europa befähigt ihn dazu, eine Erneuerung der europäischen Idee anzuregen. Dies schreibt Pater Antonio Spadaro, selbst Jesuit und Herausgeber der Zeitschrift Civiltà Cattolica, in seinem jüngsten Artikel mit dem Titel „Der Magellan-Blick“, über den europäischen Traum des Papstes, wie er ihn in seiner viel beachteten Rede zur Karlspreisverleihung vor einem knappen Monat formuliert hatte. Gerade die Verschiebung des Blickwinkels sei es, die die Sicht des Papstes lehrreich für alle in Europa mache, sagte Spadaro gegenüber Radio Vatikan:

„Papst Franziskus hat uns daran gewöhnt, das Zentrum von der Peripherie aus zu betrachten. Das heißt, dass man die Realität, also das Herz der Dinge, wirklich dort fühlt, wo man den Blutdruck in der peripheren Zirkulation wahrnimmt.“ Besonders bedeutsam sei in diesem Zusammenhang, wie Franziskus von Anfang an seine europäischen Reisen organisiert habe: „Wir haben gesehen, wie Papst Franziskus seine europäischen Reisen von Lampedusa aus begonnen hat. Das war eher eine europäische als eine italienische Reise. Und dann hat er weiter gemacht, indem er die Grenzen Europas abgereist ist, dann Lesbos, Istanbul, Sarajevo, nach Lund wird er gehen… Es ist irgendwie so, als ob Franziskus Europa umsegeln würde, um sein Innerstes zu erfassen. Papst Franziskus ist unter anderem auch in Tirana gewesen und von dort aus dann in Straßburg: Das ist sehr interessant. Der Papst hat also das Herz der Europäischen Institutionen erreicht, nachdem er vorher in einem Land war, das erst noch in die Union eintreten muss und vorwiegend muslimischen Charakter hat.“ Dies sei die tiefere Bedeutung des Ausdrucks Magellan-Blick, der ja von Franziskus selbst stamme, so Spadaro: Der Blick eines Entdeckers auf Europa.

Die Idee Europas sei für Papst Franziskus keine endgültige; vielmehr habe er die Vision, dass mit der Zeit Mauern und Hindernisse auf dem Weg des gegenseitigen Verständnisses niedergerissen werden können. Spadaro: „Für Franziskus ist Europa keine Sache, sondern ein Prozess, der immer noch anhält in einer sehr komplexen Welt im Wandel. Papst Franziskus hat bemerkt, wie die Gründungsväter Europas ein erleuchtetes Projekt ausformuliert haben, das ,work in progress´ ist und das immer noch weiter geht. Europa ist versucht, Territorium abzusichern und zu dominieren, mehr noch als Prozesse der Inklusion und Transformation zuzulassen. Doch auf diese Weise, wenn es sich selbst als Raum sieht, der geschützt werden muss, wird es sich immer mehr im Schützengraben verschanzen!“ Vielmehr müsse Europa diese Beweglichkeit akzeptieren, die es dazu mache, was es immer gewesen sei, ist sich Pater Spadaro sicher in der Interpretation der Papstworte: Die Seele Europas sei nämlich ein „Prozess der Integration verschiedener Kulturen, Blickwinkel und Lebensstile“.

Es sei nicht zielführend, sich auf die christlichen Wurzeln Europas zu berufen, ohne den tieferen Sinn des Christentums selbst im Blick zu haben, mahnt Pater Spadaro mit Blick auf das Interview, das der Papst erst kürzlich dem französischen katholischen Presseorgan La Croix gegeben hatte. Der Papst selbst führe die Wurzeln, auf die er sich in dem Gespräch berufen hatte, in einer einzigen Geste zusammen: Der Fußwaschung. „Hier haben wir den tiefen Sinn des Christentums, der nicht darin liegt, Macht zu erobern oder eine Partei zu gründen. Denn in dem Moment, in dem das Christentum sich als ein Teil innerhalb des Ganzen positioniert, gerät es in Kontrast zu anderen, macht also Gegner aus. Doch die Aufgabe des Christentums heute besteht nicht darin, die eigenen Feinde zu definieren, sondern der Menschheit zu dienen.“

(rv 30.05.2016 cs)








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