2016-05-22 13:23:00

Vatikan/UNO: „Wir schulden diesen Menschen eine Antwort“


Unter Beteiligung aus dem Vatikan wird am Montag im türkischen Istanbul die erste Weltkonferenz über humanitäre Hilfe eröffnet. Papst Franziskus ermunterte am Sonntag die teilnehmenden Staatenlenker, sich „vorbehaltlos für das humanitäre Hauptziel einzusetzen, nämlich jedes Menschenleben zu schützen“. Die Herausforderungen, der sich die Konferenz zu stellen hat, sind gewaltig: 60 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge weltweit, und 125 Millionen Menschen, die von internationalen Hilfen abhängen. Rund 110 Staaten sind in den kommenden zwei Tagen in Istanbul vertreten. Aus dem Vatikan reist eine hochrangige Delegation an: Kardinalstaatssektär Pietro Parolin, Erzbischof Bernardito Auza und Erzbischof Silvano Tomasi. Tomasi, zuletzt Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles bei der UNO in Genf, ist mittlerweile emeritiert, gehört aber auf ausdrücklichen Wunsch von Franziskus dem Päpstlichen Friedensrat an. Er sagte uns:

„Dieser humanitäre Gipfel antwortet auf die Notlage, in der wir uns befinden. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es noch nie einen derart komplizierten Moment, was die Zahl von Flüchtlingen und die von Mensch oder Natur verursachten Umweltkatastrophen anlangt.“

Deshalb sei es wichtig, von der Wirklichkeit auszugehen und eine Antwort zu geben, „die wirklich auf Solidarität fußt“, mahnt Tomasi. Ein tauglicher erster Schritt wäre es bereits, „anzuerkennen, dass wir eine einzige menschliche Familie sind, weswegen es eine kollektive Verantwortung gibt, die sich häufenden Probleme anzugehen: Gewaltherde, Wirtschaftskrisen, die uns zu dem führen, was Papst Franziskus mit seiner brillanten Intuition als „dritter Weltkrieg in kleinen Stücken“ bezeichnete.“

Opfer dieser Krisen gebe es außerordentlich viele, beklagte Erzbischof Tomasi.

„Alle diese Menschen, die ausgeschlossen sind vom Wohlstand und vom Frieden. Ihnen schulden wir eine Antwort. Und dieser humanitäre Gipfel soll neue Wege finden, Explosionen der Gewalt zu verhindern und diesen sich auswachsenden Krisen entgegenzutreten, die durch Klimawandel und mitunter Naturkatastrophen entstehen. Es muss eine Antwort gefunden werden.“

In den vergangenen Wochen war die Spekulation aufgetaucht, der Papst könnte persönlich an der Konferenz teilnehmen. Während seines Besuchs auf der griechischen Insel Lesbos – unweit der Türkei - äußerte er vor einem Monat die Hoffnung, dass der Weltgipfel ein Erfolg werde. Warum gerade die katholische Kirche ein solches Interesse an diesem Spitzentreffen der humanitären Hilfe hat, erklärt Erzbischof Tomasi so:

„Der Heilige Stuhl steht in der ersten Reihe beim Sensibilisieren der öffentlichen Kultur, um eine kreative und wirksame Antwort zu geben. Zunächst ist da auf lokaler Ebene – da, wo diese schmerzlichen Ereignisse stattfinden – die christliche Gemeinde. Sie ist über die Caritas und die Ordensgemeinschaften dazu in der Lage, einen Beitrag zu leisten, der manchmal klein, aber sicherlich wirksam ist. Und dann ist da die menschliche Präsenz der Solidarität, die in gewissen Umständen sogar mehr zählt als die gewährte materielle Hilfe. Die Anwesenheit des Heiligen Stuhles mit einer Delegation auf höchster Ebene, unter Leitung des Kardinalstaatssekretärs, will eine Botschaft geben: wir sind bereits auf dem Feld, um auf die Notfälle zu antworten, aber wir müssen die gesamte globale Gemeinschaft weiterhin ermutigen, sich an dieser Antwort zu beteiligen.“

Istanbul ist der erste Weltgipfel zu humanitärer Hilfe überhaupt. Eine Wende? Immerhin gibt es unter den in der UNO vertretenen Ländern nicht wenige, die auch die grundlegendsten UN-Konventionen zum Schutz der Menschenrechte nicht respektieren. „Es stimmt“, sagt Erzbischof Tomasi, „wenn wir uns in die Lage der Opfer von Gewalt, Hunger oder extremer Armut hineinversetzen, dann könnten wir eher skeptisch werden.“ Schon in der Vergangenheit habe es ähnliche Versammlungen auf Ebene einzelner oder mehrerer Staaten gegeben: die dabei formulierten großen Versprechungen erfuhren keine Umsetzung. Genau das werde der Test für den Istanbuler Gipfel sein, sagte Tomasi: die praktische, operative Verpflichtung, in die Hilfsfonds einzuzahlen, etwa jenen des Hochkommissariats für Flüchtlinge. Auch gilt es aus vatikanischer Sicht eine neue Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die Menschen in extremer Armut hilft, am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.

„Das wichtigste ist vielleicht in diesem Moment, der Gewalt vorzubeugen, die aus Krieg und Kleinkrieg hervorgeht: diese Ausbrüche von Gewalt rufen die höchste Zahl von Notfällen und Opfern auf den Plan. Wenn es also den guten Willen in der Politik gibt, etwas Konkretes zu tun, muss man dazu gelangen, die Ursachen auszuschalten, die so viele Krisen und so viele Opfer verursachen.“

(rv 22.05.2016 gs)








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