2016-05-27 00:00:00

Horst Langes: „Polen kann es wieder schaffen“


Im September findet in Krakau die bereits 16. Internationale Konferenz über die Rolle der katholischen Kirche im Prozess der europäischen Integration statt. Veranstaltet wird die Konferenz von der polnischen Kirche in Krakau, der Adenauer-Stiftung mit Niederlassung in Warschau und der Robert-Schuman-Stifung aus Luxemburg. Martha Klawitter hat mit dem Ehrenpräsidenten der Schuman-Stiftung, Horst Langes, gesprochen.

RV: Herr Langes, erste Vorgespräche zu der Konferenz haben bereits stattgefunden, auch Gespräche mit polnischen Politikern. Schwerpunkt war natürlich die Flüchtlingskrise, wie auch schon bei früheren Konferenzen…

„Das war dann auch ein sehr strittiges Thema, weil wir natürlich erlebten, wie die in der EU vereinigten Staaten sich sehr unterschiedlich verhalten haben in der Frage der Solidarität den Flüchtlingen gegenüber; etwa mit der Frage: „Wie viele nehme ich auf?“, oder „Was mache ich?“ Und da war ja Polen auch nicht gerade ein Land, welches sich besonders auszeichnete durch großes Entgegenkommen für die Flüchtlinge, die da aus Syrien und dem Libanon, besonders aber aus Afghanistan kamen.“

RV: Unter der neuen PiS-Regierung kam es in Polen zu Entwicklungen, die in der EU auch Kritik stießen. Man könnte sagen, die heutige Regierung Polens will kein Europa. Wie steht denn die katholische Kirche in Polen zur europäischen Frage?

„Die katholischen Bischöfe in Polen sind ein bisschen geteilt. So etwa wie schon zu Zeiten Papst Johannes Pauls II. Auch damals sagten sehr viele polnische Bischöfe: „Ja, dieses Europa … viele böse, sexuelle Fragen kommen dann auf uns zu, die Homosexualität, die Frage der Abtreibung…“ Das heißt also: Damals, als wir begonnen haben – mit der ersten, zweiten Sitzung –, haben wir schon gemerkt, dass der Episkopat in Polen sich nicht etwa geschlossen für Europa eingesetzt hat. Das heißt, wir haben also den Episkopat – besonders, je näher er an der Grenze zur Ukraine lag – eigentlich immer ein bisschen zögerlich, wenn nicht sogar ablehnend Europa gegenüber gehabt. Und das ist bis heute geblieben. Zum Beispiel in Warschau: Da gibt es einen Kardinal, einen Bischof, aber im östlichen Teil Warschaus gibt es interessanterweise nochmal ein eigenes Bistum. Und dieser Bischof dort ist eher konservativ. Er beginnt jetzt damit, noch einmal darüber nachzudenken, ob es überhaupt richtig war, dass die polnische Kirche 1993 mit dem Staat eine gewisse Abmachung getroffen hat, die beinhaltete, dass die Abtreibung in bestimmten Fällen erlaubt sein muss und nicht staatlich durch Strafe behindert werden soll. Und dieses 1993, damals von der katholischen Kirche und vom Staat getroffene Abkommen will dieser Bischof von Warschau-Ost wieder aufheben und will alle Abtreibungen unter Strafe stellen. Sehen Sie, das sind also noch Nachdenklichkeiten, die eigentlich nicht mehr in unser Jahrhundert hineingehören. Das muss man einfach sehen. Es gibt also noch immer viele Bischöfe in Polen, die meinen, es gäbe so etwas wie einen Einfluss des Staates, der so weit zurückgesetzt werden sollte, dass wir die Kirchengesetze praktisch übernehmen. Dass der Bischof von Warschau-Ost sagt, Abtreibung ist Sünde, dagegen habe ich keine Einwände. Das ist seine Position, die vieler Gläubiger und die der katholischen Kirche. Aber dass dem Staat vorgeschrieben wird, eine solche Formulierung jetzt in einer Verfassungsänderung unterzubringen – das ist nicht mehr hinnehmbar im Europa des 21. Jahrhunderts.“

RV: Wie steht es denn um das Nationaldenken vieler Polen, ja auch der Kirche? Was müsste die polnische Kirche Ihrer Meinung nach dazulernen?

„Auch die Kirche, auch diese Bischöfe, die da Schwierigkeiten haben, müssen verstehen, dass sie jetzt in einer pluralen Welt leben - in einer Welt, die nicht wie in Deutschland aus vielen Protestanten und Katholiken und Muslimen und Orthodoxen besteht, die ein relativ gutes Verhältnis haben, sondern dass wir das natürlich auch in Polen anerkennen und sagen, wenn also jetzt die Flüchtlinge kommen: „Wen nehmen wir auf, und wie machen wir das?“

RV: In Deutschland haben viele das Gefühl, Flüchtlinge aufzunehmen sei etwas wie eine „Wiedergutmachung“ alter Fehler. Nehmen denn auch die Polen in der Flüchtlingsfrage Ihrer Meinung nach eine besondere Rolle ein?

„Die katholischen Polen haben ja bewiesen, was es bedeutet, wenn man für eine Sache einsteht und das durchhält. Punkt. Daraus folgert natürlich die deutsche Öffentlichkeit: Ja, dann müssten die Polen auch jetzt bei der Frage der Betreuung der Flüchtlinge den Finger heben und sagen: „Ja, wir geben uns Mühe.“ Da werden jetzt auch in Polen viele Entschuldigungen geprägt. Einerseits heißt es: „Wir übernehmen ja die ukrainischen Flüchtlinge.“ Das stimmt, sicher, und das sind auch viele. Aber das sind meistens auch Polen, die vorher in Ostpolen waren und durch die sowjetische Armee geblieben sind. Noch einmal: Von den Polen erwartet man mehr in Europa, weil man einfach sagt: Die haben doch durch die Kirche die Kraft gehabt. Und warum klappt das jetzt gar nicht? Warum kann eine Regierung in Polen darüber philosophieren, ob sie jetzt 2.000 oder 3.000 Flüchtlinge aufnimmt? 

Ich habe mit katholischen Slowaken gesprochen. Da haben die gesagt: „Ja, wir nehmen hier Flüchtlinge, aber das müssen christliche Flüchtlinge sein, möglichst katholische.“ Suchen Sie die katholischen Christen …! Ich habe etwas boshaft gesagt: „Wie machen Sie das dann? Rufen Sie, wenn Sie die Leute in der Adria schwimmen sehen: „Bitte die Arme hoch, wer Christ ist“? Und: „Zweimal hoch, wenn er katholisch ist – die retten wir. Und die anderen haben Pech, die können wir nicht retten.“ Papst Franziskus war in einem Flüchtlingslager und hat drei muslimische Familien in seinem Flugzeug mitgenommen. Er hat nicht danach gefragt, ob das Christen sind oder katholische Christen, nein, er hat bewusst gesagt: „Ich nehme die mit, die das am nötigsten jetzt brauchen.“ In Polen muss in der Kirche noch eine ganz andere Diskussion gefordert werden. Wir können nicht einfach hinnehmen, dass die da endlos lang diskutieren und ausschließlich die Ukrainer nehmen und vielleicht um die Kultur fürchten, die da angeblich vernichtet wird, wenn wir zu viele nehmen …

Natürlich, jede Emigration bringt Schwierigkeiten. Natürlich bringen in Deutschland vier Millionen Muslime Schwierigkeiten. Die Frage, wie wir jetzt unsere Kirchen gegenüber der Moschee platzieren – das muss auch diskutiert werden. Wir haben also eine große Aufgabe, die Krise zu überwinden, die darin liegt, dass wir keine Erklärungsformen gefunden haben. Wir müssen das einfach erwarten, dass die politischen Kräfte nicht einfach sagen „Wir machen das“, sondern das auch erklären. Frau Merkel macht ungeheuer viel, aber es gibt so viele auch in der CDU, die dann auch sehr nachdenklich sind und sagen: „In Bayern haben wir die ja nun besonders ausgeprägt.“ Das ist das, was mich ärgert in meinem Land, und darum erlaube ich mir auch die Kritik an Polen. Wir werden also bei der 16. Konferenz dies noch einmal mit Nachdruck bringen. Und das wird nicht nur angenehm werden.“

(rv 26.05.2016 mk)








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