2016-05-26 13:55:00

Schavan: „Franziskus gibt klarere Europa-Analysen als viele Europäer"


Papst Franziskus als Lateinamerikaner gibt Europa klarere Analysen, als viele Europäer sie zu geben imstande sind. Das sagt die deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan, drei Wochen nach der Verleihung des Internationalen Karlspreises an Papst Franziskus. Zur der Zeremonie im Vatikan waren die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Spitzen der Europäischen Union und früheren Karlspreisträger Martin Schulz, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker angereist. Vor ihnen sprach Franziskus weniger über die Werte als über die Identität des Alten Kontinents: „Die europäische Identität ist und war immer eine dynamische und multikulturelle Identität“, so der Papst  ein klarer Verweis auf die Flüchtlingsfrage, die die Staatengemeinschaft EU an den Rand der Spaltung bringt.

Gudrun Sailer sprach mit Annette Schavan und wollte zunächst von ihr wissen, was drei Wochen später von der Papstrede zu Europa bleibt und weiterwirkt.

„Zunächst: Die Gefahr eines solchen Ereignisses ist ja, dass nach drei Tagen über anderes gesprochen wird. Zugleich ist spürbar – übrigens international –, dass diese Rede von Papst Franziskus ungewöhnlich ermutigend war und Zukunftsperspektiven gezeigt hat, die vor allem für die politische Kultur bedeutsam sind. Der Papst hat sich nicht mit dem Ist-Zustand aufgehalten. Er hat deutlich gemacht: Jetzt ist der Kairos für die Ideen, die Europa in sich trägt. Kairos – also günstiger Moment, um sich zu besinnen auf Dialog, auf Integration und vor allem darauf, etwas Neues hervorzubringen. Und ich glaube, in all den europapolitischen Debatten, die wir führen, auch in den Debatten darüber, welche Rolle Europa in der Welt spielt, ist das fast so etwas wie ein politisch-kulturelles Fundament.“

Sie haben ja selbst alle Papstreden vor Parlamenten als Buch herausgebracht – sei es vor nationalen Parlamenten, sei es vor übernationalen Parlamenten – angefangen mit Papst Paul VI. Die Karlspreisrede von Franziskus ist streng genommen eine solche politische Rede. Aber werden ihre Inhalte wirklich verhandelt? Gibt es Ihrer Meinung nach einen bleibenden Impuls?

„Es ist zu früh, um das zu bewerten. Ich hoffe es sehr. Als ich hörte, dass Papst Franziskus den Karlspreis bekommt, habe ich spontan gedacht: Es ist genau der richtige Moment. Es gibt ja Zeiten, da sind alle, die in der Politik wirken, beschäftigt mit den Problemen des Tages, weil diese Probleme wirklich groß sind, und das spüren wir ja auch. Aber gerade in einem solchen Moment ist wichtig, dass da noch eine andere Ebene ist, an der man sich orientieren kann. Was wollen wir der jungen Generation übergeben? Welches Europa? Wie soll dieses Europa in 20 Jahren sein? Neben allen möglichen anderen Argumenten finde ich, eines der wichtigsten Argumente ist die junge Generation. Wir, meine Generation, hat von der Generation unserer Väter und Großväter ein großes Friedenswerk übernehmen dürfen – so lange Frieden wie nie zuvor in Europa. Nun ist doch die Frage: Wollen wir der jungen Generation ein zerbröselndes Europa übergeben? Und da glaube ich schon, dass die Worte des Papstes von einer Eindringlichkeit sind, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird.“

Bundeskanzlerin Merkel wollte von Anfang an zur Überreichung des Karlspreiseses in den Vatikan kommen, obwohl keine Rede von ihr vorgesehen war und sie auch keine gehalten hat. Sie ist aber Papst Franziskus persönlich begegnet und hat nachher allgemein bekundet, sie habe sich von ihm ermutigt gefühlt. Inwiefern fühlte sich die Kanzlerin ermutigt von Papst Franziskus?

„Die Bundeskanzlerin gehört ja derzeit zu den Menschen, die Lösungen suchen und an Lösungen arbeiten. Sie ist unmittelbar einbezogen in viele konflikthafte Situationen. Und von der deutschen Bundeskanzlerin wird dann immer erwartet, dass sie eine führende Rolle wahrnimmt, dass sie nicht nur irgendwie beiträgt, sondern dass das, was an Lösungen gefunden wird – gemeinsam gefunden wird –, dann auch voranschreitet. Ich habe es gespürt an diesem Tag, wie sehr es ihr wichtig war, zuhören zu können, aufzunehmen, Ideen zu hören, die eben nicht auf einer theoretischen Ebene bleiben. Papst Franziskus ist ja kein Mann, der auf einer stark abstrakt, abgehobenen Ebene redet, sondern er redet konkret, er liefert Schlüsselbegriffe, er hat einen strukturellen Ansatz, der für Menschen, die unmittelbar politisch handeln, wegweisend ist. Das ist ein Ansatz, der eben genau dem entspricht, was die Bundeskanzlerin seit Monaten versucht, in Europa zu vermitteln und auch in Deutschland: dass das jetzt keine Zeit ist, um seine Identität in Abschottung, Ausgrenzung und Ablehnung zu finden, sondern Identität zu finden im Dialog, in der Öffnung, in der Begegnung verschiedener Kulturen; jetzt genau das zu erkennen, was für die Geschichte Europas von großer Bedeutung ist, dass aus Krisen Neues entstanden ist, dass aus der Begegnung der Kulturen der Kontinent sich hat weiterentwickeln lassen. So, glaube ich, hat sie es erfahren an diesem Tag. Und das ist mit Ermutigung gemeint; noch einmal auch Schlüsselbegriffe zu hören, einen auch spirituell starken Ansatz zu hören, der darin bestätigt: Europa findet seine Identität in der globalen Welt nicht, indem es sich abschottet, indem es andere ausgrenzt, indem es Räume besetzt und niemanden reinlässt. Sondern die Identitätsfrage in Europa entscheidet sich an der Fähigkeit des Dialogs, der Integration, des Respektes vor Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Nationen.“

Papst Franziskus nimmt normalerweise keine Preise an. Der Karlspreis war eine Ausnahme. Und er hat diese Gelegenheit eben deswegen wahrgenommen, weil er Europa eine Botschaft geben wollte. Sie vertreten Europas größtes, vermutlich einflussreichstes Land hier am Heiligen Stuhl. Was hat Papst Franziskus in Sachen Europa dazugelernt, seit er im Amt ist?

„Nun, anfangs haben ja viele gesagt: Dieser Papst kann mit Europa nichts anfangen. Er kommt aus einer ganz anderen Welt, und er schaut ein bisschen auf diesen Kontinent wie auf eine müde Versammlung, eine gealterte Bevölkerung. Das ist der Ausgangspunkt gewesen, und wir können ja als Europäerinnen und Europäer auch nicht leugnen, dass wir uns selbst auch manchmal alt vorkommen im Sinne von „das, was ist, immer mehr mögen, als das, was noch in Zukunft möglich ist“. Und nun finde ich: Die Reden des Papstes in Straßburg, die Rede des Papstes beim diesjährigen Neujahrsempfang oder jetzt bei der Karlspreisverleihung zeigen, wie wertvoll es ist, wenn eben nicht jemand über Europa redet, der selbst Europäer ist, gleichsam der Insider, der selbst immer zu dieser gealterten Gesellschaft gehört. Das Besondere an seinen Reden und an seinen zentralen Aussagen ist, aus einer anderen Welt zu kommen und sich aus diesen Erfahrungen heraus dem Kontinent zu nähern. Er hat ja ganz am Beginn seiner Rede gesagt: „Ich nehme diesen Preis gleichsam für eine neue Bewegung in Europa. Es ist Zeit für etwas, für eine neue Bewegung. Es ist Zeit, von dem Bild der Großmutter zum Bild der Mutter zu kommen.“ Und deshalb finde ich, es ist jetzt auch an der Zeit aufzuhören, so zu tun, als könne er mit Europa nichts anfangen. Er hat uns mehr Hinweise gegeben, er hat uns klarere Analysen gegeben, als viele Europäer sie hätten geben können.

Ja es ist gerade das Wertvolle, dass der, von dem man sagt, der sei innerlich ganz weit weg von diesem Kontinent, sich mit ihm beschäftigt und uns die Grenzen, die Schwachstellen, die Verengungsgeschichten vor Augen führt. Mir kommt der Papst, wenn er sich mit Europa beschäftigt, vor wie jemand, der erinnert an den Psalm: „Du führst mich hinaus ins Weite.“ Er zeigt uns, wo wir eng geworden sind, wo wir kleinlich geworden sind, wo wir uns vor allem beschäftigen mit Dingen, die wir nicht wollen, statt uns zu besinnen auf das, was an Kraft und Stabilität in diesem Kontinent ist. Und noch einmal: Das kam ja auch in der Rede vor. Er sagt uns: „Wenn ihr es schon für euch nicht wollt, dass sich etwas verändert, dann wollt es aber spätestens für die junge Generation.“ Die junge Generation hat einen Anspruch darauf. Junge Leute in Europa warten darauf, dass ihre Talente gefragt sind, dass sie diesen Kontinent mitgestalten können, dass der nicht einfach so bleiben will, wie er ist, und nostalgisch in die Vergangenheit schauen, sondern zukunftsorientiert ist und dieser jungen Generation eine aktive Rolle gibt.“

(rv 26.05.2016 gs)








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