2016-05-13 00:41:00

„Importierte Christenverfolgung“: Bischof sieht Behörden in der Pflicht


Wenn in europäischen Flüchtlingsunterkünften Muslime Christen bedrohen, müssen Behörden von Anfang an einschreiten und klar machen: so geht es nicht. Das sagt Bischof Ägidius Zsifkovics von Eisenstadt, Koordinator in Flüchtlingsfragen für die europäischen COMECE, die Kommission der Bischofskonferenzen der EU.  „Notfalls muss es Konsequenzen“ für die Aggressoren geben können, sagte Zsifkovics im Gespräch mit Radio Vatikan. Zugleich wandte sich der Bischof gegen eine Trennung christlicher und muslimischer Flüchtlinge in Heimen. „Es muss auch einem muslimischen Migranten zumutbar sein, sich in einem Rechtsstaat westlicher Prägung auch mit Menschen anderen Glaubens konfrontiert zu sehen und das auch auszuhalten, ohne dabei übergriffig zu werden“, so der Bischof.

Radio Vatikan: Eine neue Untersuchung belegt offenbar massive Übergriffe auf christliche Flüchtlinge in deutschen Flüchtlingsheimen. Tausende aus Syrien, Irak oder Iran geflohene Christen seien dort Gewalt und Drohungen ausgesetzt. Dafür verantwortlich sind den Erhebungen zufolge besonders muslimische Mit-Flüchtlinge und muslimisch geprägtes Sicherheitspersonal. Wenn das stimmt, ist es ein Problem, das wohl allgemein Flüchtlingslager in Europa betrifft, auch in Österreich, Schweden oder Frankreich. Haben die katholischen Bischofskonferenzen dieses Phänomen bisher falsch eingeschätzt?

Zsifkovics: „Die österreichische Bischofskonferenz hat auf ihrer Frühjahrskonferenz gezielt auf dieses Problem hingewiesen: In nahezu allen islamischen Ländern im Nahen Osten, in Asien und Afrika werden Christen wie Bürger zweiter Klasse behandelt und sie sind oft schutzlos den Behörden oder der Mehrheitsbevölkerung ausgeliefert. Dass nun aber auch die Christen, die nach Deutschland, Österreich und andere Länder geflüchtet sind, in Asylunterkünften Ausgrenzung und Bedrängung aufgrund ihres Glaubens erfahren und vielleicht sogar noch den Peinigern begegnen, vor denen sie eigentlich geflohen sind, ist ein erschreckendes Armutszeugnis - für das behördliche Management in europäischen Staaten, aber auch für den Realitätssinn mancher Politiker, die wie die drei Affen nichts sehen, hören und sagen wollen.

Leider entspricht das alles aber einer noch viel größeren zivilen Ignoranz, auf die die österreichische Bischofskonferenz ebenfalls hingewiesen hat: Weltweit werden derzeit rund 100 Millionen Christen verfolgt, und alle fünf Minuten wird ein Christ wegen seines Glaubens getötet. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit ereignet sich die zahlen- wie flächenmäßig umfangreichste Christenverfolgung der Geschichte. Umso unverständlicher ist das weit verbreitete Schweigen dazu in Österreich und in den meisten westlichen Ländern. Wir gedenken in Deutschland und Österreich zwar sehr regelmäßig und intensiv unserer kollektiven Verantwortung im Hinblick auf die Gräuel systematischer Menschenvernichtung vor 70 Jahren, nehmen aber mit einer seltsamen moralischen Blindheit die massiven Menschenrechtsverletzungen gegen Christen in aller Welt – und nun offensichtlich auch in heimischen Asylzentren – stillschweigend hin.“

Radio Vatikan: Nun kann man von einer Art importierter Christenverfolgung in kleinem Maßstab sprechen. Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, um derartige Übergriffe auf christliche Flüchtlinge zu stoppen? Bisher war von Bischöfen, etwa aus Berlin, zu hören, eine getrennte Unterbringung sei nicht sinnvoll. Muss man diesen Ansatz überdenken?

Zsifkovics: „Ich bin für sinnvolle Rücksichtnahme auf kulturelle und religiöse Traditionen bei der Unterbringung, ich halte aber nichts von einer kategorischen Trennung. Wir reden doch ständig davon, dass Integration unverzichtbar ist, dass jeder, der bei uns leben will, die Grundpfeiler unserer Kultur und die Verfassung unseres Staates bedingungslos zu akzeptieren hat, und dazu gehört auch die religiöse Toleranz und der Respekt vor dem Glauben anderer.

Wenn wir Migranten bereits in den Asylunterkünften voneinander getrennt halten, damit nur ja nichts passiert, züchten wir genau die Parallelgesellschaften, die wir nicht wollen, bereits von der ersten Minute an. Es muss auch einem muslimischen Migranten zumutbar sein, sich in einem Rechtsstaat westlicher Prägung auch mit Menschen anderen Glaubens konfrontiert zu sehen und das auch auszuhalten, ohne dabei übergriffig zu werden, andere zu bedrohen oder gar Schlimmeres. Wenn wir bereits hier scheitern, können wir Integration vergessen.

Ich meine also, der Ansatz gemeinsamer Unterbringung ist dem Grunde nach richtig, wohl aber erwarte ich mir ein klares Signal des Staates und der Behörden: Hier braucht es klare, unmissverständliche Anweisungen bei der Aufnahme in den Asylzentren, eine erklärte Null-Toleranz gegenüber Übergriffen und ein effektives Management mittels eines genauen Monitorings. Speziell geschultes, unabhängiges Personal in den Asylzentren etwa müsste präventiv und reaktiv tätig werden können. Und notfalls muss es Konsequenzen geben können. Man darf nicht vergessen, dass viele der kolportierten Vorfälle strafrechtlichen Charakter haben und hier eigentlich ein laufendes Asylverfahren für den Betroffenen gar nicht mehr positiv ausgehen kann.“

Radio Vatikan: Empirisch belegbar scheint, dass christliche Flüchtlinge in Europa leichter zu integrieren sind als muslimische. Trotzdem gibt es in der Kirche wie auch in Teilen der Politik, wie Sie erwähnten, eine Scheu, die Probleme zu benennen, die mit speziell muslimischer Einwanderung verbunden sind. Woran liegt das?

Zsifkovics: „Ich denke, wir lassen uns irreleiten durch die Argumentation christlich – ist gleich leicht integrierbar, muslimisch – ist gleich schwerer integrierbar. So einfach ist das nun wirklich nicht. Die Bischöfe aus Syrien und Irak, die ich im Februar zur internationalen Flüchtlingskonferenz nach Stift Heiligenkreuz eingeladen habe, haben darauf aufmerksam gemacht, dass auch die Integration christlicher Flüchtlinge in Europa nicht einfach werden wird. Hier gibt es sehr viele Unterschiede in der Kultur, in der Alltagskultur, etwa im Verhältnis Mann und Frau, aber auch im religiösen Ritus.

Was die offensichtliche Scheu in unserer Gesellschaft betrifft, Probleme mit Einwanderern beim Namen zu nennen, so denke ich, hat das viel mit der vorbelasteten europäischen Geschichte zu tun. Es gibt in manchen Ländern so etwas wie einen panikartigen Reflex vor dem Faschismusverdacht, in den niemand in Europa geraten will. Dieser Reflex ist berechtigt und insoweit gut, als er uns daran erinnert, welches Grauen in Europa möglich war. Andererseits jedoch darf er die Politik nicht vom Gebot der Stunde und vom Hausverstand abspalten. Denn dann läuft sie Gefahr, dass sich die Gräuel wiederholen.

Schon bei den alten Griechen war „Xenophilia“ nie gleichzusetzen mit „Idiotia“, also mit Ignoranz – und daran sollten wir Europäer uns auch im 21. Jahrhundert orientieren! Asyl und Gastfreundschaft sind heilig. Aber diese Heiligkeit wird pervertiert, wenn sie an die Grundfesten dessen geht, der sie gewähren, garantieren und schützen soll. Für uns gilt, dass jeder der Nächste ist. Es muss aber auch erlaubt sein, dass unsere christlichen Schwestern und Brüder in Not bei uns gebührende Aufnahme, Schutz, Trost und Hilfe finden.“

(rv 12.05.2016 gs)








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